Es geht auch ohne Junk-DNA

Unscheinbare Wasserpflanze bringt wissenschaftliche Theorie ins Wanken

16.05.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Fangblase des Zwerg-Wasserschlauchs im Elektronenmikroskop betrachtet. (Quelle: © Enrique Ibarra-Laclette, Claudia Anahí Pérez-Torres und Paulina Lozano-Sotomayor)

Fangblase des Zwerg-Wasserschlauchs im Elektronenmikroskop betrachtet. (Quelle: © Enrique Ibarra-Laclette, Claudia Anahí Pérez-Torres und Paulina Lozano-Sotomayor)

Der Zwerg-Wasserschlauch Utricularia gibba besitzt das kleinste bekannte Genom mehrzelliger Pflanzen – und fast keinen Genmüll. Damit gerät die Annahme, dass Junk-DNA unerlässlich für die Genregulation sei, ins Wanken.

Die Entzifferung des Humangenoms brachte wundersame Erkenntnisse zutage: Nur zwei Prozent des zellulären Erbguts codiert für Proteine, die unsere Stoffwechselvorgänge im Körper steuern. Der Rest des menschlichen Erbguts schien nutzloser Genmüll zu sein, der sich im Laufe der Evolution angesammelt hat. Wieso wir und andere Organismen diese Unmengen an scheinbar überflüssiger DNA mit uns herumtragen, war lange unklar. Erst in den letzten Jahren konnten Wissenschaftler des Encyclopedia of DNA Elements Projekts zeigen, dass im vermeintlichen Genmüll eine ganze Schalt- und Steuerungszentrale unserer Gene verborgen liegt. Diese Erkenntnis gewannen die Wissenschaftler aus rund drei Milliarden analysierter Genbausteinen und Erbgut-Daten von 147 verschiedenen Zelltypen, in denen sie rund vier Millionen verschiedene Genschalter entdeckten. Diese Schalter seien offenbar notwendig, um unser Genom lebendig zu halten, so die Wissenschaftler in ihrer Studie von 2012. Denn sie bestimmen, wann Gene an- oder abgeschaltet sind. Das Rätsel des Genmülls, der nun gar keiner mehr war, schien also geklärt zu sein und Wissenschaftler gingen davon aus, dass die nicht codierenden Sequenzen unverzichtbar zur Steuerung der Genomaktivität seien.

Kleine Wasserpflanze stellt alles auf den Kopf

Nun entdeckten Forscher das bisher kleinste pflanzliche Genom. Die fleischfressende Wasserpflanze (Utricularia gibba) ist ein Zwerg-Wasserschlauch. Utricularia gibba wächst weltweit in den Tropen und Subtropen. An den Ufern von Teichen und flachen Sumpftümpeln sieht man seine kleinen gelben Blüten über die Wasseroberfläche hinausragen. Mit ihren Fangblasen erbeutet die Pflanze unter der Wasseroberfläche kleine Krebse und Wasserinsekten, indem sie Wasser aus den Fangblasen pumpt. Der so entstehende Unterdruck in den Blasen saugt die Beutetiere in die Falle.

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Die fleischfressende Pflanze Utricularia gibba wird hierzulande auch Zwerg-Wasserschlauch genannt.

Die fleischfressende Pflanze Utricularia gibba wird hierzulande auch Zwerg-Wasserschlauch genannt.

Bildquelle: © kissfox /wikimedia.org; CC BY-SA 3.0

Winziges Genom, aber normale Genanzahl

Dass die Pflanze am liebsten kleine Tiere verspeist, ist nicht die einzige Besonderheit, auf die Wissenschaftler bei ihren Untersuchungen stießen. Die Wasserpflanze besitzt mit nur 80 Millionen Basenpaaren auch das kleinste bisher bekannte Genom aller mehrzelligen Pflanzen. Weintraube (Vitis vinifera L. subsp. vinifera) und Tomate (Solanum lycopersicum), die zur gleichen Ordnung gehören, haben mit 490 und 780 Millionen Basenpaaren vergleichsweise große Genome. Trotz ihres winzigen Genoms verfügt Utricularia gibba über rund 28.500 Gene - und damit sogar etwas mehr als die Weintraube und nur etwas weniger als die Tomate, so die Forscher.

Wasserpflanze kommt auch ohne Junk-DNA klar

Offenbar hat die Wasserpflanze ihr Genom immer wieder ordentlich entrümpelt, denn auf lange, nicht-kodierende Sequenzen außerhalb der Gene scheint ihr Organismus nicht angewiesen zu sein. Das bringt die in den letzten Jahren aufgestellte Theorie zur Wichtigkeit des Genmülls kräftig ins Wanken. Denn außer Protein-kodierenden Sequenzen fanden die Wissenschaftler lediglich ein paar kurze, für die Genregulation zuständige Zwischenabschnitte. Ist der Genmüll also doch nicht so wichtig für die Steuerung eines Organismus wie bisher angenommen? „Nein“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Publikation. Offenbar hält die Evolution auch alternative Wege bereit, die Genregulation zu steuern. Anstatt die die nicht-codierenden DNA-Bereiche auszulagern, sitzen sie bei Utricularia gibba inmitten der Gene.

Anzusehen ist das dem unscheinbaren Zwerg-Wasserschlauch nicht. Im Laufe der Evolution hat er sein Genom sogar dreimal verdoppelt, und alle überflüssigen Kopien gleich in relativ kurzen Zeiträumen wieder entsorgt. Heute besitzt die Wasserpflanze nur drei Prozent Junk-DNA, aber ungefähr genauso viele Gene wie vergleichbare Pflanzen auch. Warum sich in der untersuchten Wasserpflanze dieses Vorgehen als evolutionär sinnvoll erwies, ist unklar. In jedem Fall beweist dies abermals, dass in der Natur unterschiedliche Vorgehensweisen der Arterhaltung und –verbreitung  dienen können.  Mit Sicherheit wird die Genomforschung in den nächsten Jahren weitere Varianten zum Vorschein bringen. Es geht offenbar auch ohne DNA-Müll, wenn man regelmäßig gründlich aufräumt.


Quelle:
Ibarra-Laclette, E. et al. (2013): Architecture and evolution of a minute plant genome. In:  Natur, (12. Mai 2013), doi:10.1038/nature12132.

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Titelbild: Fangblase des Zwerg-Wasserschlauchs im Elektronenmikroskop betrachtet. (Quelle: © Enrique Ibarra-Laclette, Claudia Anahí Pérez-Torres und Paulina Lozano-Sotomayor)