Erste Vorschläge für neue EU-Zulassungsverfahren im Sommer

Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen: Mitgliedsstaaten sollen selbst entscheiden

(04.03.2010) Die EU-Mitgliedsstaaten sollen künftig selbst entscheiden, ob in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen bei ihnen angebaut werden dürfen oder nicht. Erste Vorschläge dafür sind im Sommer zu erwarten, kündigte EU-Verbraucherkommissar John Dalli am Dienstag in Brüssel an. Zeitgleich erlaubte die EU-Kommission den Anbau der gv-Amflora-Kartoffel. Damit wurde in der EU erstmals seit 1998 eine gv-Pflanze für den Anbau zugelassen. Grünes Licht gab es auch für die Einfuhr und die Verarbeitung von drei weiteren gv-Maislinien.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte bereits im September 2009 in seinen Leitlinien für die neue EU-Kommission eine Änderung des Zulassungsverfahrens in Aussicht gestellt. Ziel ist es, eine „nationale Selbstbestimmung zu ermöglichen, ohne den gesamten GVO-Zulassungsprozess in Frage zu stellen“. Damit soll die politische Blockade der Mitgliedsstaaten bei der Zulassung von GVO-Produkten überwunden werden.

John Dalli, neuer EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherpolitik soll bis zum Sommer Vorschläge vorlegen: Gemeinsames Zulassungsverfahren, nationale Sonderwege beim Anbau.

Amflora-Kartoffel. Erste Anbauzulassung einer gv-Pflanzen seit 1998: Anbau unter Auflagen.

Bisher konnten sich die EU-Mitgliedsstaaten im Ministerrat oder im Regelungsausschuss in keinem einzigen Fall auf eine Zulassung einer gv-Pflanze oder den daraus hergestellten Lebens- und Futtermitteln einigen. Wie in den EU-Verträgen vorgesehen, muss in solchen Fällen die EU-Kommission eine Zulassung erteilen, wenn die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen dafür erfüllt sind.

Im Gegenzug machten einige Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, Österreich und Frankreich, von der Möglichkeit der safeguard clause Gebrauch, die ein nationales Anbauverbot für GVO-Pflanzen zum Schutz der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt erlaubt. In solchen Fällen müssen die Mitgliedsstaaten jedoch wissenschaftlich begründen, dass neue Erkenntnisse vorliegen, die die Sicherheit der betroffenen GVO-Produkte in Frage stellen. In bisher allen Fällen wurde die jeweilige wissenschaftliche Begründung von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als nicht stichhaltig eingestuft. Dennoch fanden Anträge für eine Aufhebung der nationalen Anbauverbote ebenfalls keine Mehrheiten im Ministerrat.

Nach den Plänen der Kommission sollen die EU-Mitgliedsstaaten den Anbau von gv-Pflanzen künftig auf ihrem Gebiet verbieten können, selbst wenn er nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keine Risiken für die Gesundheit oder die Umwelt mit sich bringt.

Sozioökonomische Kriterien als Grundlage nationaler Verbote

Zur Begründung nationaler Anbauverbote sollen stattdessen sozioökonomische Kriterien herangezogen werden. Die Kommission arbeitet derzeit zusammen mit den Mitgliedsstaaten an einer Liste mit geeigneten sozioökonomischen Kriterien. Dazu könnten etwa mögliche Auswirkungen eines Anbaus von gv-Pflanzen auf eine konventionelle, kleinteilige Landwirtschaft oder die lokale Lebensmittelversorgung zählen, aber auch die Folgen für Ökonomie und Wohlstand, Biodiversität oder kulturelle Werte.

Offen bleibt die Frage, wie solche sozioökonomischen Kriterien objektiv bewertet und gewichtet werden können. Kritiker wie die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie äußern Bedenken gegen die Einführung solcher Kriterien. Es gäbe keine rechtliche Grundlage, Zulassungskriterien über eine wissenschaftliche Sicherheitsbewertung hinaus zu erweitern. Ein solches Verfahren gefährde auch die Rechtssicherheit, da sozioökonomische Kriterien unausweichlich subjektiv seien. Zudem müssten sozioökonomische Faktoren durch eine Vorausbewertung der Märkte abgeschätzt werden. Der Erfolg oder Misserfolg eines Produktes könne aber nur im freien Markt entschieden werden. Auch ist nicht geklärt, ob die Verlagerung der politischen Entscheidungskompetenzen auf die Mitgliedsstaaten mit den von der EU unterzeichneten WTO-Verträgen vereinbar ist.

Die neue seit Februar amtierende Kommission will im Sommer ausgearbeitete Pläne vorstellen, wie „ein gemeinschaftliches, wissenschaftlich fundiertes Zulassungsverfahren mit dem Recht der EU-Mitgliedsstaaten kombiniert werden kann, selber zu bestimmen, ob sie in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet gv-Sorten anbauen möchten oder nicht“.

Die Zulassungen für den Import und Handel von GVO-Produkten sollen weiterhin zentral auf gemeinschaftlicher Ebene und ohne nationale Spielräume erfolgen.

Zulassungsgenehmigung für Amflora und MON863-Kreuzungen

Die Kommission erlaubte am vergangenen Dienstag auch den Anbau der vom Unternehmen BASF entwickelten Stärkekartoffel Amflora und die Nutzung der bei der industriellen Verarbeitung anfallenden Reststoffe als Futtermittel. Der Genehmigungsprozess der Pflanze, die reine Amylopektinstärke für technische Anwendungen etwa in der Papierproduktion enthält, dauerte 13 Jahre. Als Lebensmittel sind Amflora-Kartoffeln jedoch nicht zugelassen, lediglich „zufällige, technisch unvermeidbare Beimischungen“ bis zu 0,9 Prozent sind erlaubt. Landwirte müssen beim Anbau besondere Bestimmungen einhalten.

Zusätzlich wurden von der Kommission verschiedene Kreuzungen des bereits zugelassenen Maises MON863 für den Import und die Verarbeitung als Futtermittel in Europa zugelassen.

Diese Zulassungen riefen heftige Kritik von Gentechnikgegnern wie Greenpeace oder Mitgliedsstaaten wie Österreich hervor. Streitpunkt sind weiterhin die in diesen gv-Pflanzen enthaltenen Antibiotikaresistenz-Gene. Doch der neue für Gesundheit und Verbraucherpolitik zuständige EU-Kommissar John Dalli sieht die Diskussion um die Sicherheitsbewertung dieser Pflanzen als abgeschlossen an. Im Juli letzten Jahres veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ihr bisher letztes Gutachten und bestätigte die früheren positiven Sicherheitsbewertungen der Amflora-Kartoffel und von MON863-Mais. Die Sicherheitsbewertung der EFSA wird auch von der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) in Deutschland geteilt, die im Januar 2009 eine aktualisierte Bewertung von Antibiotikaresistenz-Genen in gentechnisch veränderten Pflanzen veröffentlichte.

„Mir ist deutlich geworden“, so John Dalli, „dass es keine weiteren wissenschaftlichen Fragen mehr gibt, die untersucht werden müssten. Alle wissenschaftlichen Aspekte und besonders die Sicherheitsbedenken sind bereits ausgiebig berücksichtigt worden. Eine weitere Verzögerung bei der Zulassung wäre nicht zu rechtfertigen gewesen.“

Amflora-Anbau noch in diesem Jahr

Der kommerzielle Anbau der Amflora-Kartoffel ist nach Peter Eckes, Geschäftsführer der BASF Plant Science, noch in diesem Jahr in der Tschechischen Republik und Deutschland geplant. Die Anbausaison beginnt im April. In den kommenden Jahren soll auch ein Anbau in den Niederlanden und Schweden stattfinden.

In Österreich werde „umgehend ein nationales Anbauverbot erlassen“, erklärte Gesundheitsminister Alois Stöger. Entsprechende Vorbereitungen seien bereits eingeleitet, so eine Ministeriumssprecherin. Damit ist in Deutschland nicht zu rechnen. Zulassung und Anbau der Amflorakartoffel ist ein vereinbartes Ziel des gegenwärtigen Koalitionsvertrages. Auch hatte Deutschland sich auf EU-Ebene für die Genehmigung von Amflora eingesetzt.