Fachkongress Biokunststoffe: Von der Nudelverpackung bis zum einbruchssicheren Fenster

28.06.2010 | von Redaktion Biotechnologie.de

Die Welt der biobasierten Kunststoffe ist vielseitig. (Quelle: © Roman Milert / Fotolia.com)

Die Welt der biobasierten Kunststoffe ist vielseitig. (Quelle: © Roman Milert / Fotolia.com)

Kunststoffe sind gut zu verarbeiten, haben nützliche Eigenschaften und sind noch dazu günstig. Rund 260 Millionen Tonnen wurden 2010 weltweit hergestellt. Als Ausgangsstoff dient Erdöl. Biobasierte Kunststoffe als klimaschonende und nachhaltigere Alternative werden seit einigen Jahren intensiv entwickelt.

In Berlin trafen sich Mitte Juni auf Einladung des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz (BMELV) rund 70 Experten der Branche, um auf dem Fachkongress "Biobasierte Kunststoffe" über die neuesten Entwicklungen in diesem dynamischen Gebiet zu diskutieren. Nachdem bis vor Kurzem der Fokus vor allem auf der biologischen Abbaubarkeit des Materials lag, arbeiten Wissenschaftler mittlerweile an Biokunststoffen, die ganz neue Einsatzgebiete ermöglichen sollen.

Ob als Verpackung von Bionudeln, als Cola-Flasche, Gießkanne, Ski-Schuh oder Computertastatur - Biokunststoffe werden schon bei einer ganzen Reihe von Produkten eingesetzt. Wie auf dem Treffen der Kunststoff-Experten im Umweltzentrum in der Berliner Auferstehungskirche deutlich wurde, könnten biobasierte Kunststoffe eine große Zukunft haben. Noch sind die Einsatzgebiete allerdings noch recht klein. Etwa 6% der 18 Millionen Tonnen Polymere, die in Deutschland jedes Jahr verbraucht werden, sind aus biologischen Ausgangsstoffen hergestellt, schätzte Andreas Schütte, Geschäftsführer der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe, in seinem Einführungsvortrag. 

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 Rund 70 Biokunststoff-Experten trafen sich im Umweltzentrum in Berlin.

Rund 70 Biokunststoff-Experten trafen sich im Umweltzentrum in Berlin.

Bildquelle: © Biotechnologie.de

Stärke und Zucker sind das Öl der Zukunft

Das häufigste Ausgangsmaterial ist derzeit die Stärke. In Europa und Nordamerika stammt sie aus Mais, Weizen oder Kartoffeln, in Asien wird vorrangig Tapioka verwendet. Die Stärke wird auf biotechnologischem oder chemischem Wege in thermoplastische Polyester und Polyurethane umgewandelt. Biotechnologisch erledigen das Pflanzen oder gentechnisch veränderte Bakterien, zum Beispiel der in der Industrie verbreiteten Gattung Escherichia coli. Die Mikroben reichern die Granulatkügelchen innerhalb ihrer Membrane an. Bei der Ernte wird die Bakterienhülle dann von den wertvollen Kügelchen getrennt und diese aufgereinigt.

An der Universität Rostock wird an Kartoffeln gearbeitet, die Polyaspartat produzieren. Polyaspartat ist eine biologisch abbaubare Substanz, die als Ersatz für Polyacrylcarboxylate zur Kunststoffproduktion dienen kann. 

Auch Cellulose ist ein möglicher Ausgangsstoff für Biokunststoffe, die auf chemischem Wege erzeugt werden und üblicherweise in der Kombination mit anderen Kunststoffen Verwendung finden. Theoretisch sind noch eine ganze Reihe an weiteren Biomaterialien zur Kunststoffherstellung geeignet, wie zum Beispiel Gelatine, Chitin aus Insekten oder das Milchprotein Casein. Noch ist  das allerdings Zukunftsmusik. Denn im Augenblick stecken viele Entwicklungen noch in der Grundlagenforschung fest. Selbst bei den Definitionen gibt es in dem jungen Fachgebiet noch viel Klärungsbedarf.

Sprach man früher allgemein von Biokunststoffen, muss man heute klarer zwischen biobasierten und bioabbaubaren Kunststoffen unterscheiden, wie Marko Schnarr vom Branchenverband European Bioplastics in seinem Vortrag ausführte. "Es gibt keinen funktionalen Zusammenhang zwischen der Rohstoffbasis und der biologischen Abbaubarkeit, d.h. fossil-basierte Kunststoffe können biologisch abbaubar sein und bio-basierte langlebig und abbauresistent." Da ein Produkt wie eine Getränkeflasche zudem oft ein Gemisch aus mehreren Komponenten darstellt, ergibt sich die Frage, ab wann ein Produkt als biobasiert zu bezeichnen ist.

Datenblatt mit Angaben zu biologischem Anteil

International ist das sehr unterschiedlich geregelt, sagte Schnarr. So dürfen in Japan nur Produkte als biobasiert bezeichnet werden, die mindestens einen Anteil von 25% an biologischen Ausgangsmaterialien haben. In den USA dagegen kommt es ganz auf die Art von Produkt an. Schon ab 4% kann in speziellen Produktgruppen die "Bio"-Bezeichnung legitim sein, während in anderen Gruppen ein Mindestanteil von 92% vorgeschrieben wird. Für ein nachhaltiges Produkt insgesamt ist außerdem nicht nur der Bio-Anteil interessant, sondern auch die Abbaubarkeit oder Verwertbarkeit im Recyclingsystem. Für all das gibt es noch kein Kennzeichnungssystem. "In Europa überlegt sich die Industrie gerade, wie sie ihre Biokunststoffe deklarieren will", erläuterte Schnarr. So sei zum Beispiel ein Datenblatt denkbar, auf dem die einzelnen Punkte mit Symbolen dargestellt werden. Bis Eindeutigkeit auch auf politischer Ebene besteht, wird allerdings noch ein wenig Zeit ins Land gehen, meinte Schnarr. "Die Normierungsgremien haben die nächsten fünf bis acht Jahre gut zu tun." 

Die elastischen Begrifflichkeiten tragen auch dazu bei, dass ganz unterschiedliche Zahlen für den Marktanteil von Biokunststoffen genannt werden. Der Verband European Bioplastics schätzt, dass der Weltmarktanteil an Kunststoffen insgesamt bei "deutlich unter einem Prozent liegt".

Fehlende Normen halten die Wissenschaftler aber nicht auf, schon an den Biokunstoffen der Zukunft zu forschen. In Berlin stellten einige Arbeitsgruppen ihre neuesten Ergebnisse vor. Bert Volkert vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam präsentierte eine neue Generation an stärkebasierten Kunststoffen. "Stärke hat einige Vorteile", erklärte der Wissenschaftler. "Sie ist günstig, reichlich vorhanden und biologisch abbaubar." Weniger positiv sei die Sprödigkeit der Stärke sowie ihre Vorliebe, Wasser aufzunehmen und klebrig zu werden. Außerdem ist sie im Gegensatz zu vielen Kunststoffen nicht thermoplastisch, lässt sich also unter Hitzeeinwirkung nur in sehr engen Grenzen verformen. Um den Kunststoffen aus Stärke all diese Eigenschaften beizubringen, werden sie "verestert". Die Fraunhofer-Wissenschaftler haben dieses chemische Verfahren nun so verbessert, dass die Elastizität des Materials enorm zunahm.

Verpackungen für Fleisch und heiße Speisen

Das ist für viele Anwendungsgebiete entscheidend. So sind nun Folien, Filterpapier oder Fasern denkbar, erklärt Volkert. Aber auch ganz neue Einsatzmöglichkeiten könnten sich die Forscher vorstellen. "Möglich wären eventuell auch mit dem Kunststoff beschichte Fenster, die durch ihre speziellen optischen Eigenschaften vor Eindringlingen warnen könnten". In den Massenmarkt allerdings wird das High-Tech-Material in nächster Zeit wohl nicht vordringen, prognostiziert Volkert. "Noch sind wir etwa drei Mal teurer als Polypropylen oder Polyurethan."

Carmen Michels vom Fraunhofer-Institut für Umwelt, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen forscht an Methoden, um Biokunststoffe möglichst effektiv aufzuschäumen. Mittlerweile sind sogar schon Produkte in diesem Segment auf dem Markt. So vertreibt eine italienische Firma Formschalen aus PLA, die als Verpackungen für Fleisch im Supermarkt eingesetzt werden können. Die Fraunhofer-Forscher wollen noch einen Schritt weitergehen. Sie wollen Formen herstellen, mit denen sich heiße Speisen verpacken lassen. Das ist mit PLA wegen des niedrigen Schmelzpunkts nicht möglich, weshalb die Wissenschaftler auf Celluloseacetat setzen. "Erste Beispielformen gibt es schon", so Michels. "Es hat sich gezeigt, dass sich Biokunststoffe mit einigen kleinen Veränderungen im Prozess ebenso gut schäumen lassen wie herkömmliche Kunststoffe."

Wie schnell sich das Fachgebiet in den vergangenen Jahren entwickelt hat, bilanzierte Hans-Josef Endres von der Fachhochschule Hannover. "Vor drei Jahren hätten wir hier noch vor allem über die Kompostierbarkeit der neuen Materialien gesprochen. Jetzt geht es um die Verwendung im High-Tech-Bereich."


Dieser Artikel wurde durch eine Kooperation mit der Redaktion von Biotechnologie.de unseren Lesern zur Verfügung gestellt und redaktionell leicht verändert. Der Originalbeitrag erschien in der Rubrik "Aktuelles/Wissenschaft".