Vertrieb von MON810-Mais eingeschränkt

Neue Umweltrisiken? Verwirrung um BVL-Bescheid.

(14. Mai 2007) Ab sofort ist der Vertrieb von Saatgut des gentechnisch veränderten MON810-Mais in Deutschland untersagt, solange der Hersteller Monsanto keinen aktuellen Monitoringplan vorgelegt hat. Der bereits ausgesäte Mais der diesjährigen Anbauperiode ist jedoch davon nicht betroffen. Für Verwirrung sorgt die offizielle Begründung dieser Maßnahme, es lägen neue Erkenntnisse vor, der Anbau von MON810-Mais könne die Umwelt gefährden. Während gentechnik-kritische Verbände Landwirtschaftsminister Seehofer aufforderten, MON810-Mais sofort zu verbieten, zeigten sich Wissenschaftler verwundert über die plötzliche Kehrtwende bei der Sicherheitsbewertung.

Am 27. April 2007 schickte das Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz einen Bescheid an das Agro-Biotech-Unternehmen Monsanto. Darin ordnet die in Deutschland für Gentechnik zuständige Behörde ein sofortiges Vertriebsverbot für Saatgut des gentechnisch veränderten Maises MON810 an. Es darf erst dann wieder verkauft werden, wenn das Unternehmen einen geeigneten Monitoringplan vorlegt, um unerwünschte Umweltauswirkungen zu beobachten und rechtzeitig erkennen zu können. Der Bescheid führt dafür neun Prüfpunkte auf, etwa den Verbleib des im MON810-Mais gebildeten Bt-Toxins im Boden, Auswirkungen auf Nicht-Zielorganismen oder langfristige Wirkungen auf die Biodiversität.

MON810-Mais ist seit 1998 in der EU zugelassen und die einzige gv-Pflanze, die derzeit in Deutschland und mehreren anderen EU-Ländern kommerziell angebaut wird. Anfang Februar 2007 hatten Landwirte vor allem aus den östlichen Bundesländern Anbauflächen von insgesamt 3700 Hektar beim Standortregister angemeldet, von denen später ein Teil wieder zurückgezogen wurde.

Bundeslandwirtschafts- minister Horst Seehofer : Schlingerkurs bei der Gentechnik. Er wies das ihm unterstellte BVL an, den Vertrieb von MON810-Mais zu untersagen. Begründet wird die Maßnahme mit „neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen“, dass der Anbau von MON810-Mais eine Gefahr für die Umwelt darstelle.

Monarch-Falter, in den USA ein beliebter Schmetterling. Das BVL verweist auf eine drei Jahre alte Studie, die schädliche Effekte durch Bt-Mais gezeigt habe. Deren Autoren halten das Risiko jedoch für „vernachlässigbar“.

Als das BVL den Bescheid mit dem Vertriebsverbot verschickte, hatten die Landwirte ihr MON810-Saatgut fast überall ausgesät. „Bereits an Landwirte abgegebenes oder ausgesätes Saatgut ist nicht von dieser Regelung betroffen,“ stellte das BVL in einer Pressemitteilung klar. Und auch für die Verwertung der Ernte als Lebens- und Futtermittel sind keine Einschränkungen vorgesehen. Für die Landwirte, die in diesem Jahr Flächen mit MON810-Mais beiwirtschaften, ändert der Bescheid demnach nichts. Der Anbau bleibe in vollem Umfang erlaubt, erklärte Monsanto. Zudem führe das Unternehmen bereits ein Monitoring-Programm durch, „das den zukünftig geforderten Auflagen voll und ganz entspricht.“

„Neue und zusätzliche wissenschaftliche Erkenntnisse“

Was heftige öffentliche Diskussionen auslöste, war die Begründung der angeordneten Maßnahmen. Das BVL verwies darin auf „neue und zusätzliche wissenschaftliche Erkenntnisse“, die „berechtigten Grund zu der Annahme geben, dass der Anbau von MON810 eine Gefahr für die Umwelt darstellt.“ Als Beleg für diese Aussage wurden zahlreiche wissenschaftliche Studien aufgeführt.

Die Reaktionen kamen prompt.

  • Einerseits forderten gentechnik-kritische Organisationen und Bio-Anbauverbände Landwirtschaftsminister Seehofer auf, die Konsequenz aus der BVL-Begründung zu ziehen und den Anbau von MON810 sofort zu verbieten.
  • Andererseits zeigten sich vor allem Wissenschaftler verwundert, dass die zuständige Behörde in Deutschland nun von einer veränderten Beurteilung der Umweltsicherheit von MON810 ausgeht.

Noch Ende 2006 hatte sich das Expertengremium der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in einer detaillierten Stellungnahme mit dem nationalen MON810-Verbot in Griechenland beschäftigt, das sich überwiegend auf die gleichen wissenschaftlichen Quellen stützt wie die Begründung des Vertriebsverbots in Deutschland. Die EFSA-Experten hatten alle aktuellen wissenschaftlichen Daten zu MON810 und dem in der Pflanze gebildeten Bt-Toxins geprüft und dabei keine Anhaltpunkte für eine Revision der Anbauzulassung von MON810 gefunden.

Vor allem aber: Seit vielen Jahren fördert die Bundesregierung ein Forschungsprogramm zur biologischen Sicherheit. In zahlreichen Projekten und mehrjährigen Feldversuchen wurden darin auch mögliche Umweltauswirkungen von Bt-Mais, überwiegend MON810, untersucht. Deren inzwischen auch in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizierten Ergebnisse werden jedoch in der BVL-Begründung nicht berücksichtigt.

Diese nennt zwei Bereiche, bei denen „neue und zusätzliche Informationen“ Anlass zu einer Neubewertung der Umweltgefahren durch MON810 geben: „Risiken für den Boden“ sowie „Risiken für Nicht-Zielorganismen“, also alle Organismen außer dem jeweiligen Schädling, die direkt oder indirekt mit Bt-Mais in Berührung kommen.

Räuberische Insekten: Nehmen Bt-Toxin mit ihren Beutetieren auf, aber keine eindeutigen Hinweise auf Gefährdung

Erst in jüngeren Untersuchungen sei deutlich geworden, so die Begründung des BVL-Bescheids, „dass und in welchem Ausmaß Bt-Toxin in höhere Nahrungskettenglieder gelangt.“ Gemeint sind etwa räuberische Insekten, die das Bt-Toxin indirekt mit ihren Beutetieren aufnehmen. Eine Auswertung zahlreicher Laboruntersuchungen (Lövei & Arpaia 2005) habe ergeben, dass bei 41 Prozent der bei räuberischen Insekten untersuchten Parameter - etwa Lebensdauer, Entwicklungszeit, Vermehrungsrate - negative Einflüsse gemessen wurden.

  • Allerdings zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die überwiegende Zahl der insgesamt 44 ausgewerteten Studien sich nicht mit Bt-Toxin beschäftigen, sondern mit anderen gegen Schädlinge wirksamen Proteinen wie Protease-Inhibitoren oder Lektinen (Insektenresistenz). Untersucht wurden vielfach nicht das in MON810 verwendete Bt-Toxin (Cry1Ab), sondern andere Varianten - und das nicht nur in Bt-Mais, sondern auch in insektenresistenten Kartoffeln, Baumwolle und Reis.
  • Tatsächlich zeigen viele Untersuchungen, dass Bt-Toxin auch in Organismen der höheren Nahrungsebenen gelangt. Doch eindeutige wissenschaftliche Ergebnisse, die eine schädliche Wirkung des Bt-Toxins belegen, gibt es offenbar nicht. Eine andere Übersichtsarbeit (Romeis et al. 2006), ebenfalls in der BVL-Begründung aufgeführt, kommt zu dem Ergebnis, dass negative Effekte des Bt-Toxins auf räuberische Insekten nur dann zu beobachten sind, wenn die jeweiligen Beutetiere mit Bt-Toxin gefüttert wurden und diese darauf sensibel reagieren. Nur wenn die Beutetiere durch Bt-Toxin offenbar geschwächt sind, wirkt sich das erwartungsgemäß nachteilig auf die jeweiligen Räuber aus. Vieles spricht dafür, dass es in der Regel keinen direkten toxischen Effekt des Bt-Toxins auf die räuberischen Insekten gibt.
  • Im Rahmen des vom BMBF geförderten Programms zur Biologischen Sicherheitsforschung sind zahlreiche Felduntersuchungen über mögliche Auswirkungen auf Nicht-Zielorganismen verschiedener Nahrungsebenen durchgeführt worden. Das aufwändige Versuchsdesign ermöglichte statistisch gesicherte Aussagen. Insgesamt wurden etwa eine Million Tiere gesammelt, bestimmt und ausgewertet. Die wenigen festgestellten Bt-Effekte waren gering und lagen deutlich unter denen konventioneller Insektizidbehandlungen.

