Bt-Pflanzen und Nicht-Zielorganismen: Fragen an Angelika Hilbeck

„Wir filtern zehn bis 15 Arten heraus, die wir genauer untersuchen.“

Angelika Hilbeck, Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich, vertritt die GMO ERA-Arbeitsgruppe (GMO-Environmental Risk Assessment), die assoziert ist mit der globalen Gruppe der IOBC (International Organization for Biological Control). Diese Arbeitsgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, Methoden zu entwickeln, mit denen Umwelteffekte von gv-Pflanzen unter besonderer Berücksichtigung der Biodiversität in Entwicklungsländern abgeschätzt werden können. Angelika Hilbeck ist Geschäftsführerin der Firma Ecostrat GmbH mit Sitz in Zürich und Berlin. Ecostrat entwickelt im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) Teststrategien zur ökotoxikologischen Prüfung von gv-Pflanzen.

bioSicherheit: Je nachdem, in welchen Regionen Bt-Pflanzen angebaut und wie sie landwirtschaftlich genutzt werden, sind unterschiedliche Auswirkungen auf das jeweilige Ökosystem zu erwarten. Ist eine Risikoabschätzung möglich, die der Vielfalt der Ökosysteme gerecht wird? Was kann im Labor , was muss im Freiland untersucht werden?

Angelika Hilbeck: Im Labor kann man die Vielfalt der Ökosysteme nicht abbilden, aber man kann sich einzelne wichtige Teile eines Ökosystems herausnehmen und sie im Labor untersuchen. Dort können grundsätzliche Fragen experimentell überprüft werden, was im Freiland oft schwierig und viel aufwändiger ist. Im Labor kann man etwa direkte Effekte des Bt-Proteins auf einzelne Organismen abklären. Allerdings ist auch dies oft nicht trivial und hängt sehr von der gewählten Methodik ab. Basierend auf den Erkenntnissen im Labor bzw. der Klimakammer kann man dann gezieltere Fragestellungen und schlauere Testverfahren für Felduntersuchungen entwickeln.

Ultimativ müssen Laborergebnisse durch Versuche im Freiland ergänzt werden. Es ist allenthalben bekannt, insbesondere aus der Entwicklung von gv-Pflanzen, dass sich Organismen in Labor und Gewächshaus anders verhalten können als in der Natur.

bioSicherheit: Das ist aber ein sehr aufwändiger Ansatz.

Angelika Hilbeck: Nein, wir wollen nicht einfach alle Laborexperimente im Feld wiederholen. In unserem Modell steht am Ende der Laborphase eine Risikohypothese, die im Feld gezielt und kosteneffizient überprüft wird, bis man mit gutem Gewissen die Hypothese bestätigen oder verwerfen kann.

Der Gesetzgeber verlangt – so steht es explizit im Cartagena Protokoll und der EU- Freisetzungs-Richtlinie – , dass die Auswirkungen auf die jeweilige Umwelt, in der eine gentechnisch veränderte Pflanze angebaut wird, untersucht werden. Wir haben ein Verfahren entwickelt, wie man dieses effizient und transparent bewerkstelligen kann. Eine transparente Formulierung des jeweiligen Problems ist ein ganz wichtiger, integraler Bestandteil einer Risikoanalyse. Dazu gehört die genaue Beschreibung des Ökosystems, in die eine Pflanze „entlassen“ wird, und aller wichtigen Wechselwirkungen. Man muss also sorgfältig die Hausaufgaben machen, bevor man loslegt.

bioSicherheit: Konkret:Wie lässt sich Ihr Modell bei der Sicherheitsbewertung von Bt-Pflanzen anwenden?

Angelika Hilbeck: Wir betrachten die Bt-Pflanze nie isoliert, sondern immer in ihrer Umwelt. Das heißt wir brauchen eine Bestandsaufnahme der relevanten Organismen, die in und um die Felder mit gv-Pflanzen vorkommen. Dies sind auf jeden Fall Arthropoden, also Insekten und Spinnen, aber auch andere Gruppen. Oft kennen wir gar nicht alle vorkommenden Organismen eines Feldes. Hier schlagen wir einen anderen Ansatz vor.

