BMELV-Forschungsprogramm Koexistenz

„Für konkrete Aussagen zu Mindestabständen ist es noch zu früh.“

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) setzt die 2005 begonnenen Versuche zur Koexistenz verschiedener landwirtschaftlicher Systeme mit und ohne Gentechnik fort. In diesem Jahr sind Versuchsflächen an sechs Standorten eingerichtet. Wie im Vorjahr geht es um Pollenflug und Einkreuzungsraten bei Mais. Das Ziel des mehrjährig angelegten Forschungsprogramms ist die Ableitung von Mindestabständen zwischen Feldern mit gentechnisch verändertem und konventionellem Mais. – bioSicherheit sprach mit Gerhard Rühl von der Forschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), dem Koordinator des Programms.

Dr. Gerhard Rühl (FAL, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft) in Braunschweig koordiniert das „BMELV-Forschungsprogramm zur Sicherung der Koexistenz Gentechnik-freier und Gentechnik verwendender Landwirtschaft.“

Zwischenflächen mit Getreide. Auf der Versuchsanlage in Braunschweig steht Gerste zwischen den Maisschlägen. Zur Zeit des Pollenflugs ist die Gerste geerntet und es stehen noch Getreidestoppeln auf den Zwischenflächen.

Testsystem Weißmais. Mit diesem Testsystem sollen Auskreuzungen bestimmt werden, ohne gentechnisch veränderten Mais einzusetzen. Pollenspender (Donor) ist üblicher Gelbmais, Empfänger (Rezipient) ein spezieller Weißmais. (Foto oben) Einkreuzungen von Gelbmais sind an einzelnen gelb gefärbten Körnern des Weißmais-Kolbens zu erkennen. (Foto unten) Weißmais und Gelbmais zeigen jedoch ein unterschiedliches Blühverhalten. Daher kann dieses Testsystem keine exakten Werte liefern.

bioSicherheit: Das BMELV setzt das 2005 begonnene Forschungsprogramm zur Koexistenz fort. Welche Fragestellungen werden 2006 verfolgt?

Gerhard Rühl: Wichtigster Aspekt ist in diesem Jahr die Ableitung von Mindestabständen zwischen gentechnisch verändertem und nicht gentechnisch verändertem Mais. Hier interessiert uns, mit welchen Einkreuzungen wir bei zunehmender Entfernung vom gv-Maisschlag in Hauptwindrichtung zu rechnen haben.

Wir führen alle Versuche unter worst case-Bedingungen durch, also unter Bedingungen, bei denen die jeweils höchsten Auskreuzungsraten zu erwarten sind. So sind alle Versuchsanlagen in Windrichtung angelegt. Außerdem verwenden wir sowohl beim Donor, dem Bt-Mais, wie beim Rezipienten, dem konventionellen Mais, Sorten mit gleichem Blühzeitpunkt. Wenn männliche und weibliche Blüten gleichzeitig blühen, ist das optimal für Einkreuzung.

bioSicherheit: Geht es ausschließlich um die Distanzen, bei denen mit wesentlichen Auskreuzungen zu rechnen ist?

Gerhard Rühl: Wir wollen auch herausfinden, ob die Ackerfrucht zwischen den gv- und den nicht veränderten Maisbeständen einen Einfluss auf den Pollenflug und damit die Höhe der Einkreuzung hat. In diesem Jahr prüfen wir zwei Varianten, zum einen Klee/Gras-Gemisch, zum anderen Getreidestoppeln. Damit wollen wir dem hohen Getreideanteil in der Fruchtfolge Rechnung tragen.

In diesem Jahr prüfen wir zusätzlich die Wirksamkeit einer Mantelsaat. Diese haben wir aber nur an der Seite des gv-Maisschlages angelegt, die dem konventionellen Mais direkt gegenüber liegt.

An einem Standort wollen wir außerdem den Einfluss der Drillrichtung untersuchen. Bei den Versuchen im letzten Jahr haben wir Anhaltspunkte dafür erhalten, dass es bei den Auskreuzungen einen Unterschied machen könnte, ob die Maisreihen in Windrichtung angeordnet sind oder quer zu ihr.

bioSicherheit: Sie setzen zwei Testsysteme ein, Bt-Mais und nicht gentechnisch veränderte Weißmaishybriden. Warum?

