Saatgut-Schwellenwerte

EU-Kommission vertagt sich

(08.09.2004) Kurz vor Beginn der turnusmäßigen Sitzung hat die EU-Kommission die geplante Entscheidung über zulässige Schwellenwerte für GVO-Beimischungen in Saatgut von der Tagesordnung abgesetzt. Offenbar konnten die Meinungsunterschiede innerhalb der Kommission nicht beigelegt werden. Nun sollen die Ergebnisse einer Untersuchung über die wirtschaftlichen Auswirkungen verschiedener Schwellenwerte abgewartet werden. Wahrscheinlich wird erst die ab November amtierende Kommission des neuen Präsidenten Jose Barroso die Frage der Saatgut-Schwellenwerte entscheiden.

EU-Umweltkommissarin Margot Wallström macht sich für einen Schwellenwert von 0,3 Prozent bei Saatgut stark. Während Agrarkommissar Franz Fischler sie dabei unterstützt, will Verbraucherkommissar David Byrne den Schwellenwert bei Maissaatgut bei 0,5 Prozent festlegen.

Seit Monaten hatte die EU-Kommission die fällige Entscheidung über Schwellenwerte für GVO-Bestandteile in konventionellem Saatgut immer wieder verschoben.Ein neuer Vorschlag war notwendig geworden, da die Kommission im Herbst 2003 ihren ersten Versuch abgebrochen hatte. Damals folgte sie den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Ausschusses für Pflanzen. Zudem hatte die Kommission ein anderes Entscheidungsverfahren gewählt, bei dem die Mitgliedsländer ein größeres Mitspracherecht haben.

0,3 Prozent: Der Wallström-Vorschlag

Zuletzt legte die zuständige Umweltkommissarin Wallström ihren Kollegen einen Vorschlag vor. Danach sollten bei Raps und Mais im Saatgut zufällige, technisch unvermeidbare GVO-Beimischungen bis zu 0,3 Prozent ohne Kennzeichnung möglich sein.

Für Saatgut anderer Kulturarten werden vorerst keine Schwellenwerte genannt, da ein GVO-Anbau in der EU bislang nicht abzusehen ist. Die bisher genannten Schwellenwerte von 0,5 Prozent für Zuckerrüben, Futterrüben, Kartoffeln und Baumwolle sowie 0,7 Prozent für Sojabohnen sind damit vom Tisch. Auch für Mais war in früheren Entwürfen noch ein höherer Schwellenwert (0,5 Prozent) als der aktuell beschlossene 0,3 Prozent-Wert vorgesehen.

GVO-Beimischungen bis zur Höhe des jeweiligen Schwellenwerts sind nur von solchen gv-Pflanzen erlaubt, für die die im Rahmen der EU-Zulassungsverfahren vorgeschriebene wissenschaftliche Sicherheitsbewertung abgeschlossen ist und die jeweilige gv-Pflanze dabei als „sicher“ eingestuft wurde.

Wettbewerb mit GVO-Spuren. Zudem räumt der Wallström-Vorschlag den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, weitergehende Regelungen zu erlassen. Sie könnten etwa den Saatgutherstellern erlauben, auf den Verpackungen den exakten Wert der jeweiligen GVO-Beimischung anzugeben. Auch könnten Hersteller für ihre Produkte strengere Schwellenwerte festlegen und eine Garantie für deren Einhaltung übernehmen. Damit könnten sich Anbieter von „GVO-freiem“ Saatgut am Markt profilieren.

Unterstützung für den Wallström-Vorschlag kam von Agrarkommissar Franz Fischler. Am Rande eines EU-Agrarministerrats-Treffens im niederländischen Noordwijk erklärte er, er halte den Wert für angemessen und praktikabel. Auch der beschlossene Schwellenwert für Lebensmittel von 0,9 Prozent könne so eingehalten werden. Die deutsche Verbraucherschutzministerin Renate Künast dagegen sprach sich erneut für einen Saatgut-Schwellenwert an der technischen Nachweisgrenze (0,1 Prozent) aus.

Reinheitsgebot gegen Praktikabilität - kein Ende des Grundsatzstreits. Der erneute Aufschub der Entscheidung durch die Kommission wurde vor allem von gentechnik-kritischen Gruppen und Verbänden begrüßt. Diese fordern seit langem ein „Reinheitsgebot“ für Saatgut und einen faktischen Null-Prozent-Schwellenwert, der sich an der technischen Nachweisgrenze von 0,1 Prozent orientiert. Diese Gruppen werten die Festsetzung eines GVO-Schwellenwerts bei Saatgut als potenzielle Erlaubnis zur Freisetzung einzelner gentechnisch veränderter Pflanzen, ohne dass der jeweilige Landwirt darauf hingewiesen wird. Die Gentechnik-Kritiker setzen darauf, dass sie nach Amtsantritt der neuen Kommission bessere Chancen haben, ihr Anliegen durchzusetzen.

Züchter und Saatgutindustrie waren schon mit den von der Kommission vorgeschlagenen Schwellenwerte unzufrieden. Sie verweisen auf Erfahrung in der Praxis, dass es absolute Reinheit bei Saatgut nicht geben kann. Saatgut wird unter natürlichen Bedingungen vermehrt - und in einem offenen System können „Verunreinigungen“ aller Art auch mit einer aufwändigen Qualitätssicherung nicht völlig ausgeschlossen werden. „Saatgutschwellenwerte an der Nachweisgrenze lassen der deutschen Saatgutwirtschaft nur die Möglichkeit, die Saatgutproduktion - auf immerhin 224.000 Hektar in Deutschland - einzustellen oder zwangsweise alle Saatgutpartien zu kennzeichnen“, erklärte der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Erneut forderte der Verband eine schnelle Einigung auf „realistische und praktikable Schwellenwerte“.