Jens Freitag

„Epigenetische Effekte treten bei jeder Kreuzung auf.“

Dr. Jens Freitag, Leiter der Geschäftsstelle des deutschen Pflanzengenom-Programms GABI.

Epigenetik: Neue Erkenntnisse - neue Unsicherheit bei gentechnisch veränderten Pflanzen?

Fragen an Jens Freitag

biosicherheit: Das Szenario „Epigenetische Effekte“ – nimmt in der Diskussion um mögliche Risiken transgener Pflanzen einen wichtigen Raum ein. Was versteckt sich hinter diesem Schlagwort?

Jens Freitag: Alle Effekte die nicht auf der in der DNA gespeicherten Information beruhen, jedoch an nachfolgende Generationen vererbt werden, bezeichnen Molekularbiologen als Epigenetik. Ein Beispiel hierfür ist das Gene Silencing - ein Abschalten von Genen, das nach dem Umschreiben der DNA in RNA abläuft (post-transkriptionelles Gene Silencing). Nach heutigem Verständnis beruht dieses primär auf quantitativen Vorgängen - das heißt: die Menge an Transkript, die gebildet wird, ist entscheidend für Regulationsmechanismen, die zur Stilllegung von Genen führen. Phänotypisch kann sich das beispielsweise in einer veränderten Blütenfarbe äußern. Hervorgerufen werden können diese als transkriptionell bzw. post-transkriptionell bezeichneten Effekte zum Beispiel durch Methylierungen auf der DNA-Ebene.

Aber auch kleine, interferierende RNA-Moleküle, sind in diese Prozesse involviert. Diese so genannten siRNAs haben in den letzten Jahren die molekularbiologische Forschung stark verändert. Seit der Erfindung der PCR hat wahrscheinlich keine Entdeckung das Gesicht der molekularen Biologie so geprägt wie diese als RNA Interferenz (RNAi) bezeichneten Mechanismen. Erstmals erwähnt wurde deren Effekt von Dr. Richard Jorgensen. Im Jahr 1998 veröffentlichte er eine Arbeit über Unterschiede in der Genexpression transgener Petunienblüten und die molekularen Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen. Heute wissen wir, dass interferierende RNA-Moelküle in den meisten natürlichen Organismen vorkommen. Vor allem die Humanmedizin erhofft sich von diesen kleinen Molekülen neue Therapieansätze für komplexe Erkrankungen, wie z.B. Krebs.

biosicherheit: Vor nicht allzu langer Zeit ging man davon aus, dass ein Gen nur ein Protein codiert. Mittlerweile sind eine Reihe von Mechanismen bekannt, die die alte Regel „Ein-Gen-Ein-Protein“ in ihrer Absolutheit mehr und mehr in Frage stellen. Inwieweit fließen denn bereits neue Erkenntnisse aus der Epigenetik in die Pflanzenforschung und -züchtung ein?

Jens Freitag: Dass die Anzahl der Gene ungleich der Anzahl spezifischer Proteine ist, wissen wir spätestens seit der vollständigen Sequenzierung des Humangenoms im Jahr 2000. Mit dem Wissen, dass 30.000 Gene für wahrscheinlich deutlich mehr als 100.000 Proteine kodieren, konnte die Annahme einer linearen Beziehung von Gen und Genprodukten nicht mehr aufrechterhalten werden. Wir erkennen heute, dass der Ableseprozesse der genetischen Grundmatrix eines Gens unterschiedlich ablaufen kann. Wir nennen das alternatives Zusammenfügen (alternatives Splicing).

Das zunehmende Wissen über komplexe biologische Prozesse auf der molekularen Ebene, inklusive epigenetischer Effekte, ermöglicht es inzwischen mehr und mehr, Pflanzenzüchtung als „rationalen“ Prozess zu betreiben. Dieses Wissen wird nicht die seit Mendel praktizierte quantitative Genetik ersetzen, sondern untermauert und präzisiert unser Vorgehen. Was heute in der praktischen Pflanzenzüchtung als „Versuch und Irrtum“ anmutet, wird in wissensbasiertere Bahnen geleitet.

biosicherheit: Haben sich gentechnische Verfahren auf Basis der neuen Erkenntnisse weiterentwickelt?

