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„Die Prozesse sind hochgradig variabel. Koexistenzregeln müssen daher ausreichend robust sein.“

Dr. Broder Breckling, Privatdozent an der Universität Bremen mit Schwerpunkt Allgemeine und Theoretische Ökologie; Sprecher des Arbeitskreises Gentechnik in der Gesellschaft für Ökologie.Koordinator des SiFo-Verbundprojekts GenEERA (Generische Erfassungs- und Extrapolations- methoden der Raps-Ausbreitung): Modellierung zum Ausbreitungsverhalten von Raps im Landschaftsmaßstab.

Ist gv-Raps koexistenzfähig? - Fragen an Broder Breckling.

bioSicherheit: Der Anbau von gv- Raps lässt in Europa auf sich warten. Erkenntnisse über Auswirkungen eines großflächigen Anbaus stehen uns bislang nur aus dem Ausland zur Verfügung. Sie haben ein Modell entwickelt, das ermöglicht, die Ausbreitungsdynamik von Raps für größere Regionen abzuschätzen. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Broder Breckling: Anhand einer Modellstudie Norddeutschland haben wir uns die Details sehr genau angeschaut und in einen konsistenten Zusammenhang gebracht. Die Ergebnisse belegen: Wenn gv-Raps zur Produktion gebracht wird, werden Transgene über Jahre bis Jahrzehnte mit großer Sicherheit in geringen Spuren im Rapsanbau und der Umwelt zu finden sein – auch dann, wenn kein gv-Rapsanbau mehr stattfindet.

bioSicherheit: Welche Faktoren und welche Annahmen sind ausschlaggebend für dieses Szenario?

Broder Breckling: Norddeutschland - und dort besonders Schleswig-Holstein - ist bezüglich des Rapsanbaus sehr speziell: Dort ist der Rapsanbau hoch konzentriert und ausgesprochen kleinräumig gegliedert. Maßgeblich ist auch die lange Persistenz in der Samenbank von bis zu zehn Jahren, Pollentransfer über weite Strecken und das Bestehen eines eigenständigen, vom Anbau unabhängigen Verbreitungsbildes von Raps. Wildvorkommen von Raps gibt es in Städten, in Industriegebieten und Brachflächen, die nicht direkt aus Samenverlusten entlang von Transportwegen erklärbar sind.

bioSicherheit: In welchem Ausmaß ist bei einem nachbarschaftlichen Anbau von gv- und konventionellem Raps mit Auskreuzungen zu rechnen? Mehrjährige praktische Felduntersuchungen mit gv- Raps am Standort Deutschland zeigten, dass Mantelsaaten den GVO-Polleneintrag in die konventionellen Felder deutlich unter 0,9 Prozent minimieren können.

Broder Breckling: Wir rechnen damit, dass der Schwellenwert von 0.9 Prozent in vielen Fällen – wahrscheinlich in der Mehrzahl der Fälle – eingehalten werden kann. Beträchtlich ist aber das Ausmaß an Variabilität. Hier bestehen erhebliche verbleibende Unsicherheiten. Selbst wenn - sagen wir - in ganz Schleswig-Holstein der Grenzwert im Mittel eingehalten würde, stünde eine solche Aussage nicht im Widerspruch dazu, dass beispielsweise in einem Drittel der Fälle der Schwellenwert überschritten sein mag. Also - die Schwankungsbreiten sind nicht zu vernachlässigen.

bioSicherheit: Studien, die für die EU-Kommission erstellt wurden, sehen im Falle eines Anbaus von gv-Raps für konventionelle Betriebe keine grundsätzlichen Schwierigkeiten, unter dem Schwellenwert zu bleiben.

Broder Breckling: Die Studien, die Sie ansprechen, basieren auf lokalen Einzeluntersuchungen und daraus abgeleiteten Meinungen von Experten. Allgemeingültige Aussagen erlauben sie nicht. Unsere Studie ist die erste und bisher auch die einzige, die tatsächlich regionale Zusammenhänge anhand empirischer Daten konkret durchrechnet. Im Rahmen unserer Arbeiten haben wir erstmalig gezeigt, dass ein solcher regionaler, datengestützter Ansatz tatsächlich möglich ist. Im Englischen wird das als proof of concept bezeichnet. Wir haben Daten zur Fruchtfolge, Anbaupraxis, Feld-Geometrien, Klimaeinwirkungen usw. in Norddeutschland einbezogen.

bioSicherheit: Lassen sich aus Ihren Modellierungen Abstandsempfehlungen für die Praxis ableiten?

Broder Breckling: Aus unseren Modellierungen lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt nur bedingt generalisierende Aussagen treffen. Dazu bedarf es weiterer Evaluationen. Aufgrund der hohen Variabilität der beteiligten Prozesse haben wir ein hohes Unsicherheitspotenzial.

bioSicherheit: Sie haben auch den Pollen-Ferntransport in Ihrem Modell berücksichtigt. Zu welchem Ergebnis kommen Sie?

Broder Breckling: Auch wenn sich die Landwirte beispielsweise an Abstandsabsprachen halten, wird über den Ferntransport, der sich über mehrere Kilometer erstrecken kann und der nicht einem einzelnen Verursacher bzw. Feld zuzuordnen ist, GVO-Pollen eingetragen. Wir haben errechnet, dass ein Anteil von 50 Prozent gv-Rapsanbau in Schleswig-Holstein beispielsweise zu einer flächendeckenden Pollenbelastung von 0,1 Prozent führt. Dies wäre anderen Eintragspfaden, etwa durch Verunreinigungen im Saatgut, hinzuzurechnen.

bioSicherheit: Rapssamen sind im Boden lange lebensfähig und können in der Fruchtfolge immer wieder auskeimen. Praktische Untersuchungen zeigen, dass ein solcher Durchwuchs in nachfolgende Ackerkulturen über angepasste Bodenbearbeitung und geeignete Fruchtfolgen sehr gut kontrollierbar ist.

Broder Breckling: Unsere Modellrechnungen haben ergeben, dass in Einzelfällen Durchwuchs dazu führen kann, dass für mehr als zehn Jahre in Folgekulturen der Grenzwert überschritten wird. Ein noch so gutes Anbaumanagement wird Durchwuchs nicht zu 100 Prozent kontrollieren können. Ein Problem besteht aber auch darin, dass wir nicht nur die Existenz einer einzelnen transgenen Sorte zugrunde legen können, sondern das Zusammenwirken mehrerer zugelassener Sorten in Betracht ziehen müssen. Im Falle von herbizidresistenten Sorten ist bedingt durch Pollentransfer auch im Durchwuchs bei konventionellen Kulturen mit einfach oder mehrfach resistenten Pflanzen zu rechnen.

bioSicherheit: Aber ist Durchwuchs noch ein Koexistenz-Problem, wenn es durch geeignete Techniken heute möglich ist, den Durchwuchs um 99 Prozent zu reduzieren?

Broder Breckling: Reduktionsraten von 99 Prozent sind kein ungewöhnliches Ergebnis, sie lösen das Problem aber auch nur teilweise. Das sehen Sie an folgendem Zahlenbeispiel. Ausfallraps, die Menge, die bei der Ernte verloren geht und auf dem Feld verbleibt, kann bei bestimmten Witterungsbedingungen bis zu 15 oder sogar 20 Prozent betragen. Im Durchschnitt bildet eine Rapspflanze ca. 1200 Samen. Bei einer Reduktion des Ausfallrapses um 99 Prozent ist das verbliebene eine Prozent noch immer in der Größenordnung der ursprünglichen Aussaatmenge.

bioSicherheit: Verwilderter Kulturraps wird sehr häufig an Ruderalflächen entlang von Wegrändern und Bahngleisen beobachtet. Er ist aber dort nicht besonders stetig. Haben solche Populationen eine Relevanz in Bezug auf Koexistenz?

Broder Breckling: Sie haben eine potenzielle Bedeutung als genetisches Reservoir, welches das Aufkommen unerwünschter Genotypen ermöglicht. Bezogen auf den Schwellenwert von 0,9 Prozent sind dies aber marginale Populationen und spielen im kurzzeitigen Rahmen keine Rolle. Sie bedeuten aber ein gewisses Unsicherheitspotenzial, da deren Eigenschaften nicht vorhersehbar sind und entsprechende Kombinationen mit zukünftig entwickelten transgenen Sorten müssten deshalb überprüft werden. Aus grundsätzlichen Erwägungen, gerade im Hinblick auf mögliche Kombinationswirkungen ist daher das Überdauern von transgenen Individuen außerhalb des Anbaus unerwünscht und zu vermeiden. Hier ist ein sehr bewusster und verantwortlicher Umgang erforderlich.

bioSicherheit: Raps hat in Europa verwandte Wildarten, mit denen er sich auskreuzen könnte. Das Vorkommen dieser Arten ist jedoch regional sehr unterschiedlich und fertile Bastarde können nur in wenigen Fällen auch nachgewiesen werden. Wie relevant sind derartige Ergebnisse für die Koexistenz?

Broder Breckling: Da es sich um seltene Ereignisse handelt, sind Aussagen darüber mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Den Stand hierzu hat bereits in den neunziger Jahren die OECD in einem wie ich finde sehr guten Konsenspapier dargestellt. Seitdem ist der Kenntnisstand über nachgewiesene Hybridbildungen noch erweitert worden. Das Problem ist, dass im Prinzip ein einziges Zustandekommen eines unerwünschten Genotyps ausreicht, um einen weiteren Vermehrungsprozess in Gang zu bringen. Das lehrt uns die Invasionsbiologie. Aber für die Koexistenz im engeren Sinne spielen derartige Ereignisse keine Rolle.

bioSicherheit: Kommen wir jetzt zum Fazit Ihrer Untersuchungen. Welche Schlussfolgerung ziehen Sie aus den Ergebnissen Ihrer Modellierungen? Ist ein gemeinschaftlicher Anbau von gv- und konventionellem Raps möglich?

Broder Breckling: Wir haben es ja hier mit lebenden Systemen zu tun. Und wir wollen Aussagen für größere Anbauregionen treffen. Da ist festzustellen, dass ein Anbau von gv-Raps mit hoher Sorgfaltspflicht anzugehen ist. Wenn wir uns die Prozesse und Ereignisse, die bei einem Anbau von Raps eine Rolle spielen, im Landschaftsmaßstab ansehen, so sind diese hochgradig variabel. Sie variieren so stark, dass Unterschiede von mehr als 100 Prozent als normale Erwartung im Raum stehen. Das heißt in den Prozessen stecken erhebliche Unsicherheiten. Regeln zur Sicherstellung einer Koexistenz müssen daher ausreichend robust sein und sind mit Sicherheitskorridoren zu versehen. In der Praxis kann es immer wieder zu Abweichungen oder Fehlern kommen. So haben wir bei der Analyse von Satellitenbildern aus aufeinander folgenden Jahren beispielsweise gefunden, dass gelegentlich Raps auf Raps angebaut wird. Das steht klar im Widerspruch zu jeglicher Empfehlung guter landwirtschaftlicher Praxis – kommt aber dennoch vor.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.