Die Struktur macht das Gift

Zellgift eines Pflanzenpathogens als Therapeutikum bei Krebserkrankungen

18.10.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Reisfeld: Der Erreger der Reiskeimfäule produziert einen Stoff, der Krebszellen an der Teilung hindert. (Quelle: © Dieter Schütz / pixelio.de)

Reisfeld: Der Erreger der Reiskeimfäule produziert einen Stoff, der Krebszellen an der Teilung hindert. (Quelle: © Dieter Schütz / pixelio.de)

Wissenschaftler entdecken ein Enzymmodul, das eine ungewöhnliche Verzweigung katalysiert und möglicherweise den Schlüssel zu neuen medizinischen Wirkstoffen bildet.

Der Wirkstoff Rhizoxin, ein Gift des Erregers der Reiskeimlingsfäule, gilt als einer der stärksten bekannten Zellteilungshemmer. Er wurde bereits in den 1980er Jahren erfolglos als Krebs-Medikament getestet. Trotzdem ruhen nach wie vor Hoffnungen auf Rhizoxin als Therapeutikum, weshalb seine Struktur auch weiterhin erforscht wird. Jenaer Wissenschaftler vom Leibnitz-Institiut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) entdeckten jetzt ein neues Enzymmodul. Dieses bewirkt neue Verzweigungen am Molekül mit Einfluss auf die Wirkung des Zellgiftes.

Tödliche Symbiose

Rhizopus microsporus ist ein Schimmelpilz, der die Keimlinge von Reis befällt und die Pflanzen absterben lässt (Reiskeimlingsfäule). Dazu verbindet er sich mit einer Bakterienart in einer Symbiose: Burkholderia rhizoxinica ist ein Bakterium, das sich im Inneren der Pilzzellen einnistet und das Zellgift Rhizoxin produziert. Dieses hindert die Wurzelzellen des Keimlings, sich zu teilen. Durch das verhinderte Wurzelwachstum stirbt der Keimling und Pilz und Bakterium nutzen die freiwerdenden Nährstoffe für sich.

Der Zweig macht die Wirkung

Rhizoxin ist Teil der sehr weit gefassten Gruppe der Polyketide, zu denen auch weitere wichtige Arzneistoffe, wie etwa Tetracycline (eine Gruppe von Antibiotika) gehören. Bei der Synthese der Polyketide kommen spezielle Enzymkomplexe zum Einsatz, die sogenannten Polyketid-Synthasen (PKS). In der Vergangenheit wurde hauptsächlich die Konstruktion von unverzweigten Kohlenstoffketten untersucht, die den Kern der Polyketid-Moleküle bilden. Die Wirkung der Stoffe hängt aber besonders von den Verzweigungen ab, die an unterschiedlichen Stellen in die Hauptkette eingebaut werden.

Neue Polyketid-Synthase gesucht

#####1#####
Enzymstruktur (hier eine Alpha-Amylase): Um ein Enzym nachbauen zu können, wird vorher die Struktur ermittelt.

Enzymstruktur (hier eine Alpha-Amylase): Um ein Enzym nachbauen zu können, wird vorher die Struktur ermittelt.

Bildquelle: © iStockphoto.com/Leonid Andronov

Die Wirkung von Rhizoxin wird durch eine kurzkettige Verzweigung bewirkt, die an einem Ringmolekül sitzt. Interessant war für die Wissenschaftler die Frage, wie diese Verzweigung eingebaut wurde. Denn die bisher erforschten Verzweigungen an Polyketiden entstanden zum Beispiel durch Methylierung. Da die entsprechenden Gene, die Enzyme für eine Methylierungs-Reaktion codieren könnten, nicht im Bakterien-Genom von Burkholderia rhizoxinica vorhanden sind, suchten die Forscher nach einer noch unbekannten Polyketid-Synthase, die offenbar auf einem alternativen Weg eine Verzweigung bewirkt.

Enzymmodul nachgebaut

Das von den Forschern in Burkholderia rhizoxinica neu entdeckte Synthasemodul besteht wie die bisher bekannten Polyketid-Synthasen aus einer KS-Domäne, die zusammen mit einem Acyl-Carrier-Protein (ACP) die Kettenverlängerung bewirkt, sowie einer dazwischen liegenden, bisher noch unbekannten „Verzweigungsdomäne“ (Branching-Domain, „B“).

Dieses neue Modul bauten die Wissenschaftler im Labor nach, um die verschiedenen Funktionen der einzelnen Domänen zu untersuchen. Sie konstruierten dabei eine „Didomäne“ bestehend aus der KS- und der Verzweigungsdomäne (KS-B) und trennten sie vom Übertragungsprotein ACP. Über Punktmutationen wurden jeweils die KS- und die B-Domäne ausgeschaltet, um die Funktionen der beiden Bereiche zu testen. Jedes Mal, wenn eine der beiden Domänen ausgeschaltet wurde, kam es zu keiner Verzweigung. Die Forscher folgerten daraus, dass das Zusammenspiel beider Domänen die Konstruktion der Verzweigung und den Einbau bewirkt.

Neue Art der Verzweigung

Um die Frage zu klären, wie die Verzweigung genau zustande kommt, untersuchten die Forscher den Ablauf der Reaktion über die Zwischenprodukte. Dabei stellten sie fest, dass das neu entdeckte Enzymmodul in der Lage ist, über eine spezielle Reaktion, die sogenannte „Michael-Addition“, eine Kohlenstoff-Doppelbindung anzugreifen und hier eine Abzweigung einzubauen. Die Michael-Addition setzt eine deprotonierte (anionische) Carbonsäure an eine C=C-Doppelbindung der Hauptkette an und erzeugt so eine Verzweigung. Auch wenn bereits eine solche Reaktion vermutet wurde, konnte sie bisher nie nachgewiesen werden.

Schlüssel zu neuen Stoffen

Diese Erkenntnis ist sehr bedeutend, besonders in Bezug auf die Tatsache, dass hier ein bisher noch nicht nachgewiesener Mechanismus entdeckt wurde, der vermutlich auch auf die Entstehung anderer, für die Medizin wichtiger Stoffe angewendet werden kann. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Mechanismus in der Natur häufiger vorkommt. Neben der Möglichkeit, neue, medizinisch relevante Naturstoffe zu entdecken, könnten in Zukunft auch medizinische Wirkstoffe auf synthetischem Weg erzeugt oder verändert werden.


Quelle:
Bretschneider, T. et al. (2013): Vinylogous chain branching catalysed by a dedicated polyketide synthase module. In: Nature, (online 18. September 2013), doi: 10.1038/nature12588.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Reisfeld: Der Erreger der Reiskeimfäule produziert einen Stoff, der Krebszellen an der Teilung hindert. (Quelle: © Dieter Schütz / pixelio.de)