„Schöpfung ist kein bloßes Stoppschild, sondern eine Aufforderung zu verantwortlichem Handeln“

Bei der Debatte um die Verantwortbarkeit der Grüne Gentechnik spielen neben naturwissenschaftlichen Kriterien auch ethische und moralische Argumente eine Rolle. Nicht selten ist inzwischen dabei von der „Bewahrung der Schöpfung“ die Rede. Vor allem Kritiker der Grünen Gentechnik wollen damit einem rein zweckgerichteten Umgang mit der Natur Grenzen setzen.- Biosicherheit sprach mit Dr. Stephan Schleissing vom Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften über die Form der öffentlichen Auseinandersetzungen zur Grünen Gentechnik, ethische Sichtweisen und Wege zur einer besseren Dialogkultur.

Stephan Schleissing

Kirchenrat Dr. Stephan Schleissing, Geschäftsführer des Instituts Technik-Theologie-Naturwissenschaft (TTN) an der LMU München und Beauftragter für Naturwissenschaft und Technik der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Auf der BMBF-Tagung „Biologische Sicherheitsforschung im Dialog“ am 30. März 2011 in Berlin hielt er den Vortrag „Risiko oder Gefahr? Der Beitrag der Wissenschaften zur einer Kultur des Risikodialogs.“

Am TTN werden verschiedene interdisziplinäre Forschungsprojekte zum Thema Grüne Gentechnik durchgeführt. Es geht beispielsweise um die Naturbilder, die im Diskurs um die Grüne Gentechnik eine Rolle spielen und warum gerade diese Technologie Untergangsszenarien oder Heilserwartungen im Umgang mit der Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung hervorruft.

bioSicherheit: Seit Jahren wird in Deutschland eine erbitterte Auseinandersetzung um die Grüne Gentechnik geführt. Wie deuten Sie diesen Konflikt und die Art und Weise, wie er ausgetragen wird?

Stephan Schleissing: Es ist in der Tat erstaunlich, wir hartnäckig sich in Deutschland die Debatte hält. Seit über 20 Jahren diskutieren wir dieses Thema und es macht den Eindruck: Wir kommen nicht voran. Ich verstehe das so: Bei der Grünen Gentechnik geht es um mehr als um Risiken und Chancen. Wir führen hier auch einen Stellvertreterdiskurs. Für den Verbraucher geht es vor allem um die Sicherheit der Ernährung und deshalb hat „Natürlichkeit“, also Vertrautheit, einen hohen Stellenwert. Weil er in dieser Hinsicht aber keinen Nutzen durch die Grüne Gentechnik entdecken kann, geht er davon aus, dass nur die Anbieter, nicht die Konsumenten davon profitieren. Aber Grüne Gentechnik ist nicht nur ein Stellvertreter für das Bedürfnis nach sicherer Ernährung, das Thema ist gerade auch unter Landwirten so umstritten, weil man an ihm die verunsichernden Fragen der Modernisierung der Landwirtschaft prägnant abhandeln kann.

bioSicherheit: Man hat oft den Eindruck, dass die Diskussion moralisch-ethisch aufgeladen ist. Gegen Gentechnik zu sein ist „gut“, dafür zu sein gilt als verwerflich und egoistisch, oder umgekehrt. Was bedeutet das für die Qualität des Diskurses?

Stephan Schleissing: In der Öffentlichkeit geht es – anders als im philosophischen Seminar – beim Thema „Moral“ um mehr als um gute und gerechtfertigte Gründe. Moral steht immer auch für Fragen der Identität von Personen: Wer bin ich? Wer achtet mich als Person? Viele Menschen erleben, dass die Stabilität ihrer Beziehungen, aber auch das gesellschaftliche Koordinatensystem bisweilen prekär ist. Moralische Kommunikation fordert hier Achtung für die Person ein. Aber bei Fragen der Landwirtschaft und neuer Anbaumethoden geht es auch um handfeste Interessen und Nutzenerwägungen. Viele Bürger haben hier den Eindruck, dass man auf ihre Bedürfnisse nicht eingeht. Sie wehren sich dagegen, indem sie Befürwortern einer neuen Technologie egoistische Motive unterstellen. Die Diskussion findet dann schnell in einem Freund-Feind-Schema statt. Was wir dagegen brauchen, ist ein offener Dialog, in dem man die Interessen beider Seiten ernst nimmt.

bioSicherheit: Geht es Ihnen dabei auch um die Frage der Deutungshoheit bei der Risikobewertung?

