EU-Kommission

Koexistenz: Leitlinien für den GVO-Anbau

(23. Juli) Die Brüsseler Leitlinien zur Koexistenz liegen vor - und lassen vieles offen. Deren konkrete Ausgestaltung will die EU-Kommission den Mitgliedsländern überlassen. Wird der Konflikt um gentechnisch veränderte Pflanzen in die Dörfer getragen?

Franz Fischler, EU-Kommissar für Landwirtschaft: „Was am effizientesten und kostenwirksamsten ist, hängt von den jeweiligen nationalen, regionalen oder örtlichen Bedingungen ab. Daher ist eine EU-weite Einheitslösung nicht praktikabel. Die Empfehlungen stützen sich auf die neuesten Forschungsergebnisse und schaffen eine solide Grundlage, auf der die Mitgliedstaaten aufbauen sollten.“

Koexistenz: Viele Regeln oder gar keine
Auch in Deutschland wird heftig über angemessene Koexistenz-Regeln diskutiert. Vor allem die Landwirte wollen möglichst klare Regelungen. Sie sollen auch festlegen, wer für die notwendigen Maßnahmen und Analysen bezahlt.

Andere sehen keine Notwendigkeit, neue Vorschriften zu erlassen. Der bestehende Rechtsrahmen biete genügend Möglichkeiten, Streitfälle zu regeln.

In mehreren EU-Ländern sind nationale Konferenzen zu den Koexistenz-Regeln geplant.

Die Europäische Kommission hat heute die von ihr mehrfach angekündigten Leitlinien zur Koexistenz verschiedener Landwirtschaftsformen mit oder ohne Gentechnik beschlossen. Sie beschränkte sich dabei auf die Empfehlung grundlegender Prinzipien. Konkrete Maßnahmen, um die Grenzwerte für Beimischungen gentechnisch veränderter Organismen (GVO) einzuhalten, sollen die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene festlegen.

Der Grundgedanke der Leitlinien lautet: In der Einführungsphase einer neuen Produktionsweise in einer Region soll derjenige Landwirt, der auf das neue Verfahren setzt, die Verantwortung für ausreichende Reinhaltungsmaßnahmen tragen. Jeder Landwirt soll seine Produktionsweise frei wählen können, ohne dass etablierte Anbauverfahren in der Nachbarschaft deswegen angepasst werden müssten.

Im Klartext: Wer GVO anbauen will, muss dafür Sorge tragen, dass es nicht zu einer unerwünschten Ausbreitung kommt. Die Haftungsfrage klammert die Kommission in ihren Leitlinien weitgehend aus. Die Empfehlung an die Mitgliedstaaten lautet lediglich zu überprüfen, ob die bestehenden nationalen zivilrechtlichen Haftungsbestimmungen ausreichen beziehungsweise entsprechende Versicherungen angeboten werden können. In zwei Jahren will die Kommission einen Bericht über die bis dahin gesammelten Erfahrungen mit der Haftungsfrage vorlegen.

GVO-Verordnungen endgültig gebilligt

Die Grundlage für die Einführung von nationalen Koexistenz-Regeln hatten tags zuvor die europäischen Landwirtschaftsminister gelegt. Sie hatten den Anfang Juli mit dem Europaparlament vereinbarten Kompromiss zur Zulassung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln formell gebilligt. Damit können die beiden EU-Verordnungen für ein neues Zulassungs- und Kennzeichnungssystem im Amtsblatt veröffentlicht werden und 20 Tage später in Kraft treten. Nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten, voraussichtlich also im Februar oder März 2004, wird die Lebensmittelindustrie ihre Produkte dann nach den neuen Vorschriften etikettieren müssen.

Teil des GVO-Pakets ist auch, dass die Mitgliedstaaten nationale Maßnahmen zur Vermeidung unbeabsichtigter Vermischungen erlassen dürfen - die rechtliche Voraussetzung für die Umsetzung der heute beschlossenen Leitlinien.

Kulturartenspezifische Maßnahmen

In ihren Leitlinien legt die Brüsseler Kommission den nationalen Regierungen nah, transparente Regeln für die Koexistenz zu erlassen, und zwar auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis und in Zusammenarbeit mit allen Betroffenen. Die Interessen der Landwirte aller Produktionsrichtungen sollen ausgeglichen berücksichtigt werden. Die Mitgliedstaaten sollen keine Koexistenzvorschriften entwickeln, die über das zur Einhaltung der EU-weiten Kennzeichnungsschwellen notwendige Maß hinausgehen.

Empfohlen wird, kulturartspezifische Maßnahmen zu ergreifen, um das unterschiedlich hohe Ausbreitungsrisiko beispielsweise von transgenen Raps- und Kartoffelnpflanzen zu berücksichtigen. Für unbedingt notwendig hält die Kommission ein ständiges Monitoring sowie einen raschen Austausch der gesammelten praktischen Erfahrungen.

Absprachen vor Ort, keine gentechnik-freien Zonen

In einer nicht abschließenden Liste schlägt die Kommission den Mitgliedstaaten eine Reihe von Maßnahmen für die Regulierung des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen vor:

  • Maßnahmen auf den landwirtschaftlichen Betrieben (Isolationsabstände, Pufferzonen, Pollenbarrieren wie z.B. Hecken)
  • Zusammenarbeit zwischen benachbarten Bauernhöfen (Informationsaustausch über Anbaupläne, die Nutzung von Sorten mit unterschiedlichen Blühzeitpunkten)
  • Monitoring- und Notifizierungsverfahren
  • die Schulung der Landwirte
  • Informationsaustausch und Beratungsangebote

Die Priorität sollte dabei nach Ansicht der Kommission auf Maßnahmen gelegt werden, die auf den Bauernhöfen in enger Abstimmung mit den benachbarten Betrieben durchgeführt werden können. Erst wenn auf diese Weise keine ausreichende Produktreinheit erreicht wird, sollte zu angemessenen regionalen Maßnahmen gegriffen werden.

Landesweit angeordnete GVO-freie Zonen schließt die Kommission aus. Allenfalls freiwillige, regional und auf bestimmte Kulturen begrenzte Verzichterklärungen will die Kommission akzeptieren, wenn alle andere Maßnahmen die Koexistenz nicht sichern können.

Nicht alle europäischen Landwirtschaftsminister sind von dem großen Spielraum überzeugt, den ihnen die Kommission in der Koexistenz überlassen will. Deutschland, Österreich und Luxemburg sprachen sich für einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen aus.

  • Bundesverbraucherministerin Renate Künast warnte davor, den Konflikt in die Dörfer zu tragen. Die Landwirte bräuchten Rechts- und Planungssicherheit, sagte Künast in Brüssel. Sie befürchtet Wettbewerbsverzerrungen, wenn jedes Land seine eigenen Vorschriften zur Koexistenz erlassen sollte.
  • Einige Minister plädierten für einen zweistufigen Ansatz: Zunächst sollten mit den Leitlinien im Mais- und Rapsanbau Erfahrungen gesammelt werden, um dann, falls die gewählten Maßnahmen nicht ausreichen sollten, einen rechtlich verbindlichen Rahmen vorzugeben.
  • Nach Auffassung von EU-Agrarkommissar Franz Fischler wären EU-einheitliche Regelungen hingegen ungeeignet. Wirksame und kostengünstige Maßnahmen müssten den jeweiligen nationalen, regionalen oder lokalen Gegebenheiten angepasst sein, begründete Fischler den zurückhaltenden Ansatz der Kommission.

Bald neue Zulassungen

Die Leitlinien vervollständigen den europäischen Rechtsrahmen für die Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen. Die Europäische Kommission kündigte an, die Prüfung von Zulassungsanträgen für neue GVO fortzusetzen. Damit dürfte es nur noch eine Frage kurzer Zeit sein, bis die ersten Genehmigungen ausgesprochen werden und das seit 1998 geltende „de facto“-Moratorium ebenso de facto endet. EU-Verbraucherkommissar David Byrne geht davon aus, dass im Herbst die ersten Zulassungsverfahren abgeschlossen sein werden.