Schmetterlinge: Nur wenige Versuche mit MON810-Mais

Das in MON810 gebildete Bt-Toxin zeige „eindeutig schädliche Wirkungen auf Schmetterlingslarven“, so die BVL-Begründung. Allerdings beziehen sich fast alle Untersuchungen, mit denen diese Aussage belegt wird, auf Bt176, einen anderen insektenresistenten Mais. Dieser wird jedoch schon lange nicht mehr vertrieben, da er im Pollen eine unnötig hohe Bt-Konzentration aufweist, 150-250fach höher als die in MON810.

Nur eine der aufgeführten Studien (Diveley et al. 2004) hat sich tatsächlich auf MON810 bezogen. Sie beschäftigt sich mit möglichen negativen Effekten auf den Monarchfalter, einen in Nordamerika populären Schmetterling. Tatsächlich zeigte sich, dass ein Viertel weniger Schmetterlinge das Larvenstadium erreichen, wenn sie dem Bt-Toxin in hohen Dosen ausgesetzt waren. Zwar konnten Beeinträchtigungen bei einzelnen Raupen beobachtet werden - doch die Auswirkungen auf den gesamten Monarch-Bestand sind gering. Maximal 2,4 Prozent der Monarch-Population im corn belt der USA sei betroffen. Angesichts natürlicher Schwankungen, etwa durch Klimaänderungen, seien die Auswirkungen des MON810-Anbaus zu vernachlässigen, so das Fazit der Autoren der Studie. In Deutschland konnte bei vergleichbaren Untersuchungen über drei fortlaufende Jahre selbst auf die empfindlichste Schmetterlingsart keine Beeinträchtigung festgestellt werden.

Bt-Toxin im Boden: Überdauerung, aber keine Anreicherung

Die Wirkung und Verweildauer von Bt-Toxin im Boden sei „derzeit ungeklärt“, so das BVL in seinem Bescheid, „berge jedoch ein hohes Potenzial für ökologische Folgen.“ Das Bt-Toxin kann über Pflanzenreste oder über Aussonderungen im Wurzelbereich in den Boden gelangen.

Das Verhalten von Bt-Toxinen aus Pflanzen unterscheidet sich jedoch nicht grundsätzlich von dem konventioneller Bt-Präparate, die als biologische Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Unabhängig von der Anwendungsform ist der Bt-Wirkstoff mehrere Monate im Boden nachweisbar. Nach dem Anbau von Bt-Pflanzen können Spuren von Bt-Toxin in Pflanzenresten eine Vegetationsperiode im Boden überdauern - auch das hatte ein BMBF-gefördertes Projekt der Sicherheitsforschung gezeigt. Die Konzentrationen sind jedoch so gering, dass keine schädlichen Effekte auf das Bodenleben feststellbar sind. Es gibt demnach keine Belege, dass sich das Bt-Toxin im Boden anreichern und so toxikologisch relevante Konzentrationen erreichen könnte.