Stephan Schleissing: Richtig, eine gegenseitige Achtung der unterschiedlichen Positionen ist insbesondere dann angebracht, wenn wir an die Grenzen unseres Wissens kommen – wie im Fall der Risikobewertung der Grünen Gentechnik. Eine solche gegenseitige Achtung bedeutet auch den Verzicht auf ein ethisches Deutungsmonopol. Wer hier nur auf die Mobilisierung von Ängsten setzt wie Greenpeace oder die Risikowahrnehmung vieler Verbraucher als bloß irrational herabsetzt wie manche Befürworter der Grünen Gentechnik, der untergräbt die Bedingungen eines konstruktiven Dialogs. Moral kommuniziert dann nur mehr Missachtung.

bioSicherheit: Was könnte insbesondere der Beitrag der Wissenschaft sein, um die Debatte konstruktiver zu gestalten?

Stephan Schleissing: In unserer Gesellschaft erwartet man von der Wissenschaft, dass ihre Ergebnisse überprüfbar und frei von Parteilichkeit sind. Zu Recht genießen Wissenschaftler darum ein hohes Ansehen. Diese Autorität wird aber verspielt, wenn im Raum der Wissenschaft zu weitreichende Versprechungen über die Leistungsfähigkeit neuen Wissens abgegeben werden. Selbstbegrenzung im Hinblick auf die Problemlösungskapazität von Wissenschaft erscheint mir deshalb angebracht. Was im Labor richtig und kontrollierbar sein kann, das kann unter Bedingungen landwirtschaftlicher Praxis immer noch fragwürdig oder unerforscht sein. Theorie und Praxis wird nicht allein durch die richtige Technik zusammengeschweißt. Aber die Wissenschaften – auf den Plural kommt es an! – haben bei dieser Frage Ressourcen, die sie gegenwärtig noch nicht ausreichend ausschöpfen. Beim Thema Grüne Gentechnik forschen nämlich nicht nur Biologen, sondern z.B. auch Sozialwissenschaftler, Ökonomen und Agrarwissenschaftler.

bioSicherheit: Sie plädieren also dafür, sozioökonomische Kriterien stärker als Bewertungsgrundlage für oder gegen Produkte der Grünen Gentechnik einzubeziehen?

Stephan Schleissing: Wir haben schließlich nicht nur den naturwissenschaftlichen Maßstab im praktischen Leben. Mit den Naturwissenschaften können wir lediglich die Wahrscheinlichkeit von gesundheitlichen und Umwelteffekten von Grüner Gentechnik beschreiben. Bei der Frage, wollen wir Grüne Gentechnik oder nicht, kommen viele andere Dinge in der Bewertung hinzu. Ethische Kriterien oder soziale Auswirkungen der neuen Technik sind Beispiele hierfür. Solche Aspekte lassen sich nicht ausklammern. Das Problem ist nur, dass der naturwissenschaftliche Maßstab und sozioökonomische Bewertungen ganz unterschiedliche Bereiche beschreiben. Sozioökonomische Bewertungen sind auch ganz individuell und nur begrenzt objektivierbar. Wenn wir hier nicht die Ebenen zwischen naturwissenschaftlicher Risikoeinschätzung und ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung bzw. Bewertung präzise unterscheiden, befürchte ich, dass eine Verlagerung der Diskussion hin zur Sozioökonomie zu einer weiteren ideologischen Aufladung der Debatte führt. Und bei der Frage der rechtlichen Regulierung wird das dann nur schwer handhabbar.

bioSicherheit: In fast jeder Debatte über Grüne Gentechnik ist von „Bewahrung der Schöpfung“ die Rede. Finden Sie diesen Begriff – so wie er meistens gebraucht wird – angemessen? Halten Sie ihn als Theologe für hilfreich?

