Forschungsbedarf: Nano in der Landwirtschaft

27.06.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Forschung zu Nano-Pestizide ist wichtig für Nahrungsmittelsicherheit und Umweltschutz  (Quelle: © iStockphoto.com/Sebastian Duda)

Die Forschung zu Nano-Pestizide ist wichtig für Nahrungsmittelsicherheit und Umweltschutz (Quelle: © iStockphoto.com/Sebastian Duda)

Die Agroindustrie forscht intensiv an neuen Pestiziden. Nanobasierte Formulierungen sind eine Möglichkeit, das Wirkstoffspektrum zu erweitern. Wie sich diese Stoffe auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit auswirken, ist bislang schwer abschätzbar. Dies zeigt eine Metastudie, die den derzeitigen Kenntnisstand zu Nano-Pestiziden zusammenfasst.

Die Nanotechnologie hat in den letzten 10 Jahren eine Vielzahl neuartiger Materialien mit vielversprechenden Eigenschaften hervorgebracht. Mit Kohlenstoff-Nanoröhren und Metall-Nanopartikel könnte zukünftig verschmutztes Wasser und Böden gereinigt werden. In Nanokapseln verpackte Medikamente helfen, Wirkstoffe gezielter zu platzierten. Ähnliches gilt für verkapselte Vitamine und Mineralien in funktionalen Lebensmitteln. Und auch für die Landwirtschaft bietet die Nanotechnologie interessante Lösungen: So wird bereits an Nano-Sensoren für den Einsatz im Precision Farming geforscht. Weiterhin gibt es Versuche mit Nanopartikeln, die bei der Züchtung gentechnisch veränderter Pflanzen als Vektoren in die DNA eingebracht werden.

Die Agroindustrie forscht zudem intensiv an einer neuen Generation nanobasierter Pflanzenschutzmittel. So werden etwa Bestandteile herkömmlicher Produkte auf Nanogröße verkleinert, wodurch die Wirkstoffmengen reduziert werden können. Ein anderer Ansatz ist es, die Wirkstoffe in Nanokapseln zu verpacken, die sich nur unter bestimmten Bedingungen wie Hitze, Sonnenlicht oder einer alkalischen Umgebung, z.B. im Inneren eines Insektenmagens, öffnen. In naher Zukunft könnten solche Nano-Pestizide die landwirtschaftliche Praxis revolutionieren – mit neuen Chancen aber auch Risiken für Mensch und Umwelt, so die Forscher der Universität Wien in ihrer Studie. In einer Metastudie haben sie das aktuelle Wissen über Nano-Pestizide zusammengetragen.

Nano in der Landwirtschaft - in weites Feld

Die Wissenschaftler analysierten 60 wissenschaftliche Publikationen, 25 Reviews und 6.000 Patentanmeldungen zu Nano-Pestiziden. Sie wollten herausfinden, welche Nanomaterialien bereits für die Anwendung in Pestiziden erforscht werden? Welche Umweltauswirkungen von Nano-Pestiziden bekannt sind? Und inwieweit die geltenden europäischen Zulassungs- und Kontrollsysteme für Pestizide ausreichen, um die neuartigen Eigenschaften von Nano-Pestiziden ausreichend zu berücksichtigen. Ihr Ergebnis:

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Nano-Partikel könnten Pestizide wirksamer und sparsamer machen, über ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit ist bisher wenig bekannt.

Nano-Partikel könnten Pestizide wirksamer und sparsamer machen, über ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit ist bisher wenig bekannt.

Bildquelle: © Rainer Sturm / pixelio.de

Es gibt bislang keine einheitliche Definition von Nano-Pestiziden. Nano-Pestizide sind Formulierungen von Pflanzenschutzmitteln, die Bestandteile in einer Größe kleiner als 1000 Nanometern enthalten. Über die exakte Definitionsgrenze gibt es unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen: diese liegen zwischen 100 und 1000 Nanometern pro Nanopartikel bzw. Agglomerat. Der Begriff Nano-Pestizid deckt dabei eine Vielzahl verschiedener Produkte ab. Viele Formulierungen kombinieren verschiedene oberflächenaktive Substanzen, Polymere und metallische Partikel in Nanogröße. 

Chancen, Risiken und viele Fragezeichen

Die im Vergleich zu herkömmlichen Pestiziden stark verkleinerte Partikelgröße und die damit verbundene Oberflächenvergrößerung bewirken eine grundlegende Änderung der physikalisch-chemischen Eigenschaften von Nano-Pestiziden. Im Vergleich zu größeren Partikeln der gleichen chemischen Substanz sind Nanoteilchen reaktiver, biologisch aktiver und wirken stärker katalytisch. Durch den Einsatz von Nanoteilchen könnten Pestizide so wirksamer werden. Nanokapsel, die Wirkstoffe gezielt abgeben, können bei gleicher Wirkung zudem sparsamer eingesetzt werden. 

Nano-Pestizide können aber auch neue Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bedeuten. Sie gelangen durch landwirtschaftliche Praktiken in die Umwelt und könnten sich aufgrund z.B. einer längeren Persistenz verstärkt in Böden und Wasserreservoirs anreichern. Der verbesserte Wirkstofftransport kann diese Substanzen auch toxischer machen – hierdurch könnten sich neue gesundheitliche Risiken für den Menschen und für Nicht-Zielorganismen ergeben. Derzeit fehlen eindeutige Einschätzungen zur Umweltverträglichkeit von Nano-Pestiziden. 

Vor allem deshalb, weil es bislang keine standardisierten Analyse- und Modellierungsverfahren gibt. Valide Mess- und Testverfahren zum Nachweis von Nanomaterialen und für Erkenntnisse über deren Wirkung müssen häufig erst noch entwickelt werden. Eine realistische Abschätzung der Chancen und Risiken von Nanopestiziden ist auf Basis der vorhandenen Studien bislang kaum möglich. Hieraus entsteht ein klarer Forschungsbedarf: es braucht einen validen und standardisierten Bewertungsrahmen, der mit den Anforderungen einer sich schnell entwickelnden Nanotechnologie Schritt hält. 

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Forscher empfehlen, die geltenden Zulassungsregelungen und Kontrollmechanismen in der EU für Nano-Pestizide anzupassen.

Forscher empfehlen, die geltenden Zulassungsregelungen und Kontrollmechanismen in der EU für Nano-Pestizide anzupassen.

Bildquelle: © Harald Reiss / pixelio.de

Risiken eingrenzen – Maßnahmen anpassen

Voraussetzung für die Bewertung von Nano-Pestiziden ist ein besseres Verständnis für den Verbleib und die Wirkung von Nano-Pestiziden nach deren Anwendung. Die Forscher daher plädieren