Eine neue Zukunft für eine alte Kulturpflanze: Für Gerste bricht Genomikzeitalter an

18.10.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Das Gerstengenom ist doppelt so groß wie das des Menschen. (Quelle: © 3268zauber / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Das Gerstengenom ist doppelt so groß wie das des Menschen. (Quelle: © 3268zauber / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Wissenschaftlern des internationalen Gerste-Sequenzierkonsortiums gelang die Zusammenstellung einer zu 80 % vollständigen physikalischen Karte des Gerstengenoms. Damit liegt das Grundgerüst für eine systematische Genomanalyse vor.

„Wir haben nun die Basis geschaffen, um das Gerstengenom vollständig und in hoher Qualität zu sequenzieren“, erklärt der Leiter des internationalen Konsortiums (IBSC) und Koordinator der drei involvierten deutschen Gruppen, Dr. Nils Stein vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) die Bedeutung der Arbeiten, die gerade im Fachmagazin Nature frei zugänglich veröffentlicht wurden.

Komplexes Genom, schwierige Sequenzierung

Das komplexe Gerstengenom ist doppelt so groß wie das des Menschen. Da es außerdem noch in sehr grossem Umfang repetitive Sequenzen zwischen den Genen enthält, ist es sehr schwierig zu sequenzieren. Die Wissenschaftler um Dr. Stein erarbeiteten nun das Grundgerüst für eine systematische Genomsequenzierung – die physikalische Karte – und reicherten diese mit umfangreichen Sequenzinformationen an.

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Der Sprecher des International Barley Sequencing Consortium: Dr. Nils Stein, IPK Gatersleben (Quelle: © Roland Schnee | www.ipk-gatersleben.de).

Der Sprecher des International Barley Sequencing Consortium: Dr. Nils Stein, IPK Gatersleben (Quelle: © Roland Schnee | www.ipk-gatersleben.de).

Dies geschah einerseits durch die Sequenzierung zufällig verteilter BAC-Klone, aus denen die physikalische Karte aufgebaut wurde, andererseits nutzten sie auch die sog. Shotgun-Sequenzierung mit Hochdurchsatzgeräten zur de novo Sequenzsynthese.

„Auf Basis der physikalischen Karte und der erhobenen Sequenzinformationen kennen wir nun nicht nur die Gensequenzen der Gerste, sondern wissen auch, welches Gen sich wo im Genom befindet“, erklärt Dr. Stein. „Bei etwa 80 % des Gerstengenoms handelt es sich um repetitive DNA, nur etwa 2 % der Sequenz machen funktionelle Gene aus“, fasst er zusammen. „In der nun vorliegenden physikalischen Karte haben wir die Gene in ihrem genomischen Kontext dargestellt. Was uns noch fehlt, ist die Information zwischen den Genen. Wir wissen noch nicht genau, welchen Anteil dieser repetitive Bereich des Genoms zur charakteristischen Merkmalsausprägung einer Gerstenpflanze beiträgt.“

Die in Nature veröffentlichte Arbeit bietet eine detaillierte Übersicht der funktionalen Abschnitte des Gerstengenoms, also über Reihenfolge und Struktur der Mehrzahl der insgesamt geschätzten 32.000 Gene. Sie enthält eine detaillierte Analyse zur räumlichen und zeitlichen Regulierung der Genaktivität während der verschiedenen Entwicklungsstadien einer Gerstenpflanze. Die Wissenschaftler beschreiben die Lokalisierung dynamischer Regionen des Genoms, die ihrerseits Gene beinhalten, welche Resistenzen gegen Krankheiten vermitteln. Dadurch wird ein viel besseres Verständnis zur Funktion des „Immunsystems“ der Gerste verfügbar.

Die physisch/genetisch integrierte, funktionelle Sequenz wird die Entwicklung neuer und verbesserter Gerstensorten ermöglichen, die zum einen besser an veränderte Umwelt- und Klimabedingungen angepasst sind und die widerstandsfähiger gegenüber Pflanzenkrankheiten sind, durch die jährlich Schäden in Millionenhöhe entstehen.

Genetische Variationen als Basis zur Züchtung

Vor ca. 15.000 Jahren zum ersten Mal durch den Menschen aus Wildgerste selektiert und domestiziert, gehört die Gerste – wie auch Weizen und Roggen – zum Stamm der Triticeae. Diese drei Getreidearten liefern derzeit insgesamt etwa 30 % der täglich weltweit verbrauchten Kalorien.

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Erfahren Sie, warum die Erforschung des Erbguts der Gerste auch für Bier entscheidend ist und warum die genetischen Ressourcen der unterschiedlichsten Gerstensorten in Zeiten des Klimawandels an Bedeutung gewinnen. (Quelle: Climate Desk/youtube.com)

Gerste ist die viertwichtigste Getreideart weltweit und die zweitwichtigste Getreideart Deutschlands bezogen auf den ökonomischen Ertrag. Letzterer wird für 2012 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf etwa 2,4 Mrd. Euro geschätzt und lediglich vom Weizen übertroffen. Im Laufe der letzten 50 Jahre haben sich die Erträge bei Gerste mehr als verdoppelt. Jüngere Analysen zeigen, dass ein nicht unerheblicher Anteil dieses Zuwachses genetischen Verbesserungen zuzuordnen ist.

Die Wissenschaftler wiesen mit der Resequenzierung einer Gruppe unterschiedlicher Gerstenlinien in bisher nicht verfügbarer Auflösung auf die Ausprägung natürlicher genetischer Variation hin, wie sie in Hochleistungssorten der Gerste existiert bzw. verloren gegangen ist. Diese genetische Variation ist die Grundlage herkömmlicher Züchtungsprogramme zur Kulturpflanzenoptimierung. Deren Verständnis ist sowohl für Gerstenforscher als auch -züchter von unschätzbarem Wert.

Die neu etablierten Sequenzressourcen können somit als Startpunkt für die Entwicklung innovativer Ansätze zur Nutzung der umfassend in ex situ Genbanken vorliegenden genetischen Ressourcen weltweit gesehen werden. Allein die IPK-Kulturpflanzengenbank verfügt über 20.000 verschiedene Gerste-Muster. „Wir sind daran interessiert, das Maß der genetischen Diversität in nicht angepassten Pflanzen zu erheben und daraus das Potential für die Züchtung abzuschätzen“, so Dr. Stein. „Auch die Genisolierung oder positionelle Klonierung von Genen in Gerste wird durch unsere Sequenzdaten wesentlich erleichtert werden“, ergänzt er.

Ob die neuen Erkenntnisse zum Gerstengenom zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung beitragen können, kommentiert Dr. Stein folgendermaßen: „Wir sind davon überzeugt, dass wir mit den bisherigen Methoden der Pflanzenzüchtung mittel- bis langfristig eventuell nicht alle Menschen ernähren werden können. Mit der Kenntnis der Genomsequenz können wir aber neue Werkzeuge zur gezielten Züchtung leistungsfähigerer Pflanzen entwickeln. Mit der physikalischen Karte sind wir bereits heute in der Lage, die genetischen Informationen, denen wichtige agronomische Eigenschaften zugrunde liegen, sehr gezielt zu identifizieren, zu charakterisieren und daraus gezielte Werkzeuge zur Selektion zu etablieren. So können Züchter bereits aus der DNA eines Keimlings bestimmte Resistenzmerkmale ersehen, auf die sie bislang warten mussten, bis die Pflanze auf dem Feld ausgewachsen war.“

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Durch die Kenntnis der Gene können neue Werkzeuge zur gezielten Züchtung leistungsfähigerer Pflanzen entwickeln werden. (Quelle: © Juana Kreßner / pixelio.de)

Durch die Kenntnis der Gene können neue Werkzeuge zur gezielten Züchtung leistungsfähigerer Pflanzen entwickeln werden. (Quelle: © Juana Kreßner / pixelio.de)

Auch die genetischen Grundlagen komplexer Merkmale ließen sich durch die Sequenzinformationen leichter aufklären und züchterisch bearbeiten, erklärt Dr. Stein.

Neben Züchtungsfortschritten wird die physikalische Karte der Gerste auch die Grundlagenforschung in Gerste und ihren engen Verwandten wie Weizen und Roggen erheblich erleichtern und beschleunigen. Dr. Stein fasst zusammen: „Züchter und Wissenschaftler werden grundsätzlich neue Möglichkeiten nutzen können, bei ihren Anstrengungen zur Schaffung von Lösungsansätzen und Antworten auf die Frage der Ernährungssicherung unter den Bedingungen einer sich rapide verändernden Umwelt.“

Informationen zum Konsortium IBSC:

Das IBSC wurde im Jahr 2006 ins Leben gerufen und setzt sich aus Wissenschaftlern aus Deutschland, Japan, Finnland, Australien, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten von Amerika und China zusammen. Die zur Publikation in Verbindung stehenden Daten sind über folgende Websites frei verfügbar: http://mips.helmholtz-muenchen.de/plant/barley/index.jsp und http://webblast.ipk-gatersleben.de/barley.


Quelle:
The International Barley Genome Sequencing Consortium (2012): A physical, genetic and functional sequence assembly of the barley genome. In: Nature, (17. Oktober 2012), doi: 10.1038/nature11543.

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Das Gerstengenom ist doppelt so groß wie das des Menschen. (Quelle: © 3268zauber / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)