Gerhard Rühl: Das beste System zur exakten Ableitung von Mindestabständen ist das aus Bt-Mais und den entsprechenden isogenen Sorten. Ziel ist ja, Aussagen zu treffen, mit welchen Mindestabständen der rechtlich vorgegebene Schwellenwert von 0,9 Prozent in der Praxis eingehalten werden kann. Mit dem System Bt-Mais und isogener Hybride können wir Auskreuzungen quantitativ bestimmen.

Zusätzlich setzen wir ein „gentechnik-freies“ Testsystem ein, das ist der Weißmais. Wir zählen die Anzahl der gelben Körner an einem weißen Maiskolben und erhalten damit einen Anhaltswert für die Einkreuzungen. Im letzten Jahr haben wir allerdings die Erfahrung gemacht, dass mit diesem System keine exakten Messungen möglich sind. Es liefert qualitative Aussagen, ob es mehr oder weniger Einkreuzungen gegeben hat. Das Weißmais-System nutzen wir daher zu vergleichenden Untersuchungen, etwa bei der Frage der Ackerfrucht zwischen den Maisfeldern oder der Drillrichtung.

bioSicherheit: Welche Ergebnisse lieferten die Versuche in 2005?

Gerhard Rühl: Da es sich um einjährige Versuchsergebnisse handelt, sind wir mit der Aussage zu Mindestabständen sehr vorsichtig. Pflanzenbauliche Versuche sollten sich üblicherweise über mindestens drei Jahre erstrecken.

Uns standen im letzten Jahr zur Untersuchung der Einkreuzungsraten unter praxisnahen Bedingungen lediglich zwei Standorte zur Verfügung, Groß-Lüsewitz und Wendhausen. Dort haben wir deutlich unterschiedliche Einkreuzungsraten gemessen. Im Vergleich zur Literatur lagen diese relativ hoch. Sie decken sich aber mit den erhöhten Einkreuzungsraten, die sich 2005 bei den Versuchen des Erprobungsanbaus ergeben haben. Wir haben auch in einer Entfernung von 78 Metern am Rand eines konventionellen Maisschlages Einkreuzungen über 0,9 Prozent gefunden.

bioSicherheit: Welchen Einfluss hatte 2005 die Bewirtschaftung zwischen Maisschlägen auf den Pollenflug und damit auf die Einkreuzungsraten?

Gerhard Rühl: Wir haben im letzten Jahr die Varianten Sonnenblume und Klee/Gras-Gemisch als Bewirtschaftungsvarianten auf den Zwischenflächen geprüft. Entgegen unserer Erwartung haben die hoch wachsenden Sonnenblumen nicht als physikalische Abschirmung gewirkt und nicht zu einer Verminderung der Einkreuzung geführt. Die unterschiedliche Thermik über niedrig wachsenden Früchten wie Klee/Gras oder abgeernteten Getreidefeldern scheint uns da ausschlaggebender für den Pollenflug.

bioSicherheit: Welche Empfehlungen können Sie derzeit auf Basis ihrer Versuche für die landwirtschaftliche Praxis abgegeben? Das Ministerium (BMELV) ließ Anfang des Monats verlauten, dass beim Anbau von gv-Mais ein Abstand von 150 Meter notwendig sei, um bei der Koexistenz auf der sicheren Seite zu liegen.

Gerhard Rühl: Eine Ableitung von verlässlichen Mindestabständen ist aufgrund der noch unzureichenden Datengrundlage derzeitig nicht sinnvoll. Konkretere Aussagen sind erst nach Auswertung der diesjährigen Versuche möglich. Die vom Ministerium vorgeschlagenen 150 Meter Mindestabstand basieren nicht auf Daten unserer Versuche im letzten Jahr. Unsere Arbeitsgruppe hatte in der Vergangenheit aufgrund der Literaturstudien eine Empfehlung von 50 Meter abgegeben.

bioSicherheit: Im Vorjahr wurden auch Versuche zur Agro-Biodiversität durchgeführt.

Gerhard Rühl: Die Untersuchungen zur Biodiversiät werden 2006 nicht fortgesetzt.