Neue Koexistenz-Richtlinen: Anbauverbote sind nun doch erlaubt

Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen: EU-Kommission will Re-Nationalisierung

Am 13. Juli will die EU-Kommission neue Regeln zur Grünen Gentechnik beschließen. Kernpunkt: EU-Mitgliedsstaaten sollen das Recht erhalten, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf ihrem Territorium verbieten zu können. Inzwischen kursiert ein Vorschlag der EU-Kommission, wie sie das erreichen will. Doch der politische Preis dafür ist hoch.

Bereits vor einem Jahr hatte Kommissionspräsident José Manuel Barroso angekündigt, mit einem Paket von Maßnahmen die politische Blockade überwinden zu wollen, welche die europäische Gentechnik-Politik seit Jahren lähmt und nahezu jede Entscheidung verhindert.

Jose Manuel Barroso

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte bereits im September 2009 in seinen Leitlinien für die neue EU-Kommission eine Änderung des Zulassungsverfahrens für GVO-Produkte in Aussicht gestellt. Er wollte damit „eine „nationale Selbstbestimmung ermöglichen, ohne den gesamten GVO-Zulassungsprozess in Frage zu stellen“. Nun soll dieses Ziel über neue Richtlinien zur Koexistenz erreicht werden.

Einerseits soll die Entscheidung über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen „re-nationalisiert“ werden: Die Mitgliedsstaaten sollen politisch motivierte Verbote aussprechen können, ohne diese mit Zweifeln an der Sicherheit wissenschaftlich begründen zu müssen.

Andererseits soll es weiter ein einheitliches europäisches Zulassungsverfahren geben. Wie bisher werden Zulassungen für GVO-Produkte allein auf Basis der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung erteilt, für die die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuständig ist.

Während Zulassungen für importierte GVO-Lebens- und Futtermittel für alle EU-Länder verbindlich bleiben, soll künftig jeder Mitgliedsstaat selbst entscheiden können, den Anbau einer gv-Pflanze zu verbieten – selbst dann, wenn diese das EU-weite Zulassungsverfahren durchlaufen hat und dabei als „sicher für Mensch, Tier und Umwelt“ eingestuft wurde. Ein politisches Kalkül dabei ist, dass „gentechnik-kritische“ Länder GVO-Zulassungen im Ministerrat passieren lassen, wenn sie ihr wichtigstes Ziel – den Anbau von gv-Pflanzen auf ihrem Gebiet zu unterbinden – unabhängig von Brüssel erreichen können.

Allerdings blieb lange Zeit unklar, wie die EU-Kommission dieses Paket rechtlich umsetzen will, so dass vor allem die Verlagerung der Anbaukompetenz zu den Ländern möglichst rasch wirksam werden könnte. Änderungen an den bestehenden Rechtsvorschriften sind nur mit Zustimmung des EU-Parlaments und der Mitgliedsstaaten möglich. Ein solches Verfahren kann sich über Jahre hinziehen und das Ergebnis erscheint derzeit kaum vorhersehbar. Die Kommission hat daher nach einem Weg gesucht, um die angestrebte Re-Nationalisierung ohne Gesetzesänderungen zu realisieren. Der Hebel dazu soll ein Austausch der 2003 von der Kommission erlassenen Koexistenz-Leitlinien sein.

Die EU-Kommission hatte es damals den Mitgliedsstaaten überlassen, mit welchen Maßnahmen sie eine Koexistenz von landwirtschaftlichen Systemen mit und ohne Gentechnik gewährleisten wollten. Sie sollten jedoch angemessen sein, um „zufällige, technisch unvermeidbare“ GVO-Einträge in konventionelle Bestände unter dem EU-weit geltenden Kennzeichnungs-Schwellenwert von 0,9 Prozent zu halten. Allzu restriktive Vorschriften wies die EU-Kommission bisher ebenso zurück wie regionale Verbote des Anbaus von gv-Pflanzen. Doch künftig sollen sich die Koexistenzmaßnahmen nicht mehr an dem damals von allen Mitgliedsstaaten beschlossenen 0,9-Prozent-Schwellenwert orientieren.

Nun also doch: Länder können „gentechnikfreie“ Zonen vorschreiben

Wenn es als Folge eines Anbaus von dafür zugelassenen gv-Pflanzen zu Einträgen in konventionelle Pflanzen kommt, dann gilt das allenfalls als ökonomischer Schaden: Liegen die GVO-Einträge über der 0,9-Prozent-Schwelle, werden auch konventionell erzeugte Futter- oder Lebensmittel kennzeichnungspflichtig. In vielen Ländern muss der betreffende Landwirt dadurch wirtschaftliche Verluste hinnehmen, da die Marktpreise für gekennzeichnete Produkte deutlich niedriger liegen.

Nun räumt die EU-Kommission in ihrem Vorschlag für künftige Koexistenz-Leitlinien ein, dass auch weitaus geringere GVO-Einträge als wirtschaftlicher Schaden anzusehen sind. Vor allem bei Produkten, die ausdrücklich „ohne Gentechnik“ erzeugt werden, oder bei Produkten des ökologischen Landbaus würden die Konsumenten GVO-Einträge generell nicht tolerieren. Zukünftig können die Länder Koexistenz-Maßnahmen vorschreiben, die darauf abzielen, GVO-Einträge generell zu vermeiden. Dabei sollen die Länder die unterschiedlichen regionalen Bedingungen – etwa Feldgrößen, Fruchtfolgen, Produktionssysteme, Klima und Landschaftsformen - berücksichtigen, unter denen die Landwirtschaft arbeitet.

Auch bei den „gentechnik-freien“ Zonen macht die Kommission eine Kehrtwende. Waren diese bisher nur in Form freiwilliger Vereinbarungen mit dem EU-Recht vereinbar, sollen nun „unter bestimmten ökonomischen Bedingungen die Mitgliedsstaaten berechtigt sein, den Anbau von gv-Pflanzen auf größeren Gebieten zu verbieten, um unerwünschte GVO-Einträge in konventionellen oder ökologisch angebauten Pflanzen zu vermeiden.“ Um ein regionales oder nationales Anbauverbot zu erlassen, muss der Mitgliedsstaat gegenüber der Kommission lediglich darlegen, dass mit anderen Koexistenz-Maßnahmen – etwa Abstandsflächen – die angestrebte Vermeidung von GVO-Einträgen nicht zu erreichen ist.

Koexistenz: Alles ist möglich

Bleibt es bei es den Vorschlägen der Kommission, erhalten die EU-Mitgliedsstaaten in Sachen Koexistenz die von Präsident Barroso versprochene „nationale Selbstbestimmung“. Von einem regionalen oder gar nationalen Anbauverbot bis zu einem völligen Verzicht auf Koexistenz-Vorschriften ist alles möglich. Doch damit wird - zumindest bei der Grünen Gentechnik - der gemeinsame Binnenmarkt mit gleichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aufgegeben. Nun kann jeder einzelne der 27 Mitgliedstaaten für sich festlegen, ob und wie er die Nutzung von gv-Pflanzen zulässt oder verbietet.

Dass diese Re-Nationalisierung den europäischen Zielen wie den bestehenden Rechtsvorschriften widerspricht, weiß auch die Kommission. Nicht zuletzt stützt sich die Freisetzungsrichtline 2001/18 – die maßgebende Rechtsvorschrift für Zulassung und Anbau von gv-Pflanzen - auf Artikel 95 des EU-Vertrages, der eine harmonisierte Umsetzung von Rechtsvorschriften in allen EU-Mitgliedsstaaten gewährleistet. Daher schlägt die Kommission vor, den Bezug auf Artikel 95 des EU-Vertrages in der Freisetzungsrichtlinie zu streichen. Nur: Ob diese scheinbar geringfügige, politisch allerdings grundsätzliche Änderung so schnell und reibungslos über die politische Bühne geht, erscheint fraglich.

Am 13. Juli will die Kommission über den von Verbraucherschutzkommissar John Dalli ausgearbeiteten Vorschlag abstimmen. Derzeit kursiert der Entwurf für neue Koexistenz-Richtlinien innerhalb der Kommission. Es ist durchaus möglich, dass sich daran noch etwas ändert.