Das perfekte Timing

Interview mit dem Molekularbiologen Ulrich Lutz

12.04.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Wir sprachen mit Ulrich Lutz, der am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen forscht. (Bildquelle: © Ulrich Lutz)

Wir sprachen mit Ulrich Lutz, der am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen forscht. (Bildquelle: © Ulrich Lutz)

Ulrich Lutz ist Post-doc in der Abteilung Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Tübingen. Mit Pflanzenforschung.de sprach er über den Einstieg in die Molekularbiologie und seine Grundlagenforschung zum Blühzeitpunkt.

Pflanzenforschung.de: Wie begann ihre Karriere in der Molekularbiologie?

Lutz: Ich habe 2005 begonnen an der Universität Hohenheim den Diplomstudiengang „Agrarbiologie“ zu studieren. Das ist ein besonderer Studiengang, denn normalerweise wird Biologie oder Agrarwissenschaften angeboten, während dieser Studiengang die Biologie direkt mit den Agrarwissenschaften verbindet. Am Ende war das ideal für mich, da ich ein naturwissenschaftliches Fach studieren wollte, aber durch meine Familie auch einen Bezug zur Landwirtschaft hatte. In Hohenheim habe ich mich dann auf Pflanzen und die moderne Biotechnologie spezialisiert. 

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Am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben begann Lutz mit dem Modellorganismus Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, zu arbeiten. Das legte den Grundstein für seine weitere berufliche Karriere in der Grundlagenforschung und der Molekularbiologie.

Am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben begann Lutz mit dem Modellorganismus Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, zu arbeiten. Das legte den Grundstein für seine weitere berufliche Karriere in der Grundlagenforschung und der Molekularbiologie.

Bildquelle: © Ulrich Lutz

Pflanzenforschung.de: Wie ging es dann weiter?

Lutz: Meine Diplomarbeit habe ich in der Gruppe von Prof. Nicolaus von Wirén am IPK, dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, angefertigt. Das IPK habe ich gewählt, weil ich dort zuvor auch ein Praktikum absolviert habe und mir daher sicher war, an diesem Institut Forschung auf hohem Niveau betreiben zu können. Das hat meinen beruflichen Werdegang stark beeinflusst. Denn hier habe ich begonnen, mit dem Modellorganismus Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, zu arbeiten. So kam ich zur Grundlagenforschung und habe entdeckt, wie viel Spaß mir die Molekularbiologie macht.

Pflanzenforschung.de: Was ist für Sie das spannende an der Molekularbiologie?

Lutz: Auf molekularer Ebene kann man Pflanzen nicht nur verstehen, sondern auch verändern. Man kann handwerklich arbeiten und das auf einer Ebene, die so klein ist, dass man sie mit dem bloßen Auge nicht sehen kann. Faszinierend ist, dass selbst minimale Veränderungen auf dieser Ebene eine Auswirkung auf ein sichtbares Merkmal haben können. Auf jeden Fall hat mir die Arbeit im Labor in Gatersleben damals gezeigt, dass ich in dem Bereich promovieren will.  

Pflanzenforschung.de: Wohin hat es Sie dann verschlagen?

Lutz: Ich habe dann bei Prof. Claus Schwechheimer am Lehrstuhl für die Systembiologie der Pflanzen der Technischen Universität München (TUM) promoviert. Das Timing war damals perfekt. Denn am Ende meiner Diplomarbeit wurde in München eine Stelle in der Grundlagenforschung ausgeschrieben. Ich habe mich ganz klassisch beworben und habe mich gefreut, dass ich dort weiterforschen konnte.

Pflanzenforschung.de: Was war für Sie der Antrieb die Doktorarbeit in der Pflanzenforschung zu schreiben?

Lutz: Wenn man eine Doktorarbeit anfängt, muss man sich sicher sein, dass man das wirklich machen will. Ohne Faszination geht es nicht! Ich war letztendlich fünf Jahre Doktorand – da muss man schon eine große Freude bei der Arbeit haben. Ich habe mich dort der Erforschung der natürlichen genetischen Variation bei Arabidopsis thaliana gewidmet, mit Fokus auf den Blühzeitpunkt in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur. Als ich damit begann, war das ein noch relativ neues Forschungsfeld, zumindest was die molekularen Grundlagen betrifft, und daher sehr spannend. Beispielsweise konnte ich herausfinden, dass wenige Basenunterschiede in nicht-kodierender DNA einen Effekt auf den Blühzeitpunkt haben können. Zu meiner Forschung konnten auch zwei Fachpublikationen in sehr guten Zeitschriften veröffentlicht werden. Das war ein Prozess, der einen jungen Forscher vor viele Herausforderungen stellt.

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„Wenn man eine Doktorarbeit anfängt, muss man sich sicher sein, dass man das wirklich machen will

„Wenn man eine Doktorarbeit anfängt, muss man sich sicher sein, dass man das wirklich machen will", sagt Ulrich Lutz. Denn es ist ein „steiler und steiniger Weg“, den man bildlich gesprochen mit dem Erklimmen eines Berges vergleichen kann.

Bildquelle: © Ulrich Lutz/privat

Pflanzenforschung.de: Wie ist es als Nachwuchswissenschaftler eine Publikation vorzubereiten?

Lutz: Es ist nicht ganz einfach, seine Forschung in die Form zu bringen, die für einen wissenschaftlichen Artikel gefordert ist. Man braucht nicht nur gute Ergebnisse, sondern auch eine gute Story. Darüber hinaus muss man den Text präzise und knapp formulieren. Da benötigt man am Anfang noch viel Hilfe von Personen, die damit schon Erfahrung haben. Auch der Abstimmungs- und Korrekturprozess ist sehr zeitintensiv. Und nach der Einreichung bei einem Fachmagazin kommen noch die Gutachten und Anmerkungen von anderen Kollegen, die berücksichtigt werden müssen, bevor die Publikation (im besten Falle) akzeptiert wird. Die Freude und Erleichterung ist dann natürlich groß, wenn das Paper final publiziert ist!

Pflanzenforschung.de: Wie kamen Sie dazu, die natürlichen genetischen Variationen der Ackerschmalwand in Bezug auf den Blühzeitpunkt zu erforschen?

Lutz: Ich habe in meiner Diplomarbeit neben Fragestellungen der Pflanzenernährung bereits am Blühzeitpunkt gearbeitet, bin aber anschließend anderen Forschungsfragen nachgegangen. Doch ausschlaggebend war, dass 2008 das 1001 Genom-Projekt gestartet wurde. Das Projekt hatte das Ziel, sehr viele natürliche Arabidopsis-Linien zu sequenzieren. Dadurch entstand meine Idee, diese Daten zu nutzen, um natürliche Variationen von Eigenschaften genauer zu untersuchen. Diese genetischen Unterschiede haben sich im Laufe der Evolution entwickelt. Und dabei habe ich eine Linie entdeckt, die auffällige Unterschiede im Blühzeitpunkt zeigte.

Pflanzenforschung.de: Und diese Linie weckte ihr Interesse und ebnete dann den Weg für ihre weitere Forschung?

Lutz: Genau. Dem bin ich dann weiter nachgegangen. Die besagte Linie heißt „Kil-0“, das ist die Kurzform von „Killean-0“ – Killean ist ein Ort in Schottland, an dem man diese Ackerschmalwand fand. Kil-0 blüht signifikant früher als die Referenzlinie Columbia-0 („Col-0“) und nach etwa einem Jahr des genetischen Kartierens haben wir im Genom einen Bereich entdeckt, der den frühen Blühzeitpunkt bedingt. Bei diesem Prozess hangelt man sich quasi am Genom entlang und identifiziert immer kleinere Bereiche, in denen man weiß, dass da etwas liegen muss, das den Phänotyp –  in diesem Fall den frühen Blühzeitpunkt – hervorruft. In dem mehr und mehr eingegrenzten Bereich liegt das Gen FLOWERING LOCUS M (FLM).

Pflanzenforschung.de: Und bei diesem Gen fanden Sie genetische Veränderungen.

Lutz: Ja, bei den Analysen habe ich hier zunächst eine strukturelle Variation entdeckt. In einem Intron, einem nicht-kodierenden Bereich, fanden wir eine Insertion. Diese Mutation führt dazu, dass die Proteinform FLM-b, die durch alternatives Spleißen entsteht, nur in geringen Mengen produziert wird. FLM-b verhindert die Blütenbildung. Gibt es also weniger FLM-b, blüht die Pflanze früher. Die Beschreibung des natürlichen Allels war wichtig, da es die erste natürliche Genausprägung war, die man für FLM gefunden hat. Ich konnte hier sehen, dass Veränderungen bei diesem Gen starke Auswirkungen auf den Blühzeitpunkt haben. Später konnte ich dann herausfinden, dass durch weitere kleinere Mutationen die Genexpression von FLM, und somit der Blühzeitpunkt, beeinflusst wird.

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Lesen Sie hier mehr zu den Erkenntnissen, die Lutz et al. bei der Erforschung der natürlichen genetischen Variation bei Arabidopsis thaliana in Bezug auf den Blühzeitpunkt machten:

Lesen Sie hier mehr zu den Erkenntnissen, die Lutz et al. bei der Erforschung der natürlichen genetischen Variation bei Arabidopsis thaliana in Bezug auf den Blühzeitpunkt machten: "Frühlingserwachen verstehen - Blütenbildung wird durch nicht-kodierende Gensequenzen beeinflusst"

Bildquelle: © SouthernRebel/pixabay; CC0

Pflanzenforschung.de: Werden Sie daran nun weiterforschen?

Lutz: Ich habe gerade begonnen als Postdoc im Labor von Prof. Detlef Weigel am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen zu forschen. Hier werde ich zunächst weiter im Themenfeld Blühzeitpunkt bleiben und unter anderem mit den neuen Methoden der Genom Editierung untersuchen, wie die Aktivität eines einzelnen Gens vom genetischen Hintergrund beeinflusst wird. Doch man weiß in der Wissenschaft oft nicht im Vorfeld, wohin es einen treiben wird und welche neuen Wissenstüren sich öffnen werden. Es kann daher gut sein, dass sich dieses Ziel noch ändern wird.

Pflanzenforschung.de: Was ist für Sie der Grund gewesen, nach Tübingen zu gehen?

Lutz: Prof. Weigel war mein Mentor während der Doktorarbeit und die Abteilung ist sehr spannend: Hier wurde viel zum Blühzeitpunkt herausgefunden, und es kommen sehr viele Expertisen und Themengebiete zusammen – es wird nicht nur molekularbiologisch gearbeitet, sondern auch auf bioinformatischer Ebene. Das finde ich interessant, da ich in der Kombination digitaler Ansätze mit der experimentellen Biologie die große Zukunft in der Molekularbiologie sehe.

Pflanzenforschung.de: Bioinformatik wird Ihrer Meinung nach also immer wichtiger? 

Lutz: Definitiv. Neue Technologien wie next generation sequencing produzieren immense Datenmengen. Und diese Daten müssen analysiert und sinnvoll verknüpft werden. Da gibt es immer noch eine Lücke im System. Denn klassischerweise lernen Molekularbiologen nicht zu programmieren und große Datensätzen sinnvoll zu bearbeiten. Die Bioinformatiker wissen hingegen oft wenig über die Methoden und Grundlagen der Molekularbiologie. Ich denke, dieses Zusammenwachsen der Disziplinen ist essentiell. Hier möchte ich zukünftig weiter eintauchen und mir ein Grundlagenwissen in der Bioinformatik aneignen.

Pflanzenforschung.de: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die weitere Forschung!