Die Grenzen des Wachstums

Große Bäume haben nur mittelgroße Blätter

09.01.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Forscher vermuten, dass es eine natürliche Ober- und Untergrenze gibt, welche die Blattgröße von sehr hohen Bäumen bestimmt. (Quelle: © iStockphoto.com/ satori13)

Forscher vermuten, dass es eine natürliche Ober- und Untergrenze gibt, welche die Blattgröße von sehr hohen Bäumen bestimmt. (Quelle: © iStockphoto.com/ satori13)

Die Blattgröße kleiner Baumarten variiert stark, die Blätter großer Bäume sind dagegen häufig ähnlich groß. Wie kommt das? Wissenschaftler machen hierfür die Leitbündel der Bäume verantwortlich, mit denen die Pflanze den aus der Photosynthese gewonnenen Zucker bis in die Wurzeln verteilt.

Die Blattgröße determiniert, wie viel Licht eine Pflanze aufnehmen und photosynthetisch verwerten kann. Wie groß Blätter werden, hängt jedoch nicht nur von der Pflanzenart und von externen Einflüssen wie Licht, Temperatur, Wasser, Wind und Boden ab. Auch biologische und morphologische Eigenheiten wie die Stoffwechselaktivität, Merkmale der Zellmembranen und die Größe des Individuums beeinflussen die Blattgröße. In einer Metaanalyse haben Forscher das Größenspektrum der Blätter von 1.925 Blütenpflanzenarten (Angiospermen) aus verschiedenen Teilen der Welt untersucht.

Große Bäume haben mittelgroße Blätter

Bäume bis zu einer Höhe von 30 Metern variierten in ihrer Blattlänge (gemessen wurde die Blattspreite) enorm, von ein paar Millimetern bis zu über einem Meter. Mit zunehmender Baumhöhe verengte sich dieses Spektrum jedoch: Die Blätter der höchsten Angiospermen waren alle zwischen 10 und 20 Zentimeter lang. Externe Einflüsse wie Klima, Licht und Nährstoffsituation erklären die Varianz im Blattwachstum der kleinen Baumarten, so die Forscher. Baumriesen mit einer Höhe bis zu 100 Metern wachsen nur unter optimalen Umweltbedingungen. Die Forscher vermuten daher, dass es eine natürliche Ober- und Untergrenze gibt, die die Blattgröße von sehr hohen Bäumen determiniert.

Gibt es eine optimale Blattgröße?

Unter optimalen Umweltbedingungen ist das Wachstum von Pflanzen allein durch ihre Fähigkeit begrenzt, die Produkte der Photosynthese, einen zuckerhaltigen Nährsaft von den Blättern in alle Teile der Pflanze zu verteilen. Wie viel Zucker aus den Blättern abtransportiert werden kann, hängt einerseits von der Höhe der Pflanze und der Blattgröße ab, anderseits vom Durchmesser des Gefäßsystems, also der Leistungs-fähigkeit der Nährstoffleitbahnen (Phloem). Der Nährstofffluss im Phloem entsteht im Blatt durch osmotische Druckunterschiede zwischen dem Blattgewebe und den Wurzeln, Früchten sowie anderen Speicherorganen der Pflanze und im Stamm zusätzlich durch hydrostatischen Druck (Gravitationsdruck).

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Die Forscher maßen bei den Blättern die Länge der Blattspreite. Hier laufen die Nährstoffleitbahnen entlang. Sind die Leitbündel groß, dann nennt man sie Rippen, die auf Anhieb gut sichtbar sind.

Die Forscher maßen bei den Blättern die Länge der Blattspreite. Hier laufen die Nährstoffleitbahnen entlang. Sind die Leitbündel groß, dann nennt man sie Rippen, die auf Anhieb gut sichtbar sind.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Radovan Marcek

Ein Baum aus Rohren

Um den Mechanismus des Nährstofftransports in Bäumen genauer zu untersuchen, entwickelten die Forscher ein Baum-Modell: Ein kurzes, durchlässiges Rohr (das Phloem im Blatt) wurde mit einem langen, dichten Schlauch (das Phloem im Stamm) verbunden. Saft aus dem Blattgewebe konnte so in das künstliche Blatt-Phloem diffundieren und floss von dort nach unten durch das Stamm-Phloem. Unterschiedlich lange Rohre und Schläuche symbolisierten dabei die verschiedenen Blattgrößen und Baumhöhen.

Je länger das durchlässige Blatt-Rohr war, desto größer war auch dessen Oberfläche, so dass der Saft leichter aufgenommen wurde. Anders verhielt es sich im Stamm-Phloem: Je länger der Schlauch war, desto mehr Reibungswiderstand hinderte den Fluss des Zuckersaftes.

Die Grenze des Wachstums

Das Experiment legt nahe, dass die Grenzen der Blattgröße bei hohen Bäumen durch physikalische Einschränkungen des Zuckertransports im Phloem erklärt werden können. Sind die Blätter sehr klein, reichen die Druckunterschiede zum Stamm nicht aus, um die Fließgeschwindigkeit im Phloem aufrecht zu erhalten. Der Saft würde durch das Phloem langsamer fließen als er durch den Baum selbst diffundieren könnte. Der Nährstofftransport käme zum Erliegen. Die minimale Blattgröße ergibt sich demnach aus der minimalen Fließgeschwindigkeit des energiereichen Zuckersafts durch das Phloem.

Sind die Blätter groß, begrenzt der Widerstand im Stamm den Durchfluss des Saftes. Eine größere Blattfläche verbessert die Fließgeschwindigkeit und damit die Effizienz des Nährstofftransports - bis zu einer bestimmten Blattgröße. Noch größere Blätter hätten dann keine weitere Verbesserung des Nährstoffflusses zur Folge, sie würden für die Pflanze lediglich mehr Energieaufwand bedeuten. Die obere Grenze des Blattwachstums ist dann erreicht.

Die Natur bestätigt das Modell

Die im Modell vorhergesagten Grenzen des Wachstums passen zu den tatsächlichen Mustern der Blattgrößen in der Natur. Das Modell könnte damit erklären, warum die höchsten Angiospermen der Welt etwa 100 Meter hoch sind: Noch höhere Bäume könnten keine Blätter produzieren, die den beiden Grenzwerten gehorchen. Denn mit der Baumhöhe konvergieren diese Grenzen und überschneiden sich bei etwa 100 Meter hohen Bäumen.

Aber lassen sich die Grenzen des Blattwachstums so einfach bestimmen? An dieser Stelle ist die Wissenschaft bisher uneins. Einerseits klingt eine natürliche Wachstumsgrenze aufgrund physikalischer Grenzen plausibel. Andererseits ist das beschriebene Modell sehr vereinfacht, blendet es doch externe Umweltbedingungen wie Wasser, Nährstoffverfügbarkeit, Licht und Baumdichte vollständig aus. Ob das entdeckte Muster der Blattgrößen für die verschiedenen Familien innerhalb der großen Klasse der Angiospermen gleich ist, müssen weitere Studien zeigen.

Ihr Modell der Wachstumsgrenzen könnten die Forscher testen, indem sie die Fließgeschwindigkeit in verschiedenen Spezies unterschied-licher Größe messen. Denn die Mathematik stellt eine einfache Gleichung auf, wie die Fließgeschwindigkeit mit der Höhe eines Baumes und der Länge der Blätter variiert. Bisher stellen solche Projekte eine große technische Herausforderung dar, denn für die Messungen müssten die Forscher mit MRT-Messgeräten bis in die höchsten Baumkronen des tropischen Regenwaldes vordringen.


Quelle:
Jensen, K.H.; Zwieniecki, M. A. (2013): Physical Limits to Leaf Size in Tall Trees. Physical Review Letters 110, 018104 (4. Januar 2013), doi: 10.1103/PhysRevLett.110.018104.

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