Jens Freitag: Auf jeden Fall. Viele der neu entdeckten Vorgänge und Prozesse, wie DNA-Methylierungen oder siRNAs sind heute nachweisbar und nutzbar. Einige Phänomene aus der Anfangszeit der Pflanzen-Gentechnik können wir heute molekularbiologisch erklären. So wissen wir inzwischen, dass das Stilllegen von Genen nicht auf DNA-Ebene, sondern Transkript-Ebene geschieht. Deshalb ist das oft beschworene Risikoszenario der Positionseffekte so nicht mehr gerechtfertigt. Es besagt, dass durch die ungezielte Integration der Transgene ins pflanzliche Genom unbeabsichtigt pflanzeneigene Gene ein- oder ausgeschaltet werden könnten.

biosicherheit: Epigenetische Vorgänge manifestieren sich in veränderten Eigenschaften der Pflanzen, etwa in der Morphologie, bei agronomischen Eigenschaften oder Inhaltsstoffen. Werden solche Effekte in den zahlreichen Tests und Untersuchungen, die transgenen Linien bis zu einer Zulassung durchlaufen, nicht bemerkt? Gibt es Lücken beim derzeitigen Konzept der Risikobewertung?

Jens Freitag: Epigenetische Effekte sind natürlich vorkommende Mechanismen. Pflanzenzüchter nutzen sie - bewusst oder unbewusst - bei so genannten „weiten Kreuzungen“: Nachkommen von Pflanzen aus möglichst weit voneinander entfernten Genpools liegen in ihrer Merkmalsausprägung, z.B. der Biomassebildung, deutlich über dem Mittel beider Eltern (Heterosiseffekt). Die dadurch geschaffene Verbreiterung der genetischen Basis führte zu dem, was wir heute als angepasste Kulturpflanzen bezeichnen. Sie sind somit kein Sonderfall der Gentechnik. Jede durch den Menschen herbeigeführte Neuzüchtung unterliegt epigenetischer Beeinflussung - aber auch jede unabhängig vom menschlichen Zutun ablaufende Kreuzung. Nehmen Sie das Beispiel der Resistenzzüchtung, welche extrem weite Kreuzungen nutzen muss, um Resistenzeigenschaften aus Wildformen in unsere Kulturpflanzen zu übertragen. Veränderungen im Methylierungsmuster und damit der Aktivität der Gene sind die Folge. Ob sich die Menschen dabei bewusst waren, dass Sie in molekulare Regelmechanismen eingriffen oder nicht, hat niemanden interessiert.

Schon bei der Entwicklung, vor allem aber bei der Zulassung einer neuen Pflanzensorte geht es darum, unbeabsichtigte Effekte, die auch epigenetische Ursachen haben können, frühzeitig zu erkennen. Ein Beispiel wären etwa unerwünschte Veränderungen in der Zusammensetzung von Inhaltsstoffen. Fällt so etwas auf, wird der Zulassungsprozess abgebrochen. Gleiches gilt bei der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen, wobei diese deutlich gezielter und umfassender analysiert werden. Transgene Pflanzen werden auf der Ebene des Transkripts, des Proteoms und Metaboloms (Gesamtheit der Proteine und der Stoffwechselprodukte) sowie wie des äußeren Erscheinungsbildes untersucht. Wenn wir also von „sicheren“ Pflanzen sprechen wollen, dann hat das vor allem bei gentechnisch veränderten Pflanzen seine Berechtigung. Deren Sicherheitsbewertung ist auch auf epigenetische Effekte ausgerichtet, sogar wesentlich zielgerichteter als bei konventionellen Kreuzungen, wo ganze Genome gemischt werden. Bei jeder neuen Sorte - gleich ob konventionell oder mit gentechnischen Verfahren gezüchtet - gehören mehrjährige und mehrortige Studien zum Prüf- bzw. Zulassungskonzept. Dabei wird auch die Stabilität einer Merkmalsausprägung erfasst. Unerwünschte epigenetische Effekte lassen sich so weitgehend ausschließen.

