Molecular Pharming

Pharmapflanzen: Der Stand der Dinge

Im Mai 2012 wurde in den USA der erste pharmazeutische Wirkstoff zugelassen, der mit Hilfe einer gentechnisch veränderten Pflanze hergestellt wird. Weltweit nehmen die Bemühungen zu, gentechnisch veränderte Pflanzen ebenso wie bisher z.B. Bakterien oder Hefen als Produktionsorganismen für Impfstoffe und andere pharmazeutisch wirksame Substanzen zu nutzen. In den USA und Kanada, verstärkt aber auch in Europa und hier vor allem in Frankreich, werden solche Pflanzen in Freisetzungsversuchen getestet und daraus gewonnene Arzneimittel bereits klinisch geprüft. Für die Biologische Sicherheit ergeben sich beim Anbau von Pharmapflanzen völlig neue Anforderungen.

Möhren

Die israelische Firma Protalix stellt ein Enzym zur Behandlung des Gaucher-Syndroms mit Hilfe gentechnisch veränderter Möhren her. 2012 wurde das entsprechende Medikament in den USA zugelassen.

Reiszüchtung in China

In gentechnisch veränderten Reispflanzen wurde 2011 erstmals menschliches Albumin produziert. Dieses Protein wird für die Herstellung einer Reihe lebenswichtiger Medikament benötigt. Bislang wird es aufwändig aus Blutplasma gewonnen.

Pflanzen, die Arzneimittel produzieren (PMP, plant made pharmaceuticals), gehören zu den nutzungsveränderten gv-Pflanzen der 2. und 3. Generation, wobei mit der 2. Generation die Pflanzen gemeint sind, die sich in der „Pipeline“, in fortgeschrittener Entwicklung bzw. kurz vor der Zulassung befinden, während die 3. Generation sich noch im Forschungs- bzw. frühen Entwicklungsstadium befindet.

Foto: ProdiGene

Freisetzungen Pharmapflanzen

Freisetzungsanträge für PMP (Plant made pharmaceuticals) bis Ende 2003 weltweit

aus: TAB-Bericht 104

Pflanzenarten PMP

Die wichtigsten für PMP verwendeten Pflanzenarten. In den USA wird vor allem Mais zur Produktion von PMP eingesetzt, in Kanada und der EU dagegen hauptsächlich Pflanzen, die keine Nahrungsmittel liefern, wie Tabak.

aus: TAB-Bericht 104

Die Produktion von Arzneimitteln mit Hilfe gentechnischer Methoden ist nicht neu, sie beschränkte sich aber bislang auf die Produktion in geschlossenen Systemen auf Basis mikrobieller, sowie tierischer und selten auch pflanzlicher Zellen bzw. Gewebe (Fermenter- oder Bioreaktorproduktion). Diese Arzneimittel, so genannte Biopharmazeutika, werden produziert, indem die Gene, die für den gewünschten Stoff codieren, in den Produktionsorganismus eingebracht werden und dort exprimieren. Insbesondere das Bakterium Escherichia coli kommt dabei zum Einsatz. Knapp zwei Drittel der zugelassenen gentechnisch erzeugten Arzneimittel, so auch das erste bereits 1982 erzeugte rekombinante Arzneimittel, menschliches Insulin, werden in E.coli produziert.

2005 waren bereits 203 verschiedene Biopharmazeutika auf dem Markt, die mit 51 Milliarden Dollar knapp zehn Prozent des Arzneimittelweltmarktes ausmachten. Weitere 800 biopharmazeutische Präparate befanden sich zu diesem Zeitpunkt in der klinischen Prüfung. Zwischen 2003 und 2006 war bereits jedes dritte in Europa und den USA zugelassene Arzneimittel ein biopharmazeutischer Wirkstoff.

Durch geeignete gentechnische Modifikationen können auch Pflanzen als Produktionsorganismen für Biopharmazeutika genutzt werden. Dabei werden die in der Pflanze produzierten pharmazeutischen Stoffe anschließend extrahiert und aufgereinigt. Ansätze, impfstoffhaltige Pflanzen zu entwickeln, die durch Verzehr der Pflanze selbst einen Impfschutz bewirken, sind zwar in der Diskussion, aber noch weit entfernt von einer realistischen Perspektive.

Freisetzungen von Pharmapflanzen

Bis heute sind über zweihundert Anträge auf Freisetzungen mit PMP (Plant made pharmaceuticals) produzierenden Pflanzen gestellt, davon die ersten in den USA bereits 1991.

In Deutschland wurde 2006 eine erste Freisetzung mit Pharmapflanzen genehmigt. Wissenschaftler der Universität Rostock untersuchten über mehrere Jahre, inwieweit sich Kartoffeln als Produktionssystem für Impfstoffe eignen.

Die für die Freisetzungen verwendeten Nutzpflanzen sind hauptsächlich Mais und Tabak, gefolgt von Raps und Soja. Pharmastoffe, die aus ihnen gewonnen werden, sind Blut- und Blutgerinnungsproteine, Impfstoffe, Gerüstsubstanzen wie Kollagen, antimikrobielle oder antivirale Wirkstoffe, Wachstumshormone verschiedene Enzyme sowie insbesondere Antikörper. Diese sind bisher am intensivsten in pflanzlichen Produktionssystemen untersucht worden. Therapeutische Antikörper etwa zur Behandlung von Krebs, Autoimmunerkrankungen und Infektionskrankheiten bilden einen Schwerpunkt bei der Entwicklung von PMP.

Erst zwei Plant made pharmaceuticals zugelassen

Bislang darf weltweit noch keine PMP produzierende Pflanze im Freiland angebaut werden. Zwei in transgenen Pflanzen produzierte pharmazeutische Wirkstoffe wurden bereits in den USA zugelassen, sie werden jedoch in geschlossenen Bioreaktoren auf Basis pflanzlicher Zellkulturen produziert. 2006 ließ die FDA einen Impfstoff für Tiere von der Firma Dow AgroSciences zu, im Mai 2012 ein Medikament zur Behandlung des Gaucher-Syndroms, das von der israelischen Firma Protalix mit Unterstützung der Firma Pfizer entwickelt wurde. Es enthält ein Enzym, das in gentechnisch veränderten Möhren produziert wird.

Weitere Wirkstoffe befinden sich bereits in verschiedenen Phasen klinischer Prüfungen (s. Tabelle unten). Einige Proteine (z.B. Trypsin aus Mais, Lactoferrin aus Reis), die aus experimentellen Freisetzungen in den USA stammen, sind kommerziell erhältlich und dürfen für Forschung bzw. Diagnostik verwendet werden.

Die intensivste Forschung und Entwicklung zu PMP findet in den USA und Kanada statt. Aber auch europäische Firmen haben die Nase vorn. So befindet sich ein PMP der französischen Firma Meristem therapeutics zur Behandlung von Mukoviszidose in der Entwicklung. Dieses PMP, eine gastrische Lipase, wird in Mais gebildet und ist bereits in experimentellen Freisetzungen getestet worden. Es könnte das erste Medikament aus gv-Pflanzen sein, für das in Europa eine Zulassung beantragt wird. Diesem PMP wurde 2003 der so genannte Orphan-Drug-Status zuerkannt. Das bedeutet, dem Unternehmen wird im Falle einer erfolgreichen Zulassung garantiert, dass das Medikament bis zu zehn Jahre auf dem Markt exklusiv bleibt. Diesen Status hat im selben Jahr in den USA ein weiteres PMP zuerkannt bekommen.

Als mögliche Vorteile von Pflanzen gegenüber anderen Produktionssystemen werden in der Diskussion vor allem folgende Argumente angeführt: Die Produktion auch großer Mengen pharmazeutischer Wirkstoffe könnte durch den Freilandanbau flexibler und kostengünstiger an die Markterfordernisse angepasst werden; eine Verunreinigung durch Humanpathogene, den Menschen betreffende Krankheitserreger, ließe sich vermeiden; da Proteinstrukturen sich im Produktionsorganismus verändern und damit einen Einfluss auf die gewünschten Eigenschaften der gebildeten Stoffe haben, sind möglicherweise Pflanzenzellen geeigneter für die Produktion, weil sie den menschlichen Zellen ähnlicher sind als etwa Bakterien.

Herausforderung für die Biologische Sicherheit

Pflanzen, die veränderte Inhaltsstoffe und pharmazeutisch wirksame Substanzen bilden, stellen völlig neue Anforderungen an die Sicherheit. Anders als gv-Pflanzen der ersten Generation, die v.a. Wirkstoffe gegen Fraßinsekten bilden oder resistent gegenüber bestimmten Herbiziden sind, werden mit Hilfe von Pharmapflanzen gezielt Stoffe produziert, die eine Wirkung auf Menschen oder höhere Tiere haben. Sie werden darüber hinaus optimiert hinsichtlich der Wirkstoff-Erträge, d.h. sie produzieren ein Vielfaches der Wirkstoffmengen im Vergleich mit bisherigen gv-Pflanzen, und es werden oftmals mehrere genetische Modifikationen gleichzeitig vorgenommen, etwa um die Pflanzen aus Sicherheitsgründen steril zu machen, mit einer entsprechend höheren Wahrscheinlichkeit für unerwartete Effekte.

