Modell zum Genfluss bei Pappeln

(2005 – 2008) Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Biologie, Fachgebiet Naturschutz

Thema

Langlebige Bäume können ihre genetische Information über viele Generationen hinweg an ihre Nachkommen weitergeben. Im Falle gentechnisch veränderter Pappeln könnten auf diesem Wege Transgene in natürliche Pappelbestände gelangen (vertikaler Gentransfer).

Es sollte ein Computer-gestütztes Modell erarbeitet werden, dass den Genfluss zwischen Pappelbeständen in einer realen Landschaft simuliert. Diese Modellierung bietet dann die Möglichkeit, das Risiko einer Samen- und Pollenausbreitung in einer realen Landschaft und somit einer Auskreuzung zwischen verschiedenen Pappelarten abzuschätzen. Das vorliegende Projekt basiert auf Vorarbeiten zur Modellierung des Genflusses bei Bäumen.

Zusammenfassung

  • Es wurde ein Klonkataster mit den 61 wichtigsten in Deutschland zugelassenen Hybridpappelklonen erstellt. Mit dem dort hinterlegten genetischen Fingerabdruck können Pappelklone eindeutig Sorten zugeordnet werden.
  • Für das Naturschutzgebiet Ederaue wurde ein Simulationsmodell entwickelt, mit dem sich die Ausbreitung transgener Merkmale in einer realen Landschaft simulieren lässt. In dem Modell wird jeder Baum einzeln dargestellt und dessen Entwicklung simuliert. Außerdem kann das Modell den Genfluss innerhalb und zwischen den Arten als Pollen- bzw. Samenausbreitung darstellen.

Versuchsbeschreibung

Verteilung der Pappeln im Untersuchungsgebiet

Das Haupt-Untersuchungsgebiet war ein Landschaftsausschnitt in Hessen bei Fritzlar mit einer Größe von ca. 900 Quadratkilometern. Im Zentrum des Gebietes liegt das Naturschutzgebiet (NSG) Ederaue. Im Bereich des NSG existiert eine natürliche Schwarzpappelpopulation mit ca. 400 Individuen. Im Umkreis von 15 Kilometern finden sich weitere Schwarzpappeln und zusätzlich eine gewisse Anzahl an fortpflanzungsfähigen Hybriden. Diese findet man häufig an Sportplätzen und Wegen, nur selten sind die Bäume in größeren Plantagen anzutreffen. Als Referenzfläche diente das NSG Kühkopf bei Stockstadt am Rhein. Dort steht ebenfalls eine größere Anzahl an Schwarz- und Hybridpappeln dicht beieinander.

Für die Kartierung der Bäume wurden sowohl GIS-Daten (GIS = Geographisches Informationssystem) der regionalen Forstämter als auch GPS-gestützte Daten (GPS = Globales Positionssystem) verwertet. Pappeln sind zweihäusig getrennt geschlechtlich. Das Geschlecht der Bäume wurde anhand der Blüten jeweils im Frühjahr bestimmt.

Schwarzpappel (populus nigra)

Schwarzpappel (Populus nigra), männlich

Kätzchen der Zitterpappel

Kätzchen der Schwarzpappel, weiblich

Foto: Marc Niggemann

Vitalitätsuntersuchungen in Schalen mit unterschiedlichen Bedeckungsgraden

Vitalitätsuntersuchungen in Schalen mit unterschiedlichen Bedeckungsgraden

Ökologische Untersuchungen

Blühphänologie. Die Überlappung des Blühzeitraums ist eine Voraussetzung für die Auskreuzung verschiedener Pappelarten (u.a. Schwarz- und Hybridpappel). Es wurde möglichst genau die Dauer und die Art der Überlappung der Blühphasen der Arten P. nigra und der Hybride P. x canadensis sowie das Geschlecht der Bäume ermittelt.

Keimfähigkeitstests. Für die Analyse der Keimfähigkeit wurden die Samen von befruchteten weiblichen Pappeln unterschiedlicher Standorte und Arten gewonnen. Da Pappelsamen keine Keimruhe benötigen, konnten die Samen sofort ausgesät werden. Die Zahl der auskeimenden Samen im Vergleich zur Gesamtzahl der ausgesäten Samen (Keimprozente) wurde ermittelt.

Vitalität unter Konkurrenzbedingungen. Für diese Untersuchungen wurden die Samen im Gewächshaus in Pflanzschalen mit verschieden starker Bodenbedeckung angezogen. Nach vier Wochen wurden die Keimlinge geerntet, vermessen und deren Artzugehörigkeit genetisch analysiert.

Molekularbiologische Untersuchungen

Analyse des Genflusses über Vaterschaftsnachweis. Die Vaterschaftsanalyse sollte Aufschluss darüber geben, welche männlichen Pappeln an der Befruchtung der weiblichen Bäume beteiligt waren. Diese Analyse ermöglichte es, die Flugweite des Pollens zu ermitteln. Hierzu wurde DNA aus den Keimlingen der beernteten Mutterbäume isoliert. Diese DNA wurde auf so genannte Gen-Marker hin untersucht. Diese Marker (Mikrosatelliten) geben Aufschluss über die Identität eines Baumes.

Aufbau eines Klonkatasters. Für eine schnelle Bestimmung der gepflanzten Hybridklone wurde ein Klonkataster entwickelt, welches für die wichtigsten kommerziellen Klone ihren eindeutigen Genotyp beinhaltet.

Entwicklung des Simulationsmodells

Datenerhebung. Für die Computersimulation wurde das an der Universität Marburg entwickelte Programm „Introgression“ verwendet. Geographische, meteorologische, ökologische und genetische Daten sollten gekoppelt werden, um den Genfluss möglichst realitätsnah abzubilden. Die meteorologischen Daten wurden von Wetterstationen, die geographischen Daten von den regionalen Landesvermessungsämtern und der Forstverwaltung geliefert. Die Anzahl und die Verteilung der Pappeln im Gebiet, sowie die Keimfähigkeit des Pappelsamens wurden im Untersuchungsgebiet erhoben (ökologische Daten). Die molekularbiologischen Untersuchungen zur Analyse des Genflusses zwischen den Individuen lieferten die genetischen Daten. Diese Vaterschaftsanalyse liefert neben Daten zu räumlichen Distanzen auch Rückschlüsse über die Qualität der Pollen.

Abbildung von Risikoszenarien. Durch Szenarienbildung kann das Modell Hinweise geben, welche Standorte als kritisch für eine Anpflanzung von transgenen Pappelpopulationen zu bewerten sind. Das Simulationsprogramm kann auch auf andere Baumarten und Landschaften übertragen werden. Die Modellierung erfolgt in zwei Schritten – zuerst wird die Pollenausbreitung simuliert, anschließend wird diese Ausbreitungsfunktion mit leichten Veränderungen in der Parameterzusammensetzung auch für die Ausbreitung der Samen verwendet.

Ergebnisse

Verteilung der Pappeln im Untersuchungsgebiet

In beiden Untersuchungsgebieten waren Schwarz- und Hybridpappeln vorhanden. Da im Gebiet NSG Ederaue mehr Schwarzpappeln vorhanden waren, als ursprünglich bei den Forstbehörden bekannt war, wurde sich auf dieses Gebiet konzentriert. Insgesamt wurden 743 Altbäume und 380 junge Bäume mit GPS eingemessen, markiert und Blattproben genommen. Es stehen 566 Altbäume im NSG Ederaue und 177 im NSG Kühkopf. Die 380 Jungbäume stehen in einer stillgelegten Kiesgrube westlich des NSG Ederaue.

Stadien der Blühphänologie:

geschlossene Knospen einer männlichen Pappel

Geschlossene Knospen einer männlichen Pappel

geöffnete Knospen

Geöffnete Knospen

Pollen-Freisetzung

Pollen-Freisetzung

empfängnisbereite Narben einer weiblichen Pappel

Empfängnisbereite Narben einer weiblichen Pappel

Fotos: Marc Niggemann

Abb.1: Verteilung der Blühzeiträume der untersuchten Bäume im NSG Ederaue

Aufgrund des spät einsetzenden Frühlings im Jahr 2006 sind Schwarz- wie Hybridpappel nahezu zeitgleich. Der Hauptanteil der männlichen und der weiblichen Blüte ist nicht überlappend. Es mag aber doch noch vereinzelt männliche Bäume gegeben haben, die weibliche Blüten bestäuben konnten.

Ernte der Samen an meterhohen Pappeln mit Hilfe eines Ruthmann Steigers der Stadtwerke Fritzlar.

Abb.2: Distanzen der Vaterbäume zum Mutterbaum.
Graue Säulen = Anzahl der genetisch ermittelten Väter
schwarze Säulen = Anzahl aller potenziellen Väter in der jeweiligen Distanzklasse.

Abb.3: Die Abbildung zeigt die simulierte räumliche Pollenkonzentration der beiden Modelle. Auffällig ist eine Verschiebung der Pollenkonzentration nach Nord-Osten im meteorologischen Modell (B) im Vergleich zum mathematischen Modell (A). Dieses Ergebnis bildet die regionalen Winddaten im Blühzeitraum gut ab.

Ökologische Untersuchungen

Beobachtung der Blühphänologie. Mit Beginn der Vegetationsperiode 2006 wurden im Hauptuntersuchungsgebiet NSG Ederaue sowie in der Referenzfläche Kühkopf zwei mal wöchentlich die Pappelpopulationen begangen und der Grad des Austriebes (Blüte) festgestellt. Bei männlichen Bäumen sind vier Blühstadien, bei weiblichen sechs Stadien zu unterscheiden. Der Prozentsatz der Blüten im jeweiligen Stadium wurde geschätzt.

Im NSG Ederaue wurden 50 Bäume untersucht, davon waren 17 weibliche und 21 männliche P. nigra- sowie vier weibliche und acht männliche P. x canadensis-Bäume. Aufgrund des spät einsetzenden Frühlings im Jahr 2006 waren die Blühzeiträume der beiden Arten nahezu gleich (s. Abb. 1).

Im NSG Kühkopf wurden im Jahr 2006 zwölf Bäume untersucht, davon waren eine weibliche und fünf männliche P. x canadensis- sowie sechs weibliche P. nigra-Bäume. Eine Geschlechterbestimmung der Bäume vor der Blühphase ist nicht möglich, so dass zufällig kein männlicher P. nigra-Baum ausgewählt wurde. Die Blühbeobachtung der Referenzfläche im Jahr 2006 zeigte ähnliche Ergebnisse wie in der Ederaue. Allerdings waren die Überlappungen der Blühzeiträume zwischen den beiden Arten nicht so exakt wie in der Ederaue.

Keimfähigkeitstests. Im Frühjahr 2006 wurden die Samen von acht und im Frühjahr 2007 von elf Mutterbäumen geerntet. Der Zeitpunkt wurde so gewählt, dass die Samenhüllen gerade aufgeplatzt waren und erste Wolle zu sehen war. Die Samen wurden für die Keimung in Petrischalen ausgebracht und nach fünf und zehn Tagen gezählt. In beiden Jahren konnten keine deutlichen Unterschiede in den Keimraten von P. nigra und P. x canadensis festgestellt werden. In beiden Jahren kamen fast alle Samen zur Keimung (Keimrate über 90 Prozent).

Vitalität unter Konkurrenzbedingungen. Von Keimlingen aus drei verschiedenen Bedeckungsgraden wurde jeweils die Größe, die Anzahl an Blättern sowie die Keimrate ermittelt. Die genetische Analyse der Keimlinge erbrachte, dass Schwarzpappeln generell häufiger als Vater fungieren als Hybridpappeln.

Molekularbiologische Untersuchungen

Analyse des Genflusses. Das Isolieren der DNA aus Samen erwies sich als unpraktisch, alle weiteren Arbeiten wurden daher an Keimlingen durchgeführt.

Auf einer Fläche im Südwesten des NSG wurden über 3000 Proben von Jungbäumen genommen. Elternschaftsanalyse zeigte, dass der wesentliche Anteil der Eltern P. nigra-Bäume sind und aus der näheren Umgebung stammen.

Bei den beernteten Samen stammten die meisten Väter aus der unmittelbaren Umgebung der Mutter. Nur sehr vereinzelt wurden Väter in einer Entfernung von über tausend Metern identifiziert. (Abb.2)

Aufbau eines Klonkatasters. Die 61 wichtigsten in Deutschland zugelassenen Hybridpappelklone wurden in einem Klonkataster erfasst. Die Überprüfung und Bewertung des Katasters erfolgte durch ein Referenzlabor. Die Arbeiten hierzu wurden im Frühjahr 2008 abgeschlossen.

Modellierung

Entwicklung des Modells. In das Computerprogramm „Introgression“ wurden Funktionen zur Samenausbreitung in der realen Landschaft eingearbeitet. Eine weitere Anpassung ermöglichte, dass das Programm punktorientiert (vorher gitterorientiert) arbeitete und somit auch die Darstellung von Baumreihen und Einzelbäumen ermöglichte.

Ein kritischer Aspekt bei der Entwicklung des Modells war die Wahl einer geeigneten Ausbreitungsfunktion für die Samen bzw. die Pollen. Die Ausbreitung bei der Pappel erfolgt durch Wind, daher lag es nahe, Daten über die Windverhältnisse mit einzubeziehen. Dazu wurde in den Jahren 2006 und 2007 eine Ausbreitungsfunktion auf der Grundlage meteorologischer Ausbreitungsmodelle entwickelt. Die Abbildung 3 zeigt die Ausbreitungswolke der beiden für die Simulation eingesetzten Modelle. Das meteorologische Modell zeigt das typische Ausbreitungsverhalten von über Wind transportierten Partikeln (siehe Abb. 3B). Dabei flossen die vom Deutschen Wetterdienst stündlich erhobenen Daten über Windstärke und -richtung, die Sonnenscheindauer und der Bewuchs der Landschaft in die Berechnungen ein.

Anwendung des Modells. Mit Hilfe des Modells konnten Unterschiede in der Fruchtbarkeit der Hybrid- bzw. Schwarzpappelpollen nachgewiesen und quantifiziert werden.

Außerdem wurden mit dem Simulationsmodell verschieden Szenarien zur Wiederbesiedlung der Flussaue durch natürliche Bestände untersucht. Diese Ergebnisse bedürfen aber noch weiterer Tests.