bioSicherheit: Was bedeuten neue Erkenntnisse über epigenetische Effekte für die Sicherheit transgener Pflanzen? Man weiß, dass molekularbiologische Vorgänge weitaus komplexer sind als vor ein paar Jahren als gedacht. Aber ist das gleichbedeutend damit, dass die Folgen gentechnischer Veränderungen weniger vorhersehbar sind?

Jens Freitag: Jeder Wissenszuwachs ist positiv. Dieser ermöglicht neue Einblicke in die Natur und erlaubt es, neue Wege bewusster und gezielter zu beschreiten. Die zunehmenden Erkenntnisse epigenetischer Einflussfaktoren, hat uns ein neues Buch in der Erforschung molekularer Regulationsmechanismen aufschlagen lassen. In erster Linie empfinde ich dies als extrem spannend und als wissenschaftlich äußerst befriedigend. Warum das Wissen um die Komplexität natürlicher Prozesse mit einer Zunahme eines Risikos einhergehen soll, ist mir jedoch nicht klar. Nur weil ich derartige komplexe Vorgänge bei natürlichen Kreuzungen nicht analysieren kann, sind diese doch nicht per se als sicherer oder besser zu bewerten, als eine deutlich gezieltere gentechnische Veränderung. Im Umkehrschluss würde dies doch bedeuten: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Motivation für Forschung und Innovation stelle ich mir anders vor.

biosicherheit: Epigenetische Effekte sind ja nicht allein auf transgene Pflanzen beschränkt. Sie treten ja auch bei konventionell gezüchteten Pflanzen auf. Das heißt: Nachkommen können Eigenschaften haben, die sich nicht linear aus denen der Eltern ableiten. Verändern die neuen Erkenntnisse auch die klassische Pflanzenzüchtung?

Jens Freitag: Die Pflanzenzüchtung nutzt - natürlich unbewusst - seit langem epigenetische Phänomene. Ziel der aktuellen Forschung ist es, diese Phänomene in ihrer Komplexität besser zu verstehen. Wissenszuwachs ist die Basis einer gezielten Anwendung im Züchtungsprozess.

Momentan erlebt die Pflanzenforschung eine Renaissance im Bewusstsein der Bevölkerung. Stichworte sind Klimawandel, nachwachsende Rohstoffe und eine sichere und gesunde Ernährung. Schon jetzt zeichnet sich jedoch eine verschärfte Flächenkonkurrenz zwischen der Produktion energetischer und stofflicher Ressourcen einerseits und der Nahrungsmittelerzeugung andererseits ab. Ertragssteigerungen und Ertragssicherheit in der pflanzlichen Produktion basieren auch auf züchterischem Fortschritt. Für eine moderne, an neuen Zielen ausgerichtete Pflanzenzüchtung sind die molekularbiologische Forschung und damit auch die Gentechnik seit Jahren integrale, unverzichtbare Werkzeuge.

Transgene Pflanzen sind wissenschaftlich hervorragend geeignet, um epigenetische Effekte gezielt zu untersuchen. Systematische Studien an Modellpflanzen, wie der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) oder Reis liefern hierfür die Basis. An konventionellen Kulturpflanzen wäre diese Forschung momentan noch nicht oder nur mit immensen Kosten möglich. Entscheidend ist, dass der Transfer dieses Wissens von den Modellsystemen auf die Vielzahl unserer Kulturpflanzen gelingt. Die Erforschung epigenetischer Effekte ist ein hervorragendes Beispiel für die Potenziale einer Kombination von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung an Kulturpflanzen.

biosicherheit: Vielen Dank