2002 entbrannte in den USA die Diskussion um die Risiken freigesetzter Pharmapflanzen, als Reste gentechnisch veränderter Maispflanzen in Sojabohnen gefunden wurden. Die texanische Biotechnologiefirma ProdiGene, eines der führenden Unternehmen bei der Entwicklung von PMP, hatte gentechnisch veränderten Mais freigesetzt, der Trypsin, ein Protein der Bauchspeicheldrüse bildet. Trypsin wird u.a. zur Herstellung von Insulin verwendet. Nach Abschluss des Versuchs wurde auf dem Feld Soja für den menschlichen Verzehr angepflanzt. Bei Überprüfung der geernteten Sojabohnen fanden sich Reste von Mais. ProdiGene musste die Ernte von rund 13500 Tonnen Sojabohnen im Wert von zwei Millionen Dollar ankaufen und vernichten sowie zusätzlich eine Strafe zahlen.

Der Konflikt um den Trypsin-Mais hatte deutlich gemacht, dass Arzneimittel produzierende Pflanzen besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern, um sie strikt von Lebens- und Futtermittelpflanzen zu trennen. Neben verschiedenen Maßnahmen, solche Pflanzen physikalisch oder auch biologisch „einzuschließen“, wäre auch die Verwendung von Non-Food-Pflanzen eine Möglichkeit, Risiken einzugrenzen. Allerdings sind für viele PMP-Projekte in den USA bislang immer noch Mais, Raps, Reis oder Kartoffeln die Pflanzen der Wahl.

PMP in Klinischer Prüfung Phase II und weiter

Pflanze Wirkstoff Verwendung Land, Firma
Tabak Impfstoff Newcastle disease bei Hühnern USA, Dow Agrosciences, zugelassen 2/2006
Karotte Enzym, Glucocerebrosidase Gaucher-Syndrom Israel/USA, Protalix Biotherapeutics und Pfizer, zugelassen in den USA 5/2012
Tabak monoklonaler Antikörper Kariesprophylaxe USA, Planet Biotechnology
Mais Enzym, gastrische Lipase Cystische Fibrose, Pankreatitis Frankreich, Meristem Therapeutics
Tabak Impfstoff Grippeviren Kanada, Medicago
Wasserlinse alpha-Interferon Hepatitis B und C USA, Biolex
Arabidopsis Enzym, intrinsischer Faktor diagnostischer Test, Absorption von Vitamin B 12 Dänemark, Cobento Biotech
Tabak Antikörper Erkältungen, durch Rhinoviren verursacht USA, Planet Biotechnology
Kartoffel Antigen Hepatitis B USA, Arizona State University
Tabak Antikörper, Krebsimpfstoff Non-Hodgkin-Lymphome USA, Large Scale Biology

weitere PMP in Klinischer Prüfung Phase I

Pflanze Produkt/Wirkstoff Verwendung Land, Firma
Färberdistel Insulin Diabetes Kanada, SemBioSys Genetics Inc.
Tabak Antikörper HIV-Virus PharmaPlanta, europäisches Konsortium
Tabak Antikörper, Krebsimpfstoff Non-Hodgkin-Lymphome USA, Bayer und Icon Genetics
Tabak Enzym, Glucocerebrosidase Gaucher-Syndrom Italien, Transactiva
Mais Protein, Lactoferrin Trockenes-Auge-Syndrom Frankreich, Meristem Therapeutics
Salat Impfstoff Hepatitis B Polnische Akademie der Wissenschaften
Spinat Impfstoff Tollwut USA, Thomas Jefferson University, Philadelphia
Kartoffel Impfstoff Reisedurchfall USA, Arizona State University
Mais Impfstoff Reisedurchfall USA, Arizona State University
Mais Impfstoff Reisedurchfall USA, ProdiGene
k.A. monoklonaler Antikörper Abschwächung von Nebenwirkungen bei Chemotherapie USA, Planet Biotechnology
Tabak Impfstoff Felines Parvovirus USA, Large Scale Biology
Tabak Impfstoff Papillomavirus USA, Large Scale Biology


aus: TAB-Bericht 104, 2005; A. Spök 2006, Molecular farming on the rise; E.Rehbinder et al. 2008, Pharming. Promises and risks of biopharmaceuticals derived from genetically modified plants and animals; JRC-IPTS 2008, Plant Molecular Farming – Opportunities and Challenges; www.molecularfarming.com