Gatersleben: Freisetzungsversuch mit gv-Weizen

Weizen mit mehr Protein in den Körnern

In Sachsen-Anhalt hat ein Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem Winterweizen begonnen. Der vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben beantragte Versuch war zuvor vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) mit Auflagen genehmigt worden. In den Weizen sind zwei Gene aus Gerste und Ackerbohne eingeführt worden. Ziel ist es, den Proteingehalt in den Weizenkörnern zu erhöhen.

Weizen

Weizen weist in seinen Samenkörnern einen im Vergleich zu anderen Pflanzen geringen Proteingehalt auf. Bisher ist es nicht gelungen, mit konventionellen Züchtungstechniken den Proteingehalt zu erhöhen. Die Gentechnik könnte neue Möglichkeiten eröffnen. Nun soll im Freiland überprüft werden, ob die neue Strategie funktioniert.

In den Vegetationsperioden 2006/2007 und 2007/2008 sollen nun auf einer rund 1200 Quadratmeter großen Fläche etwa 11200 Pflanzen freigesetzt werden.

Im Rahmen des Freisetzungsversuches werden verschiedene gv-Weizenlinien überprüft. Die übertragenen Gene stammen aus Gerste und Ackerbohne und codieren für spezielle Proteine, die für den Transport von Zuckern und Aminosäuren in die entstehenden Samenkörner verantwortlich sind. Unter Gewächshausbedingungen hatte sich gezeigt, dass die Aktivität dieser Gene zu erhöhten Proteingehalten in den Samen der Weizenlinien führt.

Proteine gehören zu den wichtigsten Grundnährstoffen und sind essentiell für Wachstum und Entwicklung. Wichtige Proteinquellen sind tierische Lebensmittel wie Fleisch, Fisch, Milch oder Eier sowie Pflanzensamen. Besonderns proteinreiche Samen bilden vor allem Körnerleguminosen wie Soja, Erbsen, Lupinen und Ackerbohnen (25-50 Prozent Protein). Einen deutlich geringeren Gehalt weisen die Samen der Getreidearten auf (9-12 Prozent). Auch wenn Getreide eher als Stärkelieferant dient, gibt es seit langem Bestrebungen, seinen Proteingehalt zu erhöhen - bisher allerdings ohne Erfolg: Trotz jahrzehntelanger Anstrengungen hat man dieses Ziel mit konventionellen Züchtungstechniken nicht erreichen können, ohne dafür deutliche Ertragseinbußen in Kauf nehmen zu müssen.

Mehr Transport-Proteine, mehr Proteine in den Weizenkörnern

Mit Hilfe der Gentechnik haben sich neue Möglichkeiten eröffnet. Ansatzpunkte sind die biochemischen Vorgänge, die zur Bildung von Proteinen in Samen führen. Nach der vegetativen Phase, in der die Pflanze Grünmasse produziert, folgt die Blüten- und Samenentwicklung (reproduktive Phase). Die Grundbausteine der Proteine, die Aminosäuren, werden nun aus den vegetativen Teilen der Pflanze, etwa den Blättern, über Leitbahnen durch Stängel und Spross in die noch jungen, gerade entstehenden Samen transportiert. Ähnliches passiert mit den Zuckerbausteinen, die zum Aufbau von Stärke und als Kohlenstoff-Gerüste für die Aminosäuren benötigt werden. In den Samen werden aus den Aminosäuren die für jede Pflanzengruppe typischen Samenspeicherproteine zusammengefügt.

Der Transport von Aminosäuren und anderen Grundstoffen zum Aufbau von Proteinen in die Samen wird mit Hilfe bestimmter Transport-Proteine organisiert. Mehrere solcher Transport-Proteine sowie die dazu gehörenden Gene wurden in den vergangenen Jahren im IPK Gatersleben isoliert, charakterisiert und untersucht. Die Frage lag nahe: Lässt sich durch eine vermehrte Bildung bestimmter Transport-Proteine ein verstärkter Aminosäuretransfer in die Samen und in der Folge eine Steigerung des Proteingehalts erzielen?

In einem bereits früher durchgeführten Versuch konnte diese Vermutung tatsächlich bestätigt werden: Ein aus Ackerbohne isoliertes Gen für ein bestimmtes Transport-Protein (VfAAP1, _Vicia faba amino acid permease_1) hatten die Wissenschaftler zunächst in eine verwandte Bohnenart und in Erbse übertragen. In beiden Pflanzen stieg danach der Gesamtstickstoffgehalt, Indikator für die Proteinbildung, signifikant an.

In parallel durchgeführten Experimenten war das VfAAP1-Gen auch in die Winterweizensorte Certo eingeschleust worden. Zusätzlich wurden Weizenlinien hergestellt, die ein Gen aus Gerste enthalten (HvSUT1), das für einen Saccharose-Transporter codiert. Die Erwartung war, dass es dadurch zur Bereitstellung einer größeren Zahl von Kohlenstoffgerüsten und als Folge davon ebenfalls zu einer gesteigerten Proteinsynthese kommen könnte.

Erste Untersuchungen von Gewächshauspflanzen haben gezeigt, dass im Weizen der Proteingehalt der Körner sowohl bei Expression des VfAAP1- als auch des HvSUT1-Gens ansteigt. Allerdings: Gewissheit darüber, ob eine solche Strategie unter realen Anbaubedingungen funktioniert, bekommt man nur im Freiland.

Eine Weiterentwicklung der transgenen Weizenlinien zu neuen kommerziellen Sorten ist nicht vorgesehen. Zweck der Versuche ist es, den neuen Ansatz zur Steigerung des Proteingehalts unter Freilandbedingungen zu überprüfen. Daher ist bisher darauf verzichtet worden, die bei der Erzeugung benötigten Markergene zu eliminieren. Die gv-Weizenlinien enthalten einen pflanzlichen Selektionsmarker (Resistenz gegen Herbizidwirkstoff Glufosinat) und zwei bakterielle Antibiotikaresistenz-Marker.

IPK: Freisetzungsversuch ist keine Gefahr für die Genbank

In der Genehmigung stellt das BVL fest, dass von dem geplanten Versuch keine schädlichen Einflüsse auf Mensch und Tier sowie die Umwelt ausgehen. Die Wahrscheinlichkeit einer Auskreuzung sei grundsätzlich als gering anzusehen. Als Selbstbestäuber befruchtet sich Weizen innerhalb der Blüte durch eigenen Pollen. Vorsorglich muss aber ein Mindestabstand von 120 Metern zu anderen Weizenfeldern eingehalten werden, zu Vermehrungsflächen der Genbank des IPK sogar 500 Meter. Die Freisetzungsfläche wird von der Genbankfläche zusätzlich durch eine Mantelsaat sowie Gebüsch und Baumstreifen abgeschirmt. Das BVL hat darüber hinaus weitere vorsorgliche Sicherheitsmaßnahmen verfügt. So muss die Versuchsfläche eingezäunt werden, damit Weizenkörner nicht von Wildtieren verschleppt werden können und während der Körnerreife muss ein Vogelnetz gespannt werden.

Gegen den Versuch in Gatersleben gingen beim BVL 30000 Einwendungen ein. Die Kritiker befürchten insbesondere, dass es infolge des Versuchs zu Einkreuzungen von gv-Weizen in die seltenen Pflanzen auf den Vermehrungsflächen der Genbank kommen könnte und daher wertvolle genetische Ressourcen gefährdet seien. Ein kleiner Teil der in der Genbank gelagerten Samenproben wird jährlich ausgepflanzt und im Feld vermehrt.

Das IPK hatte auf die Befürchtungen entgegnet, dass es seit jeher „oberstes Gebot der Genbankarbeit“ sei , Auskreuzungen zwischen Pflanzen unterschiedlicher Herkünfte zu vermeiden. Molekulare Untersuchungen haben gezeigt, dass dies durch die bisherige Anbaupraxis beim Weizen gelungen sei. Seit über fünfzig Jahren seien tausende unterschiedliche Weizenherkünfte mehrfach im Feld vermehrt worden, ohne dass eine Vermischung nachgewiesen werden konnte.

Mit einem Gesamtbestand von etwa 150.000 Mustern aus 2.500 Arten zählt die Genbank des IPK zu den weltweit größten Einrichtungen ihrer Art. Sie leistet einen wichtigen Beitrag, um das Aussterben von Kulturpflanzen und deren verwandten Wildarten zu verhindern.