Wir definieren zuerst, welche Funktionen eines Ökosystems wir eigentlich schützen und erhalten wollen. Sie können das auch Schutzziele nennen. Die Organismen üben ja Funktionen aus - oder anders ausgedrückt: Sie liefern uns kostenlose Dienstleistungen, etwa die natürliche Schädlingskontrolle durch Nützlingen, der Ab- und Umbau von Pflanzenresten zu Humus oder die Bestäubung. Wir haben im Rahmen unseres GMO-ERA Projekts ein Verfahren entwickelt, das uns erlaubt, diejenigen Organismen herauszufiltern, die in dem jeweiligen Ökosystem in relevanter Zahl und Stetigkeit vorkommen und dort eine wichtige Funktion ausüben. Und - ganz entscheidend - den Transgen-Produkten der gv-Pflanzen, etwa dem Bt-Toxin, auch tatsächlich ausgesetzt sind, direkt oder indirekt. Das heißt: Am Ende konzentrieren wir uns auf diejenigen Organismen, die ökologisch wichtig sind und bei denen etwaige nachteilige Auswirkungen der gv-Pflanze tatsächlich zu einem ökologisch - und damit auch ökonomisch - relevanten Schaden führen können.

bioSicherheit: Nachgehakt: Es wird also eine Art Bestandsaufnahme gemacht und dann schrittweise reduziert. Wie viele bleiben denn dann am Ende übrig?

Angelika Hilbeck: Richtig,eine Reduktion um etwa 90-95 Prozent auf ungefähr 10-15 Arten. Mit diesen Arten sollten dann die Experimente im Labor begonnen werden.

bioSicherheit: Auch bei Pflanzenschutzmitteln sind mögliche toxische Effekte auf Nützlinge ein wichtiger Aspekt. Es gibt anerkannte Verfahren, um diese vor der Marktzulassung zu bestimmen. Sehen Sie Parallelen zur umwelttoxikologischen Prüfung von Bt-Pflanzen?

Angelika Hilbeck: Lernen kann man immer - und wenn es das ist, wie man es nicht machen soll. Das Pestizid-Modell berücksichtigt nicht die spezifische Umwelt und erfüllt damit nicht die gesetzlichen Vorgaben des Cartagena-Protokolls oder anderer Regelwerke, die fallspezifische Abklärung unter Berücksichtigung der jeweiligen Umwelt vorgeben. Die im Pestizid-Modell ausgewählten Stellvertreter-Organismen sind ökologisch nicht immer relevant. Sie sind repräsentativ für bestimmte trophische Ebenen in einzelnen Umweltkompartimenten, also im Boden oder im Wasser. So sind die Blaualgen Vertreter für Primärproduzenten, die Daphnien (Wasserflöhe) für Primärkonsumenten und die Florfliege für Sekundärkonsumenten. Sie wurden in den 60er und 70er Jahren für die Chemikalienprüfung ausgewählt, weil sie entsprechend sensitiv sind oder bestimmte Substanzen akkumulieren. Sie sind aber so nicht notwendigerweise für die Prüfung von gv-Pflanzen geeignet.

bioSicherheit: Wie flexibel ist Ihr Modell in Bezug auf verschiedene Ökosysteme? Die Umwelten, in denen Bt-Pflanzen angebaut werden, können sich weltweit gesehen sehr unterscheiden. Kann ihr Modell auch für die Risikoabschätzung in Regionen mit großer biologischer Vielfalt angewendet werden?

Angelika Hilbeck: Selbstverständlich. Wir haben im Rahmen unseres GMO ERA Projekts inzwischen verschiedene Fallstudien durchgeführt, und zwar in Brasilien, Kenia und Vietnam. Wir können mit unserem Verfahren die jeweilige Umwelt sehr spezifisch berücksichtigen. Das unterscheidet uns prinzipiell von den Ökotoxizitäts-Modellen für Pflanzenschutzmittel, die die verschiedenen Ökosysteme nicht berücksichtigen.

bioSicherheit: Wie zuverlässig und eindeutig sind die Aussagen, die Sie zu möglichen Gefährdungen gegenüber Nützlingen und anderen Nicht-Zielorganismen machen können? Welche Zusammenhänge muss man unbedingt kennen und was ist eher Hintergrundwissen?

Angelika Hilbeck: Das ist von Fall zu Fall verschieden und ergibt sich durch unser Verfahren von selbst. Sehr wichtig bei unserem Ansatz sind die regionalen Experten, weil nur durch sie bestmögliche und zuverlässige Aussagen möglich sind.

bioSicherheit: Wie werden in Ihrem Modell mögliche Langzeiteffekte berücksichtigt?

Angelika Hilbeck: Durch die Einbettung in ökologische Funktionen wird ein Aspekt der Langfristigkeit eingebracht. Die Indikatoren - also das, was wir messen - repräsentieren viele ökologische Funktionen über längerfristige Prozesse. Außerdem gibt es praktische Möglichkeiten, wie etwa eine längere Testdauer über mehrere Generationen einer Art und eine größere Zahl von Wiederholungen.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch