Das vererbbare Abwehrgedächtnis von Pflanzen

12.06.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Schädlinge lösen Abwehrreaktionen aus, die an die Nachkommen der Pflanzen weitergegeben werden. (Quelle: © iStockphoto.com/ PeJo29)

Schädlinge lösen Abwehrreaktionen aus, die an die Nachkommen der Pflanzen weitergegeben werden. (Quelle: © iStockphoto.com/ PeJo29)

Nachhaltig, aber ohne Ernteverluste sollen bei steigenden Bevölkerungszahlen immer mehr Feldfrüchte produziert werden. Die Entdeckung eines Mechanismus zur Vererbung von Abwehrstrategien könnte dazu führen, dass Bauern in Zukunft weniger Pestizide ausbringen müssen und trotzdem den Ertrag halten oder gar steigern können.

Die Fähigkeit einer Pflanze, Abwehrinformationen an ihre Nachkommen weitergeben zu können, ist ein wichtiges Puzzleteil im Überlebenskampf einer Art. Zahlreiche Studien der letzten Jahre zeigen, dass Pflanzen offenbar über eine Art Gedächtnis verfügen, in dem sie kurzfristig erworbene Abwehrstrategien gegen Fressfeinde oder andere biotische Stresssituationen speichern können. Treffen sie erneut auf diese Art der Bedrohung, reagieren die Pflanzen schneller und heftiger als bei der ersten Begegnung.

Abwehrgedächtnis vererbbar

Wissenschaftler aus der Schweiz fanden nun heraus, dass dieses Gedächtnis sogar an die Nachkommen der Pflanzen weitergegeben wird. Dazu stimulierten sie die Abwehrmechanismen von Arabidopsispflanzen (Arabidopsis thaliana) zum einen mit beta-Aminobuttersäure, zum anderen mit avirulenten Bakterien der Gattung Pseudomonas. Die Tochterpflanzen zeigten sich auch ohne vorherige Stimulierung ihres Abwehrsystems gegenüber Pathogenen wesentlich resistenter als die Nachkommen ungeprägter Pflanzen. Auch auf molekularer Ebene bestätigte sich diese Beobachtung: In den Nachkommen von abwehrgeprägten Pflanzen konnten die Forscher mehr und schneller generierte Transkripte von Genen, die an Abwehrmechanismen beteiligt sind, nachweisen als in Nachkommen von ungeprägten Pflanzen.

#####bildbox1#####
Die Forscher entdeckten, dass die zweite Generation Arabidopsis thaliana widerstandsfähiger gegen Schädlinge waren, wenn die Eltern mit diesen Kontakt hatten.

Die Forscher entdeckten, dass die zweite Generation Arabidopsis thaliana widerstandsfähiger gegen Schädlinge waren, wenn die Eltern mit diesen Kontakt hatten.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Jayson Punwani

In einer anderen Studie untersuchte ein Forscherteam aus den USA ebenfalls die generationsübergreifende, systemisch erworbene Resistenz an Tomaten- und Arabidopsispflanzen. Als abzuwehrenden Fressfeind suchten die Forscher Raupen aus. Wenn eine Raupe zum ersten Mal in ein saftiges Blatt beißt, setzen die Pflanzenzellen giftige Chemikalien frei, die die Raupen langsamer wachsen lassen. „Der erste Kontakt erhöht die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen, die wir auch in den nächsten Generation beobachten können“, so Georg Jander vom Boyce Thompson Institut für Pflanzenforschung in Ithaca, USA. Jander und seine Kollegen setzten auf jeder der fast 100 jungen Tomatenpflanzen einen Maisohrwurm aus.

Ähnlich verfuhren sie mit Arabidopsispflanzen. Dort setzten sie Larven des Kohlweißlings aus. Dann züchteten sie eine zweite Generation der Pflanzen in einer schädlingsfreien Umgebung und konfrontierten die Pflanzen erst nach mehreren Wochen mit den Insekten. Tatsächlich waren die Nachkommen der Elternpflanzen, die Kontakt zu Schädlingen hatten, widerstandsfähiger gegen die Angreifer als ihre Artgenossen, deren Eltern in einer schädlingsfreien Umgebung aufgewachsen waren. Die Blätter der abwehrstärkeren Nachkömmlinge waren weniger zerfressen und die Raupen nahmen nur 30 bis 50 Prozent der Größe derer an, die ihre Eltern befallen hatten.

Arabidopsispflanzen gaben diese Informationen sogar an die dritte Generation weiter. Selbst wenn die Elternpflanzen keinerlei Schädlingen ausgesetzt waren, waren die Enkel der einst durch Insekten geprägten Pflanzen widerstandsfähiger als ihre nicht derart geprägten Artgenossen. Die Forscher konnten außerdem zeigen, dass offenbar die Intensität der Stimulation die Stärke bzw. Dauer der Abwehrreaktion der Nachkommen bestimmt.

Abwehrstrategie fast universell wirksam

Die Wissenschaftler prüften außerdem, ob der Mechanismus der Vererbung von Resistenzerrungenschaften bei einer Vielzahl von Schädlingen funktioniert. Selbst wenn Jander und seine Kollegen die Elternpflanzen von der Kohlmotte angreifen ließen, befielen weniger und kleinere Kohlweißlinge und Knöterich-Seidenglanzeulen, eine Nachtfalterspezies, die Pflanzen der nachkommenden Generation. Seltsamerweise vertilgte die Kohlmotte die Blätter der Folgegeneration in gewohnter Weise, was die Frage aufkommen lässt, wie spezifisch diese Abwehrmechanismen eigentlich sind. „Ich glaube schon, dass sie spezifisch sind“, so Sergio Rasmann, ein Biologe der Universität in Lausanne in der Schweiz, der mit Jander zusammenarbeitet. „Die Pflanzen könnten beispielsweise zwischen den verschiedenen Fressfeinden unterscheiden, aber wir wissen noch nicht genau, wie das vonstatten geht.“

#####bildbox2#####
Die Wissenschaftler testeten auch wie spezifisch die Abwehrmechanismen sind. Beispielsweise bei Befall von Kohlmotten (Plutella xylostella).

Die Wissenschaftler testeten auch wie spezifisch die Abwehrmechanismen sind. Beispielsweise bei Befall von Kohlmotten (Plutella xylostella).

Bildquelle: © Rasbak / wikimedia.org; CC BY-SA 3.0

siRNA gesteuerte Epigenetik

Auch auf molekularer Ebene konnten die Wissenschaftler die verstärkte Abwehr nachweisen. Induzierbare Abwehrmechanismen, die nach einer ersten Begegnung mit dem Pathogen zu einer verstärkten Resistenz führen, kommen fast bei allen Pflanzen vor. Am Signalweg dieser Abwehrreaktion sind vor allem die Pflanzenhormone Salicylsäure, Jasmonsäure und das - die Interaktion zwischen diesen beiden Hormonen steuernde -regulatorische Protein NPR1 („nonexpresser of pathogenesis-related“ Gen 1) beteiligt. Je nach Art des Angreifers und Infektionsstatus der Pflanze scheint dieses Protein auch an der Auswahl des passenden Abwehrsignalweges (entweder über Salicylsäure oder über Jasmonsäure) beteiligt zu sein.

Arabidopsispflanzen, die derart mutiert sind, dass sie keine Jasmonsäure verstoffwechseln können, sind nicht in der Lage, erworbene Abwehrstrategien an ihre Nachkommen weiterzugeben. Das gilt auch für Arabidopsismutanten, die keine siRNAs herstellen können. „Es sieht so aus, als wäre die Pflanze dringend auf siRNAs angewiesen, um die Informationen zur Abwehr von Pathogenen an ihre Nachkommen weiterzugeben“, so Rasmann. Welche siRNAs dafür zum Samen wandern und wo sie angreifen, wissen die Forscher noch nicht. Doch ihre Beobachtungen deuten darauf hin, dass der Vererbung dieser kurzfristig erworbenen Abwehrstrategie höchstwahrscheinlich durch siRNAs gesteuerte epigenetische Prozesse zugrunde liegen. „SiRNAs könnten im Samen eine DNA Methylierung katalysieren“, vermutet Jander.

Diese Vermutung konnte ein Forscherteam der University of Sheffield in England bestätigen. Mit Hilfe von Arabidopsismutanten, die an verschiedenen Stellen der RNA gesteuerten DNA Methylierung defekt waren, entdeckte das Team epigenetische Mechanismen, die offenbar an der Weitergabe des Abwehrgedächtnisses einer Pflanze an ihre Nachkommen beteiligt sind. Dazu stellten die Wissenschaftler zunächst einen Kontakt der Pflanzen zu einem avirulenten, aber abwehrauslösenden Bakterium der Gattung Pseudomonas her. Dann testeten sie die Nachkommen dieser Pflanzen auf ihre Abwehrfähigkeit gegenüber dem Erregerpilz des falschen Mehltaus Hyaloperonospora arabidopsidis.

Bei der DNA Methylierung spielt ein Protein namens Argonaute4 (AGO4) eine wichtige Rolle. Sind Arabidopsispflanzen am Bauplan dieses Proteins mutiert, führt das zu einer Reduzierung der DNA Methylierung an non-CpG Sequenzen. Und genau diese Hypomethylierung soll nach Vermutungen der Forscher für die Vererbung von Abwehrmechanismen verantwortlich sein. Die Phänotypen der Versuchspflanzen bestätigen die Annahme der Forscher: Nachkömmlinge von nicht zuvor geprägten Elternpflanzen mit einem Defekt im AGO4-Protein zeigten sich wesentlich resistenter beim Kontakt mit Pathogenen als ihre nicht mutierten Kollegen.

Frühere Untersuchungen der Arbeitsgruppe hatten bestätigt, dass die Abwehrstrategien durch hypomethylierte regulatorische Gene vererbt werden, die NPR1-abhängige Histon-H3-Modifikationen in den nachfolgenden Generationen steuern, um die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen zu induzieren oder aufrecht zu erhalten. Weitere Versuche zeigten, dass generationsübergreifende Abwehrstrategien wahrscheinlich durch die DNA Hypomethylierung an CpHpG Motiven, einer häufig im Genom vorkommende DNA-Sequenz, übertragen werden.

#####bildbox3#####
Hypomethylierung könnte für die Vererbung verantwortlich sein. Mutierte Arabidopsispflanzen - mit einem Defekt im AGO4-Protein - waren widerstandsfähiger.

Hypomethylierung könnte für die Vererbung verantwortlich sein. Mutierte Arabidopsispflanzen - mit einem Defekt im AGO4-Protein - waren widerstandsfähiger.

Bildquelle: © Claudia Vojta, MPIZ Köln / wikimedia.org;CC BY-SA 2.0 de

Methylierung des CHG Motivs

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass drei molekulare Mechanismen bei der Vererbung von Abwehrmechanismen eine Rolle zu spielen scheinen: siRNAs, Histonmodifikationen und DNA Methylierung. Wahrscheinlich wird aber nur einer dieser Faktoren an die Nachkommen weitergegeben: Die Methylierung des CHG Motivs. Dies zeigten die Wissenschaftler an Arabidopsismutanten, die keine CHG Methylierung durchführen können. Diese Pflanzen waren nicht in der Lage, Abwehrstrategien an ihre Nachkommen weiterzugeben. Das war auch bei Pflanzen der Fall, denen ein Enzym fehlt, das an der H3 Histonmodifikation beteiligt ist. Dieses wiederum hilft bei der CHG Methylierung.

Auch siRNAs spielen eine wichtige Rolle bei der Vererbung von Abwehrmechanismen. Die Forscher konnten zeigen, dass die 24 Nukleotid langen Moleküle offenbar bestimmen, welches DNA Motiv methyliert wird, indem sie sowohl an die komplementäre DNA-Sequenz als auch an Proteine, die an der CHG Methylierung beteiligt sind, binden. „SiRNAs halten die Methylierungsmaschinerie in der Nähe der betreffenden DNA“, so Estrella Luna, die an der Studie beteiligt war. Wo genau die siRNAs andocken, müssen die Wissenschaftler erst noch zeigen.

Nutzen für die Landwirtschaft?

Völlig ohne Pestizide ließe sich mit diesem Wissen die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen beispielsweise mit avirulenten Bakterienstämmen erhöhen, und diese sogar auf die nachfolgende(n) Generation(en) übertragen. „Für Anwendungen im industriellen Maßstab würde sich der Einsatz wenig toxischer Chemikalien eignen, um die molekulare Abwehrstrategien anzukurbeln, die sonst durch Bakterien oder Fressfeine ausgelöst werden“, so Jander. Das hat er kürzlich selbst mit dem Hormon Methyljasmonat ausprobiert. Er besprühte damit Pflanzen, die noch nie zuvor mit Raupen in Kontakt gekommen waren. Deren Nachkommen waren wesentlich resistenter gegenüber Fressfeinden als die von unbesprühten Kontrollpflanzen. Die Wissenschaftler schüren die Hoffnung, vielleicht sogar Chemikalien zu finden, die die Abwehrreaktion der Pflanzen noch verstärken können. „Landwirte werden sich wahrscheinlich nicht nur auf diese Art der Schädlingsabwehr verlassen wollen. Aber wenn die generationsübergreifende Prägung mit anderen Methoden des Biolandbaus kombiniert wird, wird sie sicher von großem Nutzen sein“, so Jander. „Denn auf diese Weise könnten große Mengen an Pestiziden eingespart werden, ohne den Ernteertrag zu verringern“, ergänzt Rasmann.


Quellen:

  • Luna, E. et al. (2012): Next-generation systemic acquired resistance. In: Plant Physiology, 158: 844-53, doi: 10.1104/pp.111.187468.
  • Rasmann, S. et al. (2012): Herbivory in the previous generation primes plants for enhanced insect resistance. In: Plant Physiology, 158: 854-63, doi: 10.1104/pp.111.187831.
  • Slaughter, A. et al. (2012): Descendants of primed Arabidopsis plants exhibit resistance to biotic stress. In: Plant Physiology, 158: 835-43, doi: 10.1104/pp.111.191593
  • Luna, E. et al. (2012): The epigenetic machinery controlling transgenerational systemic acquired resistance. In: Plant Signaling & Behavior 7:6, 1-4, doi: 10.4161/psb.20155.

Anregungen zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de: