Gefühlte Risiken und die Rolle der Wissenschaft

„Wissenschaft ist glaubwürdig, wenn sie unabhängig von Tagespolitik und Wirtschaftsinteressen arbeitet.“

Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel ist Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wurde am 1. November 2002 gegründet und ist im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) angesiedelt. Das BfR identifiziert mögliche Risiken bei Lebensmitteln, Stoffen und Produkten, bewertet sie nach wissenschaftlichen Kriterien und trägt aktiv dazu bei, sie zu minimieren.

Die Risikobewertung erfolgt institutionell getrennt vom Risikomanagement und damit unabhängig von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen. Durch die gesetzlich festgeschriebene Unabhängigkeit des BfR soll die wissenschaftliche Integrität der Forschungsergebnisse und der Bewertungen sichergestellt werden.

bioSicherheit: Rechtfertigen „gefühlte“ Risiken staatliches Handeln – das war das Thema der Festveranstaltung, mit der das BfR im November sein 5-jähriges Bestehen begangen hat. Im Kern ging es dabei um die oft großen Unterschiede zwischen der öffentlichen Wahrnehmung von Risiken und ihrer tatsächlichen wissenschaftlichen Bewertung. Man könnte auch sagen: um „subjektive“ und „objektive“ Risiken. Können Sie diese Unterschiede grundsätzlich beschreiben?

Andreas Hensel: Die Öffentlichkeit kann Risiken bedrohlicher wahrnehmen, als es die Wissenschaft tut, aber auch der umgekehrte Fall ist möglich, dass die Wissenschaft warnt, die Öffentlichkeit aber kein nennenswertes Risiko wahrnimmt. Diese Unterschiede gehen darauf zurück, dass unterschiedliche Kriterien zur Bewertung von Risiken benutzt werden. Eine wissenschaftliche Risikobewertung beruht in der Regel auf streng naturwissenschaftlich definierten Kriterien wie Gefährdungspotenzial und Schadenswahrscheinlichkeit, die mit definierten Verfahren abgeschätzt und zu einer Gesamtbewertung zusammengefasst werden. Die Öffentlichkeit benutzt andere Kriterien zur Risikoeinschätzung – und das muss sie auch tun, denn in der Regel hat sie keinen oder nur einen sehr begrenzten Einblick in die naturwissenschaftliche Risikobewertung und erfährt von neuen Risiken zunächst durch die Medien. Damit Verbraucher trotzdem entscheiden können, ob Risikomeldungen für sie selbst relevant sind - und sie unter Umständen in Gefahr sind - oder nicht, greifen sie auf Risikomerkmale zurück, die ihnen eher zugänglich sind und wichtig erscheinen: Etwa die Bekanntheit des Risikos, seine Kontrollierbarkeit, das damit verbundene Katastrophenpotenzial, und ob man dem Risiko freiwillig oder unfreiwillig ausgesetzt ist.

bioSicherheit: Bei der Bewertung von Risiken arbeitet das BfR strikt auf wissenschaftlicher Grundlage. Das kann aber bedeuten, dass so gefundene Ergebnisse und die daraus abgeleiteten Maßnahmen aus der Perspektive des subjektiven Risikoempfindens als unzureichend angesehen werden. Können unter diesen Vorzeichen wissenschaftlich begründete Risikobewertungen in der Gesellschaft akzeptiert und anerkannt werden?

Andreas Hensel: Damit wissenschaftlich begründete Risikobewertungen für die Gesellschaft nutzbar werden, ist es zum einen wichtig, dass sie gut kommuniziert werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie bei den Adressaten auch ankommen und verstanden werden, und dass sie die Fragen beantworten, die die Öffentlichkeit an die Wissenschaft hat. Zum anderen lässt sich die Nutzbarkeit und Akzeptanz unserer Arbeit sicherlich steigern, indem wir Aspekte der subjektiven Risikowahrnehmung bei unseren Bewertungen berücksichtigen.

Dies ist zwar nicht bei der wissenschaftlichen Bewertung selbst möglich, aber zum Beispiel bei den Empfehlungen von Handlungsoptionen für das Risikomanagement, bei der Auswahl von Risikothemen, die wir bearbeiten, und bei der Risikokommunikation. Hier schaffen wir zum Beispiel durch Instrumente wie Bürgerforen und Verbraucherkonferenzen eine konkrete Möglichkeit für den Dialog der Öffentlichkeit mit der Wissenschaft.

„Eine Voraussetzung für Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist Transparenz“

bioSicherheit: Gerade bei Fragen der Risikobewertung gibt es in der Gesellschaft oft ein Misstrauen gegenüber der Wissenschaft. Das wird vermutlich auch das BfR zu spüren bekommen. Wie lässt sich in der heutigen Mediengesellschaft Vertrauen und Glaubwürdigkeit für die wissenschaftlich ausgerichtete Arbeit des Instituts gewinnen?

Andreas Hensel: Das stimmt nicht ganz, die Wissenschaft genießt in der Gesellschaft ein großes Vertrauen: Als Quelle für Risikoinformationen wird ihr mehr vertraut als den meisten anderen Beteiligten, etwa Politikern oder Industrievertretern. Dies weist auch schon auf eine der Voraussetzungen für Vertrauen und Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Risikobewertung hin: Sie muss als neutrale Instanz wahrgenommen werden, die unabhängig von Tagespolitik und Wirtschaftsinteressen zu ihren Bewertungen kommt. Dies ist beim BfR der Fall, und das war auch einer der Beweggründe für die Gründung des Instituts: Die Risikobewertung soll unabhängig vom Risikomanagement erfolgen.

Eine zweite wichtige Voraussetzung für Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist Transparenz. Prozesse und Ergebnisse der Risikobewertung müssen so transparent und nachvollziehbar wie möglich dargestellt werden. Erfahrungen in England nach der BSE Krise haben gezeigt, dass selbst nach einer massiven Krise im Verbraucherschutz Verbrauchervertrauen wieder aufgebaut werden kann, wenn staatliche Risikobewertung transparent gemacht und auch kommuniziert wird.

bioSicherheit: Aber auch die Wissenschaft ist sich ja oft nicht einig. Für fast jede Meinung gibt es einen Experten, der sie scheinbar wissenschaftlich bestätigt. Für den einzelnen Bürger ist das verwirrend: Wie soll er erkennen und akzeptieren, was wissenschaftlich seriös oder „richtig“ ist? Kann das BfR da Orientierungshilfen bieten?

Andreas Hensel: Es kann nicht Ziel des BfR sein, einen Konsens herzustellen, sondern verschiedene wissenschaftliche Aussagen zu moderieren und vorhandene Unterschiede herauszuarbeiten und transparent darzustellen. In unseren Kommissionen binden wir eine Vielzahl von Experten ein, dies ist auch ein Versuch, die Vielstimmigkeit etwas zu reduzieren.

„Was als natürlich wahrgenommen wird, wird auch als sicher empfunden.“

bioSicherheit: Neben vielen anderen Themen bewertet das BfR auch die Sicherheit von Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen. Gerade hier ist die Kluft zwischen „gefühlten“ Risiken und dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand besonders groß. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Andreas Hensel: Lebensmittel sind ein besonders sensibles Thema, weil sie, wie schon der Name sagt, lebensnotwendig sind und die richtige Auswahl von vielen Verbrauchern als bedeutsam für die eigene Gesunderhaltung angesehen wird. Zudem hat der Umgang mit Krisensituationen, wie sie durch BSE oder Dioxin ausgelöst wurden, dass Vertrauen in die durch staatliche Behörden zu gewährleistende Lebensmittelsicherheit erschüttert.

Hinzu kommt, dass potenzielle Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen und daraus hergestellter Lebensmittel als Gefahren wahrgenommen werden, weil sie nicht in Beziehung gesetzt werden zu den mit traditioneller Züchtung und Techniken hergestellten Produkten, die als „natürlich“ und daher sicher empfunden werden. Das belegen die Ergebnisse der seit 1992 regelmäßig durchgeführten europaweiten Befragungen von Verbrauchern, den Eurobarometer-Studien, die zum einen zeigen, dass generell wenig Vertrauen in neue Technologien besteht, und zum anderen, dass der Informationsstand über tatsächliche Risiken und Gefahren, die von Lebensmitteln und Herstellungsverfahren ausgehen können, gering ist.

bioSicherheit: Wie kann eine sinnvolle und angemessene Risikokommunikation zur Grünen Gentechnik aussehen?

Andreas Hensel: Grundlage der Risikokommunikation zur Grünen Gentechnik muss die allgemeinverständliche Information über das Verfahren der Sicherheitsbewertung sein, das auf einem Vergleich gentechnisch veränderter Pflanzen und daraus hergestellter Lebensmittel mit konventionellen Produkten basiert. Hilfreich für eine objektive Bewertung sind auch die für Laien nachvollziehbar dargestellten, auf Forschungsergebnissen beruhenden Vergleiche von Vor- und Nachteilen für die unterschiedlichen Nutzer der Produkte der Grünen Gentechnik. Beides wird vorbildlich von bioSicherheit geleistet.