EU-Kommission: Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik

Keine klare Linie bei der Koexistenz

(06.03.) Die Europäische Kommission will die Regulierung der Koexistenz von gentechnisch veränderten, konventionellen und ökologischen Kulturen in der Landwirtschaft weitgehend den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. Nationale gentechnikfreie Zonen will die Kommission aber nicht akzeptieren.

Basis der Diskussion der EU-Kommissare war eine „Mitteilung“ von ihrem für die Landwirtschaft zuständigen Kollegen Franz Fischler. Darin heißt es unter anderem, in der EU solle keine Form der Landwirtschaft ausgeschlossen werden. Allerdings: Die nach der Beratung in der Kommission veröffentlichte Erklärung fiel hinter das von Fischler vorgelegte Papier zurück. Offensichtlich wollten sich nicht alle Kommissionsmitglieder den Vorstellungen des Agrarkommissars anschließen.

Einig wurden sich die Kommissare hingegen bei ihrem Fortschrittsbericht über die EU-Biotechnologiestrategie aus dem Jahr 2002. Sie forderten die Mitgliedstaaten auf, ihre Anstrengungen auf dem Gebiet der Biowissenschaften zu intensivieren. Sonst wachse die Gefahr, das auf dem Europäischen Rat von Lissabon im März 2000 festgelegte Ziel zu verfehlen, Europa zur wettbewerbsstärksten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt zu machen.

Anbaumaßnahmen: Vermischungen vermeiden

Mit der hohen Zielsetzung der Biotechnologie-Strategie kann der Ausgang der Koexistenz-Gespräche nicht mithalten. Deutlich wurde, dass es für die Brüsseler Behörde bei der Koexistenz um wirtschaftliche und rechtliche Fragen geht, nicht um mögliche gesundheitliche Risiken. Schließlich werden gentechnisch veränderte Pflanzen in der EU nur zugelassen, wenn ihre Lebensmittelsicherheit erwiesen sei.

Darum plädiert die Kommission für den Grundsatz, jeder Landwirt solle frei entscheiden können, welche Kulturpflanzen er anbauen wolle. Bleibt zu klären, wie mit der unter dieser Voraussetzung unvermeidbaren Vermischung gentechnisch veränderter und herkömmlicher Kulturen zum Beispiel durch Saatgutverunreinigungen, Fremdbestäubung oder Durchwuchs zu verfahren ist.

Nach Auffassung der Brüsseler Kommission kann der einzelne Landwirt hierzu verschiedene Maßnahmen ergreifen:

  • Sicherheitsabstände zwischen den Feldern
  • Pufferzonen
  • „Pollenbarrieren“, die den Austrag von Pollen mindern
  • die Bekämpfung von Durchwuchs
  • ein geeigneter Fruchtwechsel und eine Abstimmung der Blühzeiten der Kulturen zwischen benachbarten Betrieben
  • eine strikte Überwachung von Anbau, Ernte, Lagerung, Transport und Verarbeitung

Fischler hatte hierzu in seiner Mitteilung präzisiert, dass derjenige Landwirt die erforderlichen Maßnahmen tragen sollte, der den wirtschaftlichen Nutzen aus dem von ihm gewählten Anbauverfahren ziehen will. Offen bleibt, wie die Lasten zu verteilen sind, wenn mehrere Betriebe gemeinsam Maßnahmen durchführen müssen. Zu klären ist auch, in weit Behörden dabei eingreifen sollen.

Um die wissenschaftliche Basis für geeignete Konzepte zu stärken, soll die Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU (Joint Research Centre - JRC) über mögliche Szenarien der Koexistenz fortgeschrieben werden.

GVO-freie Zonen: Nur freiwillig und örtlich begrenzt

Ein allgemeines Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen in den Mitgliedstaaten will die Kommission nicht akzeptieren. Der Schutz wirtschaftlicher Interessen allein sei keine ausreichende rechtsgültige Begründung für derart einschneidende Beschränkungen grundlegender Freiheiten, argumentiert die Kommission in Übereinstimmung mit Fischlers Diskussionspapier. Die Einrichtung GVO-freier Gebiete gegen den Willen einiger Landwirte würde dem Grundsatz der Koexistenz widersprechen.

Keine Einwände hat die Brüsseler Behörde gegen freiwillige Vereinbarungen zwischen Landwirten und Industrie, örtlich begrenzt auf den Anbau bestimmter gentechnisch veränderter Kulturen zu verzichten. Solche Vereinbarungen sind üblich, etwa für die Produktion von erucasäurehaltigem Raps.

Haftung und Nachbarschaftskonflikte - wer zahlt?

Ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema ist die Haftung für mögliche Schadenersatzforderungen wegen der Beimischung von Fremdgenen. Entgegen ihrer üblichen Tendenz, bei der Regelung neuer Rechtsbereiche auf EU-Ebene ihre Einflussmöglichkeiten auszuweiten, verweist die Kommission in diesem Fall eher zurückhaltend auf das Subsidiaritätsprinzip. Gemäß diesem für alle Politikbereiche geltenden Prinzip harmonisiert die EU nur, was auf nationaler Ebene nicht ausreichend zu regeln ist.

Das Diskussionspapier von Fischler war in der Haftungsfrage konkreter: Da der Kausalzusammenhang zwischen dem Anbau einer bestimmten Kultur und einem wirtschaftlichen Schaden unter Umständen schwierig zu führen ist, schlug Fischler zwei Lösungswege vor.

  • Ein Modell könnte sein, von einer Schuldvermutung auszugehen und die Beweislast umzukehren, so dass der GVO-Nutzer nachweisen müsste, die für ihn geltenden Anbaubeschränkungen eingehalten zu haben.
  • Ein anderer möglicher Weg wäre laut Fischler, einen kollektiven Haftungsfonds einzurichten.

Von beiden Modellen ist in der abschließenden Erklärung der Kommission keine Rede.

Dass die Kommission den Mitgliedstaaten verhältnismäßig viel Spielraum bei der Regulierung der Koexistenz lassen sollte, begründete Fischler im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Zum einen würde es Jahre dauern, bis sich die EU auf detaillierte Bestimmungen einigen könnte. Zum anderen seien die wirksamsten und kostengünstigsten Maßnahmen zur Sicherstellung der Koexistenz von Land zu Land und von Region zu Region aufgrund der natürlichen Bedingungen verschieden. Ein Lösungsansatz nach dem Subsidiaritätsprinzip erscheine daher am geeignetsten.

Runder Tisch

Die Aussprache in der Kommission und die Verwässerung der Fischler-Mitteilung haben gezeigt, dass die Koexistenz-Debatte erst an ihrem Anfang steht. Sie muss zügig fortgesetzt werden, denn falls die neuen EU-Vorschriften über die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von GVO in diesem Jahr in Kraft treten und das Moratorium für die Zulassung neuer GVO anschließend aufgehoben wird, sind eindeutige Bestimmungen zur Abgrenzung der verschiedenen Anbauformen unerlässlich.

Der nächste Schritt auf dem Weg dorthin soll am 24. April getan werden. Dann lädt die EU-Kommission alle Betroffenen zu einem Runden Tisch ein. Anschließend will sie zügig Leitlinien für die Lösung des Koexistenz-Problems vorlegen.