Horizontaler Gentransfer

Neue Bewegung in einem alten Streit

Können fremde Gene aus gentechnisch veränderten Pflanzen von Mikroorganismen aufgenommen werden? Und wenn ja - welche Folgen hätte das? Um diese Fragen wird gestritten, seit vor vielen Jahren die ersten transgenen Pflanzen ins Freiland kamen. Heute, nach mehreren Forschungsprojekten geht man davon aus, dass ein derartiger horizontaler Gentransfer zwar theoretisch möglich, in der Natur jedoch ein extrem seltenes Ereignis ist. Doch nun haben englische Untersuchungen die Öffentlichkeit erneut aufgeschreckt: Erstmals soll der Übergang von Pflanzen-Genen auf Bakterien nachgewiesen worden sein - im menschlichen Darm.

Darmbakterien . Grundsätzlich ist es denkbar, dass Bakterien Pflanzengene aus der Nahrung aufnehmen. Bisher konnte ein solcher horizontaler Gentransfer nur in Laborversuchen nachgewiesen werden, nicht jedoch unter natürlichen Bedingungen.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussionen um Antibiotikaresistenz-Gene, die als Marker bei gentechnisch veränderten Pflanzen verwendet werden, hatte die englische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Food Standards Agency, FSA) mehrere Studien in Auftrag gegeben. Ihr Thema: Das Überdauerungsvermögen von DNA im Verdauungstrakt und die Möglichkeit der Aufnahme von Markergenen durch die im Darm lebenden Mikroorganismen (horizontaler Gentransfer).

Noch sind nur vorläufige Reports veröffentlicht, doch eine der Studien machte bereits Schlagzeilen: Eine Gruppe an der Universität Newcastle hat Hinweise gefunden, dass Darmbakterien tatsächlich Pflanzen-DNA aufgenommen haben. Ist damit erstmals der Beweis erbracht, dass Marker- und andere Gene aus verzehrten Pflanzen im Darm auf Mikroorganismen übertragen werden?

Allerdings: Auch das Team aus Newcastle hat seine Untersuchungen nicht im „natürlichen“ Verdauungssystem durchgeführt, sondern bei Personen mit einem künstlichen Darmausgang. Die Pflanzen-DNA wurde aus einer Masse isoliert, die aus einer Zwischenphase des Verdauungsvorgangs stammt, in der dieser noch nicht abgeschlossen ist. Im Stuhlgang „normaler“ Testpersonen konnte in keinem Fall Pflanzen-DNA mehr nachgewiesen werden.

Nur im Labor oder auch im Darm?

Die Lebensmittelbehörde FSA, Auftraggeber der Studien, zeigte sich von den Ergebnissen wenig überrascht. „Unter lebensnahen Bedingungen konnte an freiwilligen Testpersonen gezeigt werden, dass kein DNA-Material aus GVO-Pflanzen die Passage durch den Verdauungstrakt übersteht.“ Ein vereinzeltes Überleben von DNA wurde lediglich unter künstlichen, dem Verdauungssystem nachgestellten Versuchsbedingungen beobachtet, so die FSA.

Gentechnik-Kritiker fühlen sich durch die Befunde aus Newcastle bestätigt. Für sie war zum ersten Mal der Nachweis erbracht, dass Darmbakterien tatsächlich DNA aus GVO-Pflanzen aufnehmen.

Experten: Zweifel am Gentransfer

Die Befunde aus Newcastle werfen zwei Fragen auf:

  • Können die unter besonderen Umständen - Personen mit künstlichem Darmausgang - gefundenen Ergebnisse verallgemeinert werden? Sind sie ein Beleg dafür, dass Gentransfer-Ereignisse im menschlichen Darm zu erwarten sind?
    Die meisten Wissenschaftler reagieren eher zurückhaltend. John Heritage von der University of Leeds, Autor einer der FSA-Studien, plädiert dafür, weniger an Modellsystemen zu arbeiten, sondern verstärkt Untersuchungen an natürlichen Systemen durchzuführen.
  • Kann bereits - wie in der Studie aus Newcastle - der Nachweis von Pflanzen-DNA in Bakterien aus dem Darm der „positiven“ Testpersonen als Beweis angesehen werden, dass ein horizontaler Gentransfer stattgefunden hat?
    Andere Experten folgen dieser Interpretation nicht. Aus dem Vorhandensein bestimmter DNA könne nicht geschlossen werden, dass die entsprechenden Gene tatsächlich in das Bakterien-Erbgut aufgenommen seien. Auch andere plausible Erklärungen seien möglich. Erst nach ihrer Integration können die Gene biologisch aktiv werden. Ein Nachweis der Integration ist jedoch in Newcastle nicht geführt worden.

In den USA hat man wenig Verständnis für die europäischen Diskussionen um Markergene und horizontalen Gentransfer. Dass Erreger von Infektionskrankheiten zunehmend gegen Antibiotika resistent werden und damit deren Bekämpfung erschwert wird, gilt als ernstes Problem. Die Hauptursachen dafür liegen in einer zu leichtfertigen Verwendung von Antibiotika in der Medizin und als Tierfutterzusatz. Einige Antibiotikaresistenz-Marker, die vielleicht vereinzelt von Mikroorganismen aufgenommen werden, fallen dagegen kaum ins Gewicht.

Vor dem Hintergrund wachsender Probleme mit Infektionskrankheiten kommentierte Abigail Salyers, Präsidentin der Amerikanischen Gesellschaft für Mikrobiologie, die anhaltende Debatte um Markergene: „Stellen Sie sich vor, Sie sind Zuhause und hören Geräusche. Beim Blick aus dem Fenster sehen Sie Einbrecher, die dabei sind, ihre Eingangstüre aufzubrechen. Sie rennen zum Telefon und rufen die Polizei. Eine automatische Ansage teilt Ihnen jedoch mit, dass die Polizei nicht in der Lage sei Ihnen zu helfen, da man gerade an einem Seminar darüber teilnähme, was zu tun sei, wenn Aliens in Ihrer Stadt landen!“

Hintergrund: Zweifel an der Sicherheit von Markergenen

Umstritten sind vor allem die Antibiotikaresistenz- Gene, die in der Gentechnik als Marker verwendet werden, um gentechnisch veränderte Pflanzenzellen identifizieren zu können. In vielen Fällen bleiben die Markergene in den veränderten Pflanzen. Im Falle eines Anbaus werden die Markergene - wie alle anderen Pflanzengene auch - mit der Nahrung aufgenommen. Befürchtet wird, dass die Markergene auf die im Darm von Menschen oder Tieren siedelnden Mikroorganismen übergehen. Im schlimmsten Fall könnten im Darm vorhandene Krankheitserreger mit dem entsprechenden Antibiotikum nicht mehr bekämpft werden.