Stephan Schleissing: Zunächst fällt auf, dass dieser religiöse Topos auch von denen in Anspruch genommen wird, die Glaubenssätzen des Christentums ansonsten eher distanziert gegenüberstehen. Die Formel „Bewahrung der Schöpfung“ drückt eine Intuition aus: Über die Bedingungen des Gelingens technischer Innovation verfügen nicht ihre Erfinder oder die Ingenieure. Richtig verstanden appelliert die Formel an unsere Klugheit: Handle so, dass du dich durch die Folgen deines Handelns korrigieren lassen kannst. Das ist ein konservativer Grundimpuls, den ich im Umgang mit der Natur eigentlich für recht vernünftig halte. Wenn die Rede von der „Bewahrung der Schöpfung“ aber dazu dient, eine pauschale Tabuzone für neue Techniken zu markieren, um die Grüne Gentechnik und ihren Anbau als „Spiel mit der Schöpfung“ zu verklären, dann halte ich als Theologe das für illegitim. Wir leben – man lese das 3. Kapitel des 1. Buches Mose – in einer gefallenen Schöpfung. Der biblische Auftrag an den Menschen, für die Schöpfung Verantwortung zu übernehmen, nimmt nicht Maß an einem vermeintlich paradiesischen Zustand, sondern orientiert sich an der Not aller Mitmenschen. „Schöpfung“ in der Perspektive des Christentums hat es insofern immer mit einer Kultur zu tun, in der wir Wissenschaft und Forschung zur Verbesserung der Ernährungssicherheit einsetzen. „Schöpfung“ ist kein bloßes Stoppschild, sondern eine Aufforderung zu verantwortlichem Handeln.

bioSicherheit: Die Gentechnik gilt vielen als unzulässiger „Eingriff in das Leben“. Gibt es ethische oder moraltheologisch begründete Grenzen, die in der Pflanzenforschung nicht überschritten werden sollten?

Stephan Schleissing: „Leben“ ist Vieles und Verschiedenes. Der Schweinegrippe-Virus ist Leben ebenso wie die Maispflanze. Es kommt offenbar darauf an, was dem Zusammenleben des Lebendigen dient. Der Mensch hat sein Verhältnis zur Natur immer auch als ein instrumentelles Verhältnis aufgefasst. Ethische Grenzen gibt es zwar dort, wo der Mensch die Gestaltung dieses Verhältnisses unkontrollierbaren Risiken aussetzt. Die Festlegung, was unkontrollierbare Risiken sind, wird aber über den Konsens in der Risikowahrnehmung gezogen, nicht durch das Ergebnis einer rein biologischen Risikobewertung. Darüber hinaus gibt es auch ästhetische Grenzen. Landwirtschaft ist eben auch Landschaft, in der wir uns zu Hause fühlen wollen. Neben Fragen z.B. der Ernährungsgerechtigkeit ist das Prinzip der Vorsorge darum ein wichtiges ethisches Kriterium, weil es Rücksicht nicht nur auf Aspekte der Effizienz, sondern auch der Erhaltung der Lebensmittel als „Mittel zum Leben“ einfordert.

bioSicherheit: Strittig ist häufig auch der Umgang mit Nicht-Wissen. Vor allem Kritiker der Grünen Gentechnik fordern, vor der Einführung einer Technologie wie der Grünen Gentechnik müssten alle möglichen Folgen bekannt sein.

Stephan Schleissing: Hier muss man sicherlich zwischen kalkulierbaren Folgen bzw. Risiken und demjenigen unterscheiden, was uns heute gerade aus Gründen eines immer nur begrenzten Wissens nicht bekannt sein kann. Neues bringt immer eine Dimension des Nicht-Wissens mit sich. Aber auch das Festhalten am scheinbar Vertrauten garantiert niemandem, dass alles so weitergeht wie bisher. Bei der Grünen Gentechnik ist man aber – zumindest in Europa – aus guten Gründen vorsichtig. Ich kann nicht erkennen, dass die Biosicherheitsforschung es sich hier leicht macht. Vielleicht würde die Wissenschaft mehr davon profitieren, wenn man sie z.B. von Seiten der Politik nicht für die Voraussicht aller auch nur möglichen Folgen verantwortlich machen würde. Wie gesagt: Wissenschaftliches Wissen ist immer ein begrenztes Wissen. Das gilt für beide Seiten, Befürworter wie Kritiker. Aber irgendwann muss die Politik auch trotz der Zumutungen eines bloß begrenzten Wissens entscheiden. Für den Bürger kommt dabei alles darauf an zu wissen: Hier wird verantwortungsvoll gehandelt.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch