Gentechnik-Gesetz

Grüne Gentechnik: Bundesländer sollen eigene Anbauregeln festlegen – Verbote durch die Hintertür?

Die Bundesregierung will das Gentechnik-Gesetz erneut ändern. Kernpunkt: Die Bundesländer sollen künftig eigene Mindestabstände zwischen Feldern mit und ohne gentechnisch verändertem Mais festlegen können. Bei Kartoffeln ist jedoch ein bundeseinheitlicher Mindestabstand von zehn Metern vorgesehen. Einige Bundesländer wollen den neuen Spielraum nutzen, um den Anbau von gv-Pflanzen praktisch zu verbieten. Doch auch innerhalb der Regierungskoalition sind die Pläne umstritten.

Rainer Bruederle

Bundeswirtschafts- minister Rainer Brüderle (FDP) bei der Ernte der Amflora-Kartoffel: „Die Potenziale der Grünen Gentechnik nutzen.“

Markus Soeder

Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) mit Vertretern „gentechnikanbaufreier“ Gemeinden und Landkreise: „Wir wollen selbst entscheiden, was auf bayerischen Äckern wächst.“ Fotos: BASF, Südwestpresse Ulm

Meta-Studie GVO-Eintrag Mais

Polleneintrag bei Mais in Abhängigkeit von der Entfernung: Ergebnisse einer Metastudie

In einem „Eckpunktepapier“ hat Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) ihre Vorstellungen zu einigen Gesetzesvorhaben im Bereich der Gentechnik zusammengefasst. Anlass dafür ist die neue Gentechnikpolitik der EU, die den Mitgliedsstaaten in einigen Bereichen mehr Entscheidungskompetenzen einräumt.

Es sollen aber auch die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages umgesetzt werden. Einfach ist das nicht, denn einerseits will die Bundesregierung die „verantwortbaren Potenziale der Grünen Gentechnik nutzen“, andererseits „die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit die Bundesländer innerhalb eines bundeseinheitlichen Rahmens von Kriterien flexibel eigenständig Abstände festlegen können, die zwischen Feldern mit gv-Pflanzen und solchen mit konventionellem oder ökologischem Anbau einzuhalten sind.“ Einige Bundesländer, allen voran Bayern und inzwischen auch das nun rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen, wollen auf diesem Wege den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen praktisch verbieten.

Am 13. Juli 2010 hatte die EU-Kommission neue „Leitlinien zur Koexistenz“ beschlossen und damit den EU-Mitgliedsstaaten Möglichkeiten eröffnet, weitaus strengere Regeln für den Anbau von gv-Pflanzen vorzuschreiben. Bis dahin sollten die von den Mitgliedsstaaten vorgeschriebenen Koexistenz-Maßnahmen „angemessen“ sein, um „zufällige, technisch unvermeidbare“ GVO-Einträge in konventionelle Bestände unter dem EU-weit geltenden Kennzeichnungs Schwellenwert von 0,9 Prozent zu halten.

Künftig können nationale Anbauvorschriften auch so ausgelegt werden, weitaus geringere GVO-Einträge zu vermeiden. Die Erfahrung zeige, so die EU-Kommission, dass in bestimmten Märkten auch geringere GVO-Einträge als die zulässigen 0,9 Prozent zu wirtschaftlichen Verlusten führen könnten, vor allem bei den ausdrücklich ohne Gentechnik arbeitenden Erzeugern. Besonders bei einer kleinteilig strukturierten Landwirtschaft könnten bei der Trennung von GVO- und Nicht-GVO-Produkten hohe Kosten entstehen. Neu ist auch, dass die neuen Koexistenz-Leitlinien den Mitgliedsstaaten das Recht einräumen, „gentechnik-freie“ Zonen einzurichten, „wenn andere Maßnahmen zum Schutz der konventionellen bzw. ökologischen Landwirtschaft ungeeignet sind“.

Im Kern sieht das Eckpunktepapier aus dem Landwirtschaftsministerium vor, die Kompetenz für die konkrete Ausgestaltung der neuen EU Koexistenz-Leitlinien in Deutschland auf die Bundesländer zu übertragen. Dazu ist eine entsprechende Änderung des Gentechnik-Gesetzes geplant. Die Länder sollen jedoch verpflichtet werden, bei der Festlegung ihrer Mindestabstände zwischen Feldern mit gv-Pflanzen und benachbarten konventionellen Feldern derselben Kulturart bestimmte Kriterien zu beachten, etwa die jeweiligen geographischen oder klimatischen Gegebenheiten, besondere Betriebsstrukturen, Feldgrößen oder Anbauverfahren.

Das Eckpunktepapier ist auch in der Regierungskoalition umstritten. Zuständige Arbeitsgruppen von CDU/CSU und FDP äußerten – wie zuvor schon Bundeskanzlerin Angela Merkel – grundsätzliche Bedenken, die Entscheidung über den Anbau von in der EU dafür zugelassenen gv-Pflanzen auf Mitgliedsstaaten oder sogar Regionen zu verlagern. Peter Bleser, Agrarsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kritisiert insbesondere, dass es beim Anbau von gv-Mais künftig in jedem Bundesland unterschiedliche Mindestabstände und damit keine einheitlichen Rahmenbedingungen gebe.

Zurzeit beträgt der in der „Verordnung für die gute fachliche Praxis“ einheitlich festgelegte Mindestabstand zwischen gv-Mais und herkömmlichem Mais noch 150 Meter, zu Ökofeldern 300 Meter. Für gv-Kartoffeln – wie etwa die gentechnisch veränderte Stärkekartoffel Amflora - gab es bislang keine Mindestabstände, das Eckpunktepapier sieht nun einen bundesweit verbindlichen Abstand von zehn Metern vor.

Studie des JRC legt die wissenschaftlichen Fakten auf den Tisch

Mit der beabsichtigten Gesetzesänderung könnten einzelne Bundesländer den Anbau von gv-Mais faktisch verbieten oder zumindest stark wirtschaftlich benachteiligen. Die Mindestabstände müssten nur entsprechend erhöht werden.

Den aktuellen wissenschaftlichen Stand zur Auskreuzungsrate von Mais in Abhängigkeit von der Entfernung zweier Felder beschreibt eine neue Metastudie des Gemeinsamen Forschungszentrums JRC der Europäischen Kommission und der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope ART. Bei der im August veröffentlichten Studie wurden 1174 Messergebnisse aus Einzelstudien der Jahre 2001 bis 2006 statistisch zusammengefasst. Das Ergebnis ist nicht neu und zeigt, dass die Auskreuzungsrate rasch mit steigendem Abstand abnimmt.

  • Durchschnittlich liegt die Auskreuzung bis zu zehn Metern Entfernung von einem gv-Maisfeld bei 4,5 Prozent und sinkt dann rapide.
  • In einer Entfernung von zehn bis 20 Metern liegt sie noch bei 0,7 Prozent und sinkt im Abstand von 30 bis 40 Metern dann weiter auf ca. 0,2 Prozent.
  • Die statistische Auswertung ergab auch, dass bei einem Abstand von 40 Metern mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,6 Prozent die Auskreuzung ins Nachbarfeld unter 0,9 Prozent und ab 90 Metern mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit unter 0,3 Prozent bleibt (siehe Abbildung).

Die zugrunde liegenden Untersuchungen fanden in Deutschland, Italien, Spanien und der Schweiz unter verschiedenen landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen - etwa Feldgrößen oder Klima - und unter „worst-case“-Bedingungen statt. Da der herkömmliche Mais immer in der Hauptwindrichtung zum gv-Mais stand, wurden immer maximale Auskreuzungsraten ermittelt. Auch der Blühzeitpunkt von herkömmlichem und gv-Mais war bei den Versuchen identisch.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass die bisher in vielen europäischen Mitgliedsstaaten eingeführten Koexistenzmaßnahmen wie Mindestabstände von über 50 Metern bis zu 600 Metern aus wissenschaftlicher Sicht nicht angemessen sind. GVO-Anbauer würden dadurch wirtschaftlich benachteiligt. Sie empfehlen einen Mindestabstand von 40 Metern, um den auch weiterhin geltenden Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9 Prozent sicher erfüllen zu können. Auch seien neben reinen Mindestabständen andere Maßnahmen wie eine Pufferzone aus zehn bis 20 Metern mit herkömmlichem Mais um das gv-Maisfeld ausreichend. Solche Maßnahmen könnten auch kombiniert werden und damit die Mindestabstände je nach regionalen Gegebenheiten verringert werden.