Gentechnik und Naturschutzgebiete

„Tausend Meter stellen den Prüfradius dar, innerhalb dessen genauer hingesehen werden muss.“

In der öffentlichen Diskussion scheinen Gentechnik und Naturschutz unvereinbar. Dabei geht es vor allem um die mögliche Gefährdung geschützter Arten durch den Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen. Die Naturschutzverbände hätten deshalb gerne Mindestabstände zu Schutzgebieten, der NABU etwa fordert tausend Meter. Bislang gibt es keinen rechtlich verbindlichen Mindestabstand, dafür aber eine ganze Reihe offener rechtlicher Fragen. bioSicherheit sprach mit Ulrike Middelhoff vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)

Ulrike Middelhoff, Referentin im Referat Freisetzung und Inverkehrbringen der Abteilung Gentechnik, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)

Natura 2000 ist ein Netzwerk besonderer Schutzgebiete in der Europäischen Union. Es umfasst die Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie sowie Schutzgebiete gemäß der Vogelschutzrichtlinie. Natura 2000-Gebiete sind Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgewiesen wurden.

Die FFH-Richtlinie ist eine Naturschutz-Richtlinie der Europäischen Union zum Erhalt natürlicher Lebensräume und der Artenvielfalt, die 1992 beschlossen wurde.

bioSicherheit: Im Zuge einer Novellierung des Gentechnikrechtes wurde im Jahr 2005 der Paragraf 34 des Bundesnaturschutzgesetzes um einen Paragrafen 34a ergänzt. Demnach muss bei Freisetzungen oder beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in oder in der Nähe von Natura 2000-Gebieten geprüft werden, ob das Schutzgebiet durch die Freisetzung oder den Anbau erheblich beeinträchtigt wird. Wer ist für die Prüfung zuständig?

Ulrike Middelhoff: Hier geht es um die so genannte FFH-Verträglichkeitsprüfung, die durch Europäisches Recht vorgeschrieben ist. Mit dieser Prüfung soll sichergestellt werden, dass Natura 2000-Gebiete nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Zu prüfen sind Aktivitäten wie z.B. Bauvorhaben oder – wie es das Bundesnaturschutzgesetz inzwischen klarstellt - Vorhaben zur Freisetzung oder zum Anbau von GVO. Bei allen Vorhaben, die einer Genehmigung bedürfen, ist die entsprechende Genehmigungsbehörde auch zuständig für die Prüfung der FFH-Verträglichkeit. Da Genehmigungen zu Freisetzungen von GVO beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) beantragt werden, prüft das BVL auch die FFH-Verträglichkeit von Freisetzungsvorhaben.

bioSicherheit: Wie sieht das in der Praxis aus, wenn die Behörde feststellt, das Freisetzungsvorhaben liegt in unmittelbarer Nähe zu einem Natura 2000-Gebiet?

Ulrike Middelhoff: In der Praxis prüfen die Antragsteller inzwischen selbst, ob sich ein geplanter Freisetzungsstandort in oder in der Nähe eines Natura 2000-Gebiets befindet. Als maßgeblicher Abstand gilt hier in der Regel ein Wert von tausend Metern. Wenn der Freisetzungsstandort eine geringere Entfernung zu einem Schutzgebiet aufweist, müssen mit dem Antrag auf Freisetzung Informationen zu dem Schutzgebiet eingereicht werden.

Bei der Prüfung der Unterlagen stellt das BVL zunächst fest, ob das Vorhaben grundsätzlich auf mindestens ein Erhaltungsziel des Schutzgebiets Auswirkungen haben kann. Nur wenn eine solche Möglichkeit besteht, wird in die eigentliche Prüfung der FFH-Verträglichkeit eingetreten. Für den ersten Prüfschritt (Vorprüfung) werden in der Regel weitere Informationen benötigt, die das BVL nach Möglichkeit von anderen Behörden einholt. Zielsetzung ist es, zunächst zu prüfen, ob ein Freisetzungsvorhaben einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Vorhaben das Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen kann. Dazu werden auf Basis vorhandener Informationen mögliche Einflüsse auf alle relevanten Erhaltungsziele bewertet.

Kann in der Vorprüfung die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung nicht sicher ausgeschlossen werden, so ist eine Hauptprüfung vorzunehmen. Dieser Prüfungsschritt wurde bisher noch bei keinem der beim BVL beantragten Freisetzungsvorhaben erreicht.

Käme das BVL in einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis, dass ein Schutzgebiet bzw. die zu seiner Erhaltung notwendigen Bestandteile durch ein Freisetzungsvorhaben erheblich beeinträchtigt werden können, so darf das beantragte Vorhaben nicht genehmigt werden.

bioSicherheit: Vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) wird ein Kartendienst für Freisetzungen von GVO angeboten, da wird auch eine Pufferzone von tausend Metern angegeben. Wie ist ein solcher Abstand zu verstehen und wie kommt er zustande?

Ulrike Middelhoff: Das BVL hatte angeregt, einen Kartendienst einzurichten, damit Antragsteller ihre Freisetzungsversuche besser planen können. In dem vom BfN eingerichteten Kartendienst können sie ohne großen Aufwand selbst nachsehen, ob sich ein geplanter Freisetzungsstandort in oder in der Nähe eines Natura 2000-Gebiets befindet. Die tausend Meter stellen den Prüfradius dar, innerhalb dessen genauer hingesehen werden muss. Dem Abstandswert liegt die Vermutung zugrunde, dass die Wirkradien der bisher freigesetzten GVO in der Regel innerhalb des Prüfradius von tausend Metern liegen.

bioSicherheit: Die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die in Europa und auch in Deutschland angebaut wird, ist derzeit Bt-Mais MON810. Wie sieht es denn mit der FFH-Verträglichkeitsprüfung beim Anbau eines GVO aus?

Ulrike Middelhoff: Beim Anbau von GVO verhält es sich anders als bei Freisetzungen, weil hier bereits eine europaweit gültige Genehmigung zum Inverkehrbringen vorliegt. Wenn diese Vorhaben einer FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden, dann geschieht dies durch die Behörden, die für das entsprechende Schutzgebiet zuständig sind. Die Prüfzuständigkeit liegt also bei den Ländern. Zurzeit ist allerdings nicht vollständig geklärt, ob beim Anbau von GVO überhaupt eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden darf, wenn die Genehmigung zum Inverkehrbringen des GVO ohne Auflagen zum Schutz besonderer Ökosysteme erteilt wurde. An dieser Stelle wurden die europäischen Rechtsnormen für die Bereiche Gentechnik und Naturschutz möglicherweise nicht ausreichend aufeinander abgestimmt. Eine eindeutige Äußerung der Europäischen Kommission zu dieser Frage steht noch aus.

Die Länder stehen in dieser Situation vor der Wahl: Prüfen sie nicht, so riskieren sie ggf. ein EU-Vertragsverletzungsverfahren. Prüfen sie, so riskieren sie ggf. in einer von einem Landwirt angestrengten Klage zu unterliegen. Offensichtlich entscheidet sich die Mehrzahl der betroffenen Behörden für die Prüfung. Von zwei Bundesländern sind uns inzwischen sogar Prüfradien bekannt. Diese unterscheiden sich mit achthundert Metern (Brandenburg) und tausend Metern (Sachsen) nicht wesentlich von dem zuvor angesprochenen Regelprüfradius für Freisetzungsvorhaben.

Die Behörden, die sich zur Durchführung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen beim Anbau von GVO entschlossen haben, betreten in mehrerlei Hinsicht Neuland. Da diese Prüfungen nicht in ein Genehmigungsverfahren eingebunden sind, ist es notwendig, ein eigenständiges Verfahren zu entwickeln. Die fachliche Bewertung erfordert eine Einarbeitung in Fragen zu den Auswirkungen des Anbaus von GVO auf geschützte Organismen und Lebensräume. Dennoch ist davon auszugehen, dass sich die fachlichen Entscheidungskriterien nicht von denen unterscheiden, die auch bei der Prüfung im Rahmen von Freisetzungen zugrunde gelegt werden.

bioSicherheit: Welche Pflichten hat der Landwirt, wenn er Bt-Mais in oder in der Nähe von Schutzgebieten anbauen will? Muss er bei der Unteren Naturschutzbehörde nachfragen, ob der Anbau evtl. Belange des Naturschutzes berührt?

Ulrike Middelhoff: Wenn in der Genehmigung zum Inverkehrbringen eines GVO Auflagen zum Schutz besonderer Ökosysteme formuliert sind, dann muss ein Landwirt entsprechend Paragraf fünf der Verordnung zur Guten fachlichen Praxis (GenTPflEV) bei der zuständigen Landesbehörde nachfragen, ob diese Bedingungen in seinem Fall zutreffen. Bisher existiert aber keine Genehmigung zum Inverkehrbringen, in der solche besonderen Bedingungen genannt sind, so dass sich für den Landwirt im Moment aus der GenTPflEV kein Handlungsbedarf ergibt.

Allerdings muss ein Landwirt den geplanten Anbau auf jeden Fall drei Monate vor der Aussaat dem BVL mitteilen (Standortregister, § 16a Gentechnikgesetz). Für Natura 2000-Gebiete wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dass die Mitteilung beim Standortregister des BVL gleichzeitig eine Anzeige im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) darstellt, welche dann ggf. eine FFH-Verträglichkeitsprüfung auslöst. Dies, obwohl in dieser Mitteilung keinerlei Informationen über Natura 2000-Gebiete enthalten sind. Da das BVL den Landesbehörden die in den Mitteilungen enthaltenen Informationen zur Verfügung stellt, ist es letztlich eine Entscheidung der Landesbehörden, ob sie die Mitteilung beim Standortregister gleichzeitig als eine Anzeige im Sinne des BNatSchG behandeln.

bioSicherheit: Neben den Natura 2000-Gebietengibt es ja noch weitere Arten von Schutzgebieten und schließlich den Artenschutz. Sind da auch entsprechend verschiedene Schutzziele zu beachten? Wie sieht es aus mit den behördlichen Zuständigkeiten?

Ulrike Middelhoff: Ein Antrag auf Genehmigung eines Freisetzungsvorhabens muss verschiedene Angaben zu dem geplanten Freisetzungsstandort enthalten. Außer den zuvor angesprochenen Natura 2000-Gebieten werden Angaben zum Vorkommen streng geschützter Arten, zur Nähe gesetzlich geschützter Biotope und zur Nähe von Schutzgebieten der Kategorien Naturschutzgebiet, Nationalpark oder Biosphärenreservat benötigt. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens werden mögliche Beeinträchtigungen der Umwelt durch das beantragte Freisetzungsvorhaben geprüft. Dabei ist das BVL zuständig für die gentechnikspezifischen Gefahren. Das sind Gefahren, die vom GVO selbst ausgehen. Nicht gentechnikspezifisch sind z.B. vom Antragsteller im Rahmen des Vorhabens vorgesehene Maßnahmen, wie die Errichtung von Zäunen oder ein geplanter Grünlandumbruch. Die Prüfung dieser Maßnahmen fällt in die Zuständigkeit der örtlichen Behörden.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch