BMELV-Forschungsprogramm Koexistenz

„Mit einem Abstand von 150 Metern sollte der Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9 Prozent in der Gesamternte einzuhalten sein.“

Im Januar 2008 hat der Bundestag ein neues Gentechnikgesetz verabschiedet. Es schreibt vor, dass Landwirte, die gentechnisch veränderten Mais anbauen, einen Mindestabstand von 150 Metern zu konventionellen Feldern berücksichtigen müssen. Die Abstandsregelung dient der Einhaltung des von der EU vorgeschriebenen Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent. Basis für die Festlegung der Abstände waren unter anderem die Ergebnisse aus dem Bundesforschungsprogramm zur Sicherung der Koexistenz des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). BioSicherheit sprach mit Gerhard Rühl vom Julius Kühn-Institut (JKI) in Braunschweig, dem Koordinator des auf mehrere Jahre angelegten Forschungsprogramms.

Dr. Gerhard Rühl, Koordinator des BMVEL- Forschungsprogramms zur Sicherung der Koexistenz gentechnikfreier und Gentechnik verwendender Landwirtschaft und Schutz der Biodiversität; Institut für Pflanzenbau und Grünlandwirtschaft, FAL Braunschweig

Das Versuchsfeld in Rheinstetten-Forchheim wurde Ende April von Gentechnik-Gegnern besetzt. Sie errichteten auf dem Acker einen zehn Meter hohen Turm und ein Zeltdorf, um die Maisaussaat zu verhindern. Das Feld wurde von der Polizei geräumt.

Bereits 2006 und 2007 waren auf der Versuchsfläche Bt-Maispflanzen zerstört worden.
Foto: projektwerkstatt.de

bioSicherheit: Gerade wurde im Bundestag das neue Gentechnikgesetz verabschiedet. Damit gibt es in diesem Jahr erstmals Regeln der Guten fachlichen Praxis beim Anbau von gv-Mais. Halten Sie die dort vorgeschriebene Abstandsregelung aufgrund Ihrer bisherigen Ergebnisse für angemessen?

Gerhard Rühl: Bei der derzeitigen Konstellation sollte mit einem Abstand von 150 Metern der Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9 Prozent, bezogen auf die Gesamternte, einzuhalten sein. Das kann man den Daten, die wir seit 2005 gesammelt haben, entnehmen.

bioSicherheit: Was meinen Sie mit der „derzeitigen Konstellation“?

Gerhard Rühl: Es gibt zurzeit noch keinen Schwellenwert für zulässige GVO-Beimischungen im Saatgut. Das heißt, wir gehen bei unseren Empfehlungen davon aus, dass Saatgut keine gentechnisch veränderten Anteile enthält. Sollte es in Zukunft einen Saatgutschwellenwert geben – diskutiert wird derzeit ein Wert zwischen 0,1 und 0,5 Prozent - würde das den Spielraum für weitere GVO-Einträge beim Anbau natürlich einschränken. Es dürfte dann nur noch ein bestimmter Prozentsatz dazu kommen, damit der Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9 Prozent unterschritten wird. Unter diesen Rahmenbedingungen müssten die Ergebnisse neu bewertet werden.

bioSicherheit: Wenn 150 Meter im konventionellen Anbau als sicher gelten, warum schreibt die Verordnung über die Gute fachliche Praxis dann einen Abstand von 300 Metern zu ökologisch bewirtschafteten Feldern vor? Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Gerhard Rühl: Für die 300 Meter Abstand zu ökologisch bewirtschafteten Flächen gibt es so gesehen keine Gesetzesgrundlage. Es gibt nur einen Kennzeichnungsschwellenwert, der von der EU vorgegeben wird, und der beträgt 0,9 Prozent. Die Regelung ist daher ein Zugeständnis an den ökologischen Landbau. Sie dürfen nicht vergessen: Der ökologische Landbau wirbt mit Null-Toleranz für GVO-Einträge. Um dieser möglichst nahe zu kommen, hat man die 300 Meter gewählt. Das ist eine rein politische Entscheidung.

bioSicherheit: Ein Gutachten für das Bundesamt für Naturschutz (BfN) vom Mai 2007 ergab, dass in einer Entfernung von 100 Metern deutlich mehr Pollen ankommt als bisher angenommen. Welche Rolle spielt dies für die Auskreuzung und die Festlegung von Abstandsregelungen?

Gerhard Rühl: Im Gutachten wurde der Pollenflug in den Vordergrund gestellt. Pollenflug ist natürlich die Grundlage für eine Auskreuzung. Was man bei der Interpretation von Pollenflugdaten hinsichtlich möglicher Auskreuzungsereignisse aber nicht vergessen darf, ist die Bedeutung der „Fitness“ des Pollens sowie die Konkurrenz zwischen lokal produziertem und fremdem Pollen (Pollenkonkurrenz). Ein Pollen, der lange Zeit unterwegs ist, ist nicht mehr so konkurrenzstark wie ein frisch geschütteter Pollen, eventuell ist er auch gar nicht mehr befruchtungsfähig und wird daher seltener zu einem Einkreuzungsereignis führen. Deswegen haben wir bei der Konzeption der Versuche entschieden: so interessant es ist, zusätzlich zu wissen, wie weit der Pollen fliegt – es ist aus der Sicht der Koexistenz nur von theoretischem Interesse. Wir müssen die tatsächliche Auskreuzung ermitteln. Für die Frage der Koexistenz ist lediglich entscheidend, ob ein Pollenkorn tatsächlich auf einer Maisblüte landet und dort erfolgreich zu einer Befruchtung führt. Das ist letztlich auch die Basis für eine mögliche Haftung gegenüber benachbarten Betrieben, die durch die Koexistenzregelungen möglichst ausgeschlossen werden soll.

bioSicherheit: Wie berücksichtigen Sie die Abhängigkeit des Pollenflugs von klimatischen Gegebenheiten bei der Überprüfung von Abstandsregelungen?

Gerhard Rühl: Wir machen unsere Untersuchungen zur Auskreuzung unter so genannten „worst-case„-Bedingungen. Das heißt, die Felder sind in Hauptwindrichtung angelegt und wir verwenden immer Sortenpaare, die fast synchron blühen. Diese Konstellation wird in der Praxis natürlich nicht so oft auftreten. Da es aber das Ziel von Koexistenzmaßnahmen ist, generell ein verträgliches Nebeneinander der verschiedenen Anbauformen zu gewährleisten, werden die Feldversuche unter möglichst „ungünstigen“ Bedingungen durchgeführt. Wir haben das große Glück, dass der Deutsche Wetterdienst an jedem unserer Felder eine Wetterstation aufbaut und betreut. Dort werden Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Temperatur, Luftfeuchte, Niederschlag und Einstrahlung während der Blühperiode gemessen. Das ist für uns für die Aus- und Bewertung der Versuche immens wichtig. Wir müssen die klimatischen Bedingungen direkt am Feld kennen. Im Jahr 2005 hatten wir extreme Windverhältnisse, also konstant und mit entsprechender Stärke aus der „gewünschten“ Richtung. In diesem ersten Versuchsjahr ließ sich eine recht hohe Einkreuzung bis tief in den Bestand hinein nachweisen. Das hat uns schon überrascht, denn damit hatten wir nach Literaturdatenlage nicht gerechnet. Aber das ist genau der Grund, warum man Feldversuche mehrjährig und an mehreren Orten anlegt, damit man solche „Extrembedingungen“ einfängt und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens abschätzen und bei der Formulierung der Guten fachliche Praxis berücksichtigen kann.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch