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„Es gibt verschiedene ökologische Anbauansätze, mit denen man viel weiter kommt als mit der Gentechnik.“

Dr. Hans Rudolf Herren ist Direktor des Millenium-Institutes in der Nähe von Washington, D.C. (USA). Er war stellvertretender Vorsitzender des IAASTD (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development), der 2008 einen Bericht über die Zukunft der globalen Landwirtschaft vorlegte. Zuvor hatte er in Afrika viele Jahre an der biologischen Bekämpfung von Agrarschädlingen gearbeitet. Nachdem er mit seinem Team in den achtziger Jahren die Maniok-Schmierlaus mit Hilfe einer Schlupfwespe erfolgreich bekämpft und so Millionen von Menschen in Afrika vor dem Hungertod gerettet hatte, wurde er 1995 mit dem Welternährungspreis ausgezeichnet.

Können gentechnisch veränderte Pflanzen einen Beitrag zur Überwindung des weltweiten Hungers leisten?

Fragen an Hans Rudolf Herren

bioSicherheit: Nach Aussagen der FAO muss die globale Nahrungsmittelproduktion bis zum Jahr 2050 um 70 Prozent gesteigert werden. Dann müssen schätzungsweise neun Milliarden Menschen ernährt werden. Wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Hans R. Herren: Auf jeden Fall muss die Nahrungsmittelproduktion auch lokal stattfinden. Im Westen, wo wir heute ja genügend produzieren, könnte man mit weniger auskommen und vielleicht mehr auf Qualität setzen und in den Entwicklungsländern muss man eben sehen, wie man mehr und nachhaltig produziert. Es gibt noch viel Land, das ungenutzt ist oder wo jetzt Pflanzen für Biotreibstoffe angebaut werden und das muss für die landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion wiederhergestellt werden. Ein zentrales Problem ist die Auslaugung und Verarmung der Böden in vielen Entwicklungsländern. Man muss diese Böden mit den Prinzipien der biologischen Landwirtschaft nachhaltig neu aufbauen. Wenn man das macht, kann man auch ohne weiteres die Nahrungsmittelproduktion in den Ländern verdoppeln oder sogar vervierfachen, wie es schon seit Jahren gezeigt worden ist.

bioSicherheit: Müssen nicht auch neue Ziele in der Pflanzenzüchtung verfolgt werden?

Hans R. Herren: Die Pflanzenzüchtung hat schon so viel erreicht, dass wir das Ertragspotenzial der existierenden Sorten in den Entwicklungsländern im Durchschnitt nur knapp zur Hälfte ausnützen. Ich bin ja selbst lange in Afrika gewesen, wo wir schon vor über dreißig Jahren Manioksorten mit einem Ertragspotenzial von über vierzig Tonnen pro Hektar hatten, aber tatsächlich werden in Afrika durchschnittlich etwa fünf Tonnen pro Hektar geerntet. Das heißt, wir müssen uns fragen, wo sind die Haupthindernisse, die es unmöglich machen, das Potenzial, das im Genom dieser Pflanzen liegt, zu realisieren? Das hat natürlich mit dem Boden zu tun, vor allem mit der Bodenfruchtbarkeit, mit den fehlerhaften Fruchtfolgen und dort muss man jetzt seriös ansetzen, z. B. die Bodenforschung vorantreiben. Im Moment noch viel weiterzuzüchten, um das Ertragspotenzial zu steigern, bis es den Böden wieder gut geht, wird mit Ausnahme von Insekten- und Krankheitsresistenz nicht viel bringen.

Und dann geht es ja auch nicht nur um Quantität, es geht auch um Qualität. Die hochgezüchteten Sorten sind meistens arm an Mikronährstoffen. Da müssen wir wieder zurückgreifen auf die älteren Sorten, die reicher sind an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen.

bioSicherheit: Sollten in der Pflanzenzüchtung nicht auch Ziele wie Trockentoleranz und Salztoleranz verfolgt werden? Können wir es uns dabei leisten, auf gentechnische Methoden zu verzichten?

Hans R. Herren: Gentechnische Forschung will weitergehen, aber man sollte sich für die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion heute nicht auf etwas verlassen, was in den letzten zwanzig Jahren für die Bauern und Konsumenten eigentlich nichts Positives gebracht hat. Diese Forschung gehört in Universitäten und nicht auf das Feld und vor allem nicht in Entwicklungsländer, wo die Bauern und Bäuerinnen unter großem Risiko leben und es sich nicht leisten können, herumzuprobieren. Die Gefahr bei der Gentechnologie ist, dass die genetische Diversität innerhalb der Sorten, und auch die Sortenvielfalt selbst, verkleinert werden und damit das Risiko für Ernteausfälle bei Schädlingsbefall sehr erhöht wird.

Es gibt in der Molekularbiologie Forschungsgebiete, die für die Landwirtschaft und die Pflanzen- und Tierzüchtung von Bedeutung sind, zum Beispiel, dass man Gene von Leguminosen in Getreidepflanzen einbringt, so dass sie selbst Stickstoff binden können und man keinen oder weniger Dünger braucht, dass man C3-Pflanzen in C4-Pflanzen umwandelt oder Weizen und Mais als mehrjährige Pflanze züchtet. Das letztere würde dazu führen, dass man nicht mehr pflügen muss und so den Boden nicht zerstören muss und auch weniger Probleme mit Unkräutern hat. Dies sind langfristige Forschungen, bei denen ich sehe, dass sie etwas nützen könnten - wenn sie von öffentlichen Institutionen durchgeführt werden, die keine Patente anmelden und wenn auch die möglichen ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen gründlich studiert sind. Was die Trockentoleranz angeht – es wurde in Studien hier in den USA gezeigt, dass man bei diesem Thema in den letzten zwanzig Jahren mit klassischer Züchtung, unterstützt durch molekularbiologische Methoden mehr Fortschritte gemacht hat als mit gentechnischen Methoden.

bioSicherheit: Müsste stärker in öffentliche Agrarforschung investiert werden, um die Entwicklung lokal angepasster Sorten zu gewährleisten und um bei der Saatgutentwicklung die Abhängigkeit von großen Konzernen zu reduzieren? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle der internationalen Agrarforschungszentren?

Hans R. Herren: Es ist sehr wichtig, dass der öffentliche Sektor wieder stärker in die landwirtschaftliche Forschung investiert - weil diese Forschungsresultate dann auch der Allgemeinheit gehören, ohne Patente, und weil die Bauern nicht abhängig werden von wenigen Firmen und von wenigen Sorten. Die internationalen Agrarforschungszentren sind sehr auf Geldgeber angewiesen und deshalb forschen sie natürlich in Richtung Biotechnologie, statt seriös die Probleme der Bodenfruchtbarkeit anzugehen. Der Agrarbericht hat ja gesagt, die Probleme liegen vor allem beim Boden, beim Wasserhaushalt und bei dem ganzen Kohlenstoffhaushalt und dort sollte man jetzt einmal eingreifen. Aber das ist eben nicht so sexy, dafür gibt es weniger Geld und deshalb wird vermehrt in Richtung Biotechnologie geforscht, um eine zweite Grüne Revolution zu verwirklichen. Das ist aber klar die falsche Richtung. Wir müssen jetzt einmal das System, in dem die Landwirtschaft eingebettet ist, betrachten, wir müssen die Ursachen der Probleme lösen und nicht immer nur die Symptome behandeln. Gentechnik behandelt vor allem Symptome.

bioSicherheit: Sind Gentechnik und eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft also zwei Dinge, die nicht miteinander vereinbar sind?

Hans R. Herren: Die Gentechnik wird zu einer Abhängigkeit der Bauern gegenüber einer Technologie und ihrer Produkte führen. Sie hat bereits dazu geführt, dass man heute viel mehr Herbizide, auch wieder solche der höheren Giftklassen, einsetzt und auf lange Sicht auch wieder viel mehr Pestizide brauchen wird. Ist es dies, was die Bauern wirklich brauchen, um nachhaltig zu produzieren? Ich glaube nicht, dass sich die heutige Gentechnik mit Ökolandbau vereinbaren lässt. Wie schon angedeutet, aber man muss dies einfach stark betonen, müssen die Produktionsprobleme von der Ursache her gelöst werden und nicht vom Symptom her. Ich sehe die Zukunft der Landwirtschaft buchstäblich von Grund auf, und das heißt: vom Boden her. Da muss man die Produktionsengpässe lösen und wenn man das richtig macht, haben wir gezeigt, dass man mit Ökolandbau die Welt ernähren kann. Es gibt verschiedene ökologische Anbauansätze wie beispielsweise die pfluglose Bodenbearbeitung, mit denen man viel weiterkommt als mit der Gentechnik. Damit produziert man nicht nur genug, sondern man hat das System so im Griff, dass es langfristig nachhaltig produzieren wird. Die Landwirtschaft der Zukunft muss multifunktional sein, das heißt, dass sie eben nicht nur Nahrungsmittel produziert, sondern auch eine Umwelt, wo wir uns gut fühlen, wo wir gutes Wasser und frische Luft haben und wo wir auch die Vielfalt von Pflanzen und Tieren haben, die die Basis sind für die Zukunft. Der Klimawandel hat ja schon begonnen und kommt noch stärker. Wenn wir da nur noch zwei, drei Sojabohnensorten haben und zwei, drei Maissorten, dann sind wir total ausgeliefert. Wir brauchen die Vielfalt. Die können nur die Bauern erhalten. Und diese Bauern sollte man eben nicht dazu drängen, nur noch Gentech-Mais oder Gentech-Sojabohnen anzubauen.

Die konventionelle Landwirtschaft ist dazu auch noch ein Teil des Klimawandelproblems. Von einer umweltgerechten Landwirtschaft erwartet man, dass sie ein Teil der Lösung ist.

bioSicherheit: Die FAO war eine der Organisationen, die den IAASTD-Bericht gesponsert haben. Nun gab bzw. gibt es in diesem Jahr mehrere Expertentreffen der FAO zum Thema „Welternährung im Jahr 2050“. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Ergebnisse aufgenommen werden?

Hans R. Herren: Von der Führungsspitze überhaupt nicht. Die FAO hat diesen Bericht innerhalb des Hauses nie öffentlich präsentieren lassen. Viele Mitarbeiter wissen gar nicht, dass er existiert, andere loben ihn aber sehr. Die FAO hat diesen Bericht nach außen, d.h. an die Landwirtschaftsminister, noch nicht offiziell als Basis für neue landwirtschaftliche Politiken vorgestellt. Für das FAO-Expertentreffen im Oktober versuche ich zu erreichen, dass der Bericht nicht nur irgendwo am Rande diskutiert, sondern in einem der Hauptvorträge vorgestellt wird. Wir haben einen Bericht von zweitausend Seiten, vier Jahre lang von vierhundert Leuten geschrieben, der fünfzig Jahre zurück und fünfzig Jahre nach vorne schaut. Er versucht zu verstehen, warum sind wir mit der Landwirtschaft dort, wo wir heute sind und wie müssen wir jetzt in Sachen Kenntnisse, Wissenschaft und Technologie handeln, um die Nahrungssicherheit auf lange Sicht zu gewährleisten. Wenn das kein Material für einen Hauptvortrag bei einem FAO-Expertentreffen ist, verstehe ich wirklich nichts mehr.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.