Debatte: Zukunft der Sicherheitsforschung

„Aus Sicht des Ökolandbaus sehe ich keine Notwendigkeit, auf transgene Pflanzen zu gehen.“

Urs Niggli

Prof. Dr. Urs Niggli ist Agrarwissenschaftler und arbeitete bis Ende der 1980er Jahre zum Thema Unkrautbekämpfung. Seit 1990 ist er Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in Frick (Schweiz). Er gehört unter anderem der DFG-Senatskommission für Stoffe und Ressourcen in der Landwirtschaft und dem Wissenschaftlichen Beirat des Johann Heinrich von Thünen-Institutes an.

bioSicherheit: Wo liegen Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Herausforderungen in der Pflanzenzüchtung in den nächsten zehn Jahren? Wie stellt sich das aus Sicht der Züchtung für den ökologischen Landbau (organic breeding) dar?

Urs Niggli: Die wichtigsten Herausforderungen für die Pflanzenzüchtung sind sicher dort, wo Ressourcen in Zukunft beschränkt sein werden. Das ist der Wasserhaushalt, aber das sind auch die Nährstoffe. Die Phosphor- und Kalivorkommen werden in vierzig bis sechzig Jahren erschöpft sein und Stickstoff wird mit steigendem Ölpreis für die Landwirtschaft unerschwinglich werden. Die effizientere Nutzung dieser Nährstoffe, aber auch die Synchronisierung des Pflanzenwachstums und der Nährstoffaufnahme mit der Mineralisierung von organisch gebundenen Nährstoffen sind wichtige Fragestellungen für den Ökolandbau, weil dort nur organisch gedüngt wird. Diese Fragen werden aber auch für die konventionelle Landwirtschaft wichtig werden, weil auch diese viel stärker zu geschlossenen Kreisläufen zurückfinden muss. Daneben ist noch Resistenz oder höhere Toleranz für Krankheiten und Schädlinge wichtig und, weil im Ökolandbau keine Herbizide angewandt werden, die Wettbewerbsfähigkeit der Pflanze gegenüber Unkräutern, das heißt die Fähigkeit, rasch den Boden zu bedecken und Unkräuter zu beschatten und zu konkurrenzieren.

bioSicherheit: Lassen Sie uns ein Beispiel herausgreifen. Wie geht man das Ziel der effizienteren Wassernutzung bzw. Trockentoleranz im organic breeding an?

Urs Niggli: Grundsätzlich haben wir bezüglich Wasserhaushalt eine doppelte Strategie: Wir gehen es sowohl über das Anbausystem als auch über die Züchtung an. Und diese Dualität der Problemlösung finde ich sehr wichtig, denn wir können zum Beispiel über Humusaufbau, über Bodenfruchtbarkeit, über Fruchtfolgen, aber auch über Maßnahmen zur Landschaftsgestaltung unglaublich viel dazu beitragen, dass Wasser gut gespeichert und effizienter genutzt werden kann. Allein schon durch vielfältige Fruchtfolgen kann man mit den unterschiedlichen Wurzelhorizonten der verschiedenen Pflanzen Wasser sehr viel effizienter nutzen, oder mit immer geschlossenen Pflanzendecken kann man der Austrocknung des Bodens vorbeugen – da gibt es ganz spezifische Maßnahmen, die in der konventionellen Landwirtschaft sträflich vernachlässigt werden. Das zweite ist dann die Züchtung auf Wassernutzungseffizienz, und da wird die klassische Züchtung vollständig unterschätzt. Das haben ja gerade die Arbeiten von Marianne Bänziger am CIMMYT in Mexiko und in Nairobi gezeigt, die mit klassischer Züchtung das Ertragspotenzial von Mais auch unter sehr trockenen Bedingungen massiv steigern konnte. Die Fähigkeit, mit Wasser effizient umzugehen, ist genetisch vermutlich relativ kompliziert verankert, und dadurch kommt man mit klassischer Züchtung sehr effizient vorwärts. Aus Sicht des Ökolandbaus sehe ich da absolut keine Notwendigkeit, auf transgene Pflanzen zu gehen.

bioSicherheit: Können Sie sich vorstellen, dass auch durch klassisch gezüchtete Pflanzen Sicherheitsprobleme aufgeworfen werden, etwa wenn eine neue Eigenschaft wie Trockentoleranz oder schnelleres Wachstum auf wilde Verwandte auskreuzt und diese dann einen Standortvorteil gegenüber anderen Wildpflanzen haben?

Urs Niggli: Die Frage nach den Risiken durch Auskreuzung stellt sich bei ganz neuen Genkonstrukten im verschärften Masse. Aber auch die normale Züchtung hat über Jahrtausende Eigenschaften, die man speziell selektioniert hat, auf Wildpflanzen ausgekreuzt. In den meisten Fällen waren die neuen Eigenschaften in den Wildpflanzen dann rezessiv, das heißt, sie haben sich in der Natur häufig nicht durchgesetzt. Ich verharmlose deshalb die stetige Beeinflussung der natürlichen Ökosysteme durch die züchterische Tätigkeit der Landwirtschaft nicht, aber ich mache einen klaren Strich bei der Gentechnik, für die erhöhte Risiken gelten, welche bezüglich Sicherheitsforschung auch speziell angeschaut werden müssen.

Wir sind zum Beispiel auch bei der Zulassung von biologischen Pflanzenschutzmitteln restriktiv. Räuberische Insekten etwa, welche in einem Ökosystem nicht heimisch sind, werden von uns nicht für den Biolandbau zugelassen. Probleme gab es letztes Mal beim asiatischen Marienkäfer, der in Europa sehr invasiv ist und durch Wissenschaftler der INRA in Frankreich unvorsichtigerweise freigesetzt wurde. Das FiBL hat jedoch die Zulassung verboten und zusammen mit der Industrie die Züchtung einheimischer Marienkäferarten vorwärts getrieben.

bioSicherheit: Welche Erwartungen haben Sie an eine zukünftige biologische Sicherheitsforschung zu gentechnisch veränderten Pflanzen?

Urs Niggli: Es gibt ja keine Technologie, die bisher so stark von Sicherheitsforschung begleitet wurde wie die Gentechnologie. Es gibt sehr viel Kritik daran, dass hier unglaublich viel Geld investiert wurde, und die Frage ist, ob das wirklich nötig ist. Das wurde auch beim Runden Tisch mit Frau Schavan diskutiert. Wenn ich mir jetzt aber neueste Arbeiten an der Uni Zürich anschaue, die im Rahmen des NFP59 gemacht wurden mit dem pilzresistenten Weizen, da fällt ja auf, dass erstens die transgenen Pflanzen sich im Gewächshaus völlig anders verhalten haben als im Feld, zweitens, dass völlig überraschende Nebeneffekte aufgetreten sind wie Ertragseinbrüche oder verstärkte Infektionen mit Mutterkorn, und drittens, dass nicht nur die Sequenz des Transgens eine Rolle spielt, sondern auch der Insertionsort, der die Expression des Transgens beeinflusst. Das zeigt, dass von den Wissenschaftlern eine Sicherheit im Umgang mit der Gentechnik angenommen wird, die eigentlich gar nicht gegeben ist, und dass man in der Sicherheitsforschung doch noch einiges zulegen müsste. Die Frage ist, kann man solche unerwarteten Nebenwirkungen überhaupt in allen Fällen abklären. Dass zum Beispiel ein Problem mit Mutterkorn auftritt, ist eigentlich mehr zufällig bemerkt worden, in der Planung wäre niemand auf die Idee gekommen, das abzuklären. Das macht die Sicherheitsforschung sehr aufwändig und sehr schwierig, aber auch unbedingt notwendig.

bioSicherheit: Die Frage, ob man unerwartete Nebenwirkungen überhaupt alle im Vorhinein erfassen kann, gilt ja für jede Technologie und sie gilt auch für konventionell gezüchtete Pflanzen mit neuen Eigenschaften, sei es, dass sie neue Inhaltsstoffe produzieren oder dass sie schneller wachsen und Biomasse liefern. Müssten nicht auch hier im Rahmen von Begleitforschung oder Sicherheitsforschung mögliche Nebenwirkungen untersucht werden?

Urs Niggli: Das ist tatsächlich so, dass das für alle Technologien gilt. Für mich ist die Frage, ob eine unerwartete negative Auswirkung – auch wenn deren Wahrscheinlichkeit gering ist – rückholbar ist oder nicht, nach wie vor eine entscheidende. Und das ist das große Fragezeichen bei lebenden und sich selbst vermehrende Organismen.

Ich bin übrigens gar kein „Null-Risiko-Typ“. Ich denke, um die Ernährung sicherzustellen, müssen wir Risiken eingehen. Aber wenn ich Risiken und Nutzen gegeneinander abwäge, ist bisher der Nutzen der Gentechnik im Vergleich zu den potenziellen Risiken relativ klein. Und wenn ich dann sehe, was man mit klassischer Züchtung für riesige Fortschritte gemacht hat, zum Beispiel in der Apfelzüchtung, wo wir heute weltweit vierzig, fünfzig Apfelsorten haben, die alle durch klassische Züchtung schorfresistent gemacht wurden, oder bezüglich Wassernutzungseffizienz - da ist eigentlich der momentane Nutzen ungleich höher im Vergleich zum potenziellen Risiko. Investieren wir also unsere Forschungsmittel klug!

Die heutige Sicherheitsforschung hat vor allem Mängel bei den Auswirkungen von GVO-Pflanzen auf die Anbausysteme und bei verschiedenen klimatischen und standörtlichen Bedingungen. Welche Änderungen in der landwirtschaftlichen Praxis sind zu erwarten? Geht die Toleranz gegen Trockenheit einher mit einem erhöhten Bedarf an Mineralstoffen, wie es von der Herbizidtoleranz bekannt ist? Ist die Konkurrenzkraft der Pflanze reduziert und braucht es allenfalls mehr Pflanzenschutz? Braucht die Pflanze weniger Wasser oder holt sie sich das Wasser an andern Orten und wird damit zur Konkurrentin für andere Nutzpflanzen und trocknet den Boden aus? Hat das einen Einfluss auf die Fruchtfolge?

Die meisten Entwickler von GVO haben leider von der Landwirtschaft wenig Ahnung. Ich sehe aber auch, dass diese komplexen Abklärungen teuer sind und zu einer unüberwindbaren Hürde für die Gentechnik werden könnten.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.

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