Die Evolution verstehen mit Grünalgen-Gen

12.07.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Eine kleine Alge mit großem Potenzial. (Quelle: © iStockphoto.com/ Karl Dolenc)

Eine kleine Alge mit großem Potenzial. (Quelle: © iStockphoto.com/ Karl Dolenc)

Wie das Erbgut einer Grünalge helfen kann, die Evolution der Mehrzeller besser zu stehen, haben Wissenschaftler kürzlich ergründet.

Ein bisher ungeklärtes Rätsel der Evolution ist die Frage, wie sich aus einem Einzeller ein Vielzeller entwickelte. Bei Einzellern müssen alle „Lebensleistungen“ von ein und derselben Zelle erbracht werden, da der gesamte Organismus aus nur einer Zelle besteht. Bei vielzelligen Organismen hingegen, wie dem Menschen, bilden viele Zellen eine Gemeinschaft, bei der eine Arbeitsteilung und Spezialisierung der Zellen stattfindet. Der Übergang von der Einzelligkeit zur Vielzelligkeit mit verschiedenen spezialisierten Zelltypen kann als eine der größten Leistungen in der Evolution komplexer Lebewesen betrachtet werden. Wie es zu dieser Entwicklung vom Einzeller zum Vielzeller kam, untersuchte ein internationales Forscherteam an der Grünalge Volvox. 

Eine Grünalge als Modellorganismus der Evolution 

Was macht diesen unscheinbaren Teichbewohner so attraktiv für die biologische Forschung? Die bis zu 2mm große, kugelförmige Süßwasser-Grünalge Volvox carteri ist in Teichen und Tümpeln der ganzen Welt zu finden, bevorzugt in wärmerem Wasser. Sie ist der denkbar einfachste Vielzeller und besteht nur aus zwei verschiedenen Zelltypen, was viele molekulare Untersuchungen erleichtert. Die Grünalge besitzt 2000 kleine, begeißelte Körperzellen, die den funktionellen Organismus aufbauen, und 16 große, reproduktive Zellen, aus denen die nächste Generation entsteht. 

Zudem hat Volvox einen nahen, einzelligen Verwandten: Die Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. Dieser Umstand erlaubt es den Forschern, die beiden Organismen auf molekularer Ebene zu vergleichen. Darüber hinaus haben die evolutionären Veränderungen bei der Entwicklung von Volvox aus einem Chlamydomonas-ähnlichen Urahnen eindeutige Parallelen in anderen vielzelligen Entwicklungslinien. Diese Gründe waren ausschlaggebend dafür, Volvox als Modellsystem für die Untersuchung der Evolution von Vielzelligkeit zu verwenden.

#####bildbox1#####
Der einfachste Vielzeller: die Grünalge Volvox carteri.

Der einfachste Vielzeller: die Grünalge Volvox carteri.

Bildquelle: © Armin Hallmann / Universität Bielefeld

Viele Gene machen nicht automatisch einen Vielzeller

Den Wissenschaftlern ist es nun gelungen, das Erbgut des einfachen Vielzellers zu entschlüsseln. Das Genom von Volvox carteri bestehe aus etwa 140 Millionen Basenpaaren und enthalte etwa 14.500 Gene, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift Science. Zum Vergleich: Der Mensch hat ca. 25.000 Gene und somit nicht einmal doppelt so viele Gene wie Volvox. 

Nach der Sequenzierung verglichen die Forscher die Genomsequenz der vielzelligen Grünalge mit der Abfolge der DNA-Bausteine beim einzelligen Verwandten Chlamydomonas. Die Wissenschaftler wollten so herausfinden, wie sich das genetische Repertoire des einfachsten Vielzellers von dem des Einzellers unterscheidet.

Das überraschende Ergebnis: Zwischen dem Genom des Einzellers Chlamydomonas und des Vielzellers Volvox gibt es nur geringe Differenzen. Trotz der großen Unterschiede sowohl in der Komplexität beider Organismen also auch in deren Lebenszyklen haben die Genome beider Organismen ein ähnliches Potenzial zur Codierung von Proteinen. Nur sehr wenige Gene sind damit spezifisch für Volvox. 

Für die Entwicklung von einem Einzeller zu einem Vielzeller scheint somit weniger eine dramatische Erhöhung der Anzahl an Genen entscheidend. Vielmehr ist es die Art und Weise wie und wann die Gene in Proteine übersetzt werden, die diesen Entwicklungsschritt ermöglichen, resümieren die Forscher ihre Ergebnisse. 

Die Entschlüsselung des Volvox-Genoms ist ein wichtiger Schritt zum Verständnis des molekularen "Werkzeugkastens", der der Evolution von Einzellern zu Vielzellern zugrunde liegt. Langfristig soll die Untersuchung molekularer Prozesse bei primitiven Organismen es ermöglichen, auch die Funktionsweise und Entwicklungsgeschichte sehr viel komplexerer Lebewesen, wie die des Menschen, besser zu verstehen. Darüber hinaus rücken Algen als Produktionssysteme von nachwachsenden Rohstoffen und bei der Erzeugung von Biokraftstoffen mehr und mehr in den Fokus der Forscher. Grundlagenwissen hilft damit auch derartig vielfältige Anwendungen weiter zu optimieren. 


Publikation: 

Prochnik, S.E. et al (2010): Genomic analysis of organismal complexity in the multicellular green alga Volvox carteri. Science (9. Juli 2010), DOI: 10.1126/science.1188800 (Link

Zum Weiterlesen:

  • Algaebase - Informationsdatenbank zu Algen