EU-Kommission zum deutschen Gentechnik-Gesetz

Brüssel verlangt Überarbeitung

(30.07.) In einer offiziellen Stellungnahme hat die EU-Kommission das von der Bundesregierung vorgelegte Gentechnik-Gesetz gerügt. In seiner jetzigen Form verstoße es mehrfach gegen EU-Recht. Nun ist die Bundesregierung aufgefordert, das Gentechnik-Gesetz zu überarbeiten und der EU-Kommission erneut zur Überprüfung vorzulegen. Kommt Deutschland dieser Aufforderung nicht nach, hat die Kommission bereits ein formelles Mahnverfahren angekündigt.

beginnende Maisblüte

Haftung auch bei guter fachlicher Praxis? Die im Gentechnik-Gesetz vorgesehenen Haftungsregelungen führen zu einem hohen und nicht vorhersehbaren Risiko für GVO-Landwirte, kritisiert die EU-Kommission.
(Foto: Feld mit Bt-Mais)

Grundsätzlich werden alle in einem Mitgliedstaat erlassenen Rechtsvorschriften der EU-Kommission zur Notifizierung vorgelegt. Dabei wird geprüft, ob sie mit EU-Recht und den Verträgen der Gemeinschaft vereinbar sind. Noch ist das Gentechnik-Gesetz nicht rechtskräftig beschlossen und eine formelle Notifizierung daher noch nicht möglich. Vorab hat die EU-Kommission ihre Bedenken an der aktuellen Version des deutschen Gentechnik- Gesetzes in einer „ausführlichen Stellungnahme“ niedergelegt. Deutschland ist nun aufgefordert, diese noch in das Gesetz einzuarbeiten. Das endgültig beschlossene Gentechnik-Gesetz wird dann von der EU-Kommission formell notifiziert.

Deutschland auf nationalen Sonderwegen

In ihrer Stellungnahme vom 26. Juli 2004 kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass der Regierungsentwurf des Gentechnik-Gesetzes mehrere EU Rechtsvorschriften sowie allgemeine Grundsätze des EG-Vertrages verletzt.

Zum einen kritisiert sie die „nicht ordnungsgemäße Umsetzung“ von EU-Vorschriften durch das Gentechnik-Gesetz. Zum anderen wolle Deutschland verbindliche und bereits rechtskräftig beschlossene EU-Normen unzulässigerweise durch eigene nationale Vorschriften untergraben.

  • Anlass für die Neubearbeitung des Gentechnik-Gesetzes war die überfällige Umsetzung von EU-Vorschriften wie der Freisetzungs-Richtlinie (2001/18) in deutsches Recht.
  • Die Kommission listet zahlreiche Einzelvorschriften des Gentechnik-Gesetzes auf, bei denen die Bestimmungen der Freisetzungs-Richtlinie nicht oder nur unzureichend umgesetzt werden, etwa die im Gentechnik-Gesetz vorgesehenen Regelungen zur Unterrichtung der Öffentlichkeit oder zur Kennzeichnung von GVOs.
  • Seit April sind die beiden EU-Verordnungen zu gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln (1829/2003) und zur Rückverfolgbarkeit (1830/2003) rechtswirksam. Sie gelten unmittelbar in allen EU-Ländern und müssen nicht in nationales Recht umgesetzt werden. In solchen Fällen werden eigene nationale Durchführungsbestimmungen nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht betrachtet.
  • Nach Auffassung der Kommission trifft das auf Teile des rot-grünen Gentechnik-Gesetzes zu. An verschiedenen Stellen übernimmt es nicht die beschlossenen und in allen übrigen EU-Ländern gültigen Vorschriften, sondern führt „durch die Hintertür“ eigene Normen ein. Würde das deutsche Gentechnik-Gesetz in dieser Form rechtskräftig, beständen insbesondere für die Landwirtschaft in Deutschland andere Rahmenbedingungen als in den übrigen EU-Ländern.

Kommission kritisiert deutsche Koexistenzregeln

Gerade die auch in Deutschland heftig umstrittene Bestimmungen des Gentechnik- Gesetzes zu Haftung und Koexistenz zwischen GVO- und GVO-freiem Anbau in der Landwirtschaft werden von der Kommission als Verstöße gegen EU-Recht gewertet.

  • Deutscher Schwellenwert? Kommt es durch Auskreuzungen und andere zufällige Vermischungen in der Ernte eines konventionellen Landwirtes zu GVO-Einträgen, so sind die daraus folgenden wirtschaftlichen Schäden entschädigungspflichtig. Ein solcher Schaden liegt dann vor, wenn der GVO-Eintrag den in den EU-Vorschriften festgelegten Schwellenwert von 0,9% übersteigt und damit eine Kenzeichnungspflicht auslöst.
    Das Deutsche Gentechnik-Gesetz sieht jedoch eine Entschädigungspflicht auch bei GVO-Einträgen unterhalb dieses Schwellenwerts vor - wenn etwa ein Landwirt mit seinen Abnehmern strengere Werte vereinbart hat. Die Kommission wertet das als „zusätzliche nationale Kennzeichnungsanforderungen“ und eine unzulässige Einführung nationaler Schwellenwerte.
  • Haftung: Einseitige Risiken. Auch das im Gentechnik-Gesetz vorgesehene Konzept der gesamtschuldnerischen, verschuldensunabhängigen Haftung wird von der Kommission in deutlichen Worten kritisiert. In Deutschland soll ein GVO-Landwirt künftig auch dann haften, wenn er die noch festzulegenden Regeln der „guten landwirtschaftlichen Praxis“ einhält. Zudem sollen alle GVO-Landwirte einer Region zur Haftung bei wirtschaftlichen Schäden durch GVO-Enträge herangezogen werden.
    Die EU-Kommission kritisiert, dass GVO-Landwirte für Schäden haftbar gemacht werden, unabhängig davon, ob sie die Regeln guter fachlicher Praxis beachten oder nicht. Dies sei „nicht akzeptabel.“ Zudem müssten Landwirte unter Umständen auch für Folgen haften, für die sie nicht verantwortlich sind - etwa wenn bereits das Saatgut zu hohe GVO-Anteile enthielt oder ein konventioneller Landwirt gegen die gute landwirtschaftliche Praxis verstößt. Ingesamt bemängelt die Kommission, dass die im Gentechnik-Gesetz vorgesehenen Haftungsregelungen „zu einem hohen und nicht vorhersehbaren Risiko für GVO-Landwirte führen.“
  • EU-Zulassungen: auch in Deutschland. Kern der EU-Vorschriften zur Gentechnik sind EU-weite Zulassungsverfahren, die eine fundierte wissenschaftliche Sicherheitsbewertung einschließen. Für jede genehmigte gv-Pflanze werden spezifische Maßnahmen festgelegt, die bei Anbau und Vermarktung zu beachten und EU-weit verbindlich sind. Die Kommission bemängelt, dass einige Regelungen des deutschen Gentechnik-Gesetzes als zusätzliche, zum Teil nicht angemessene Maßnahmen aufzufassen sind, die zu anderen Rahmenbedingungen führen als in den übrigen EU-Ländern. Zudem verlange das Gentechnik-Gesetz Vorsorgemaßnahmen selbst dann, wenn diese nicht erforderlich seien.
  • Bundesländer sehen sich bestätigt. Die Mehrheit der deutschen Bundesländer sieht sich mit der Stellungnahme der EU-Kommission in ihrer Kritik am rot-grünen Gentechnik-Gesetz bestätigt. Am 9. Juli hatten sie es im Bundesrat abgelehnt und den Vermittlungsausschuss angerufen.
    Auch wenn die rot-grüne Regierungskoalition ihr Gentechnik-Gesetz am Ende im Bundestag durchsetzen kann - in dem nach der Sommerpause beginnenden Vermittlungsverfahren könnte das Gentechnik-Gesetz noch einmal überarbeitet werden. Bleibt Berlin jedoch bei der eingeschlagenen Linie, scheint ein Konflikt mit der Kommission und am Ende ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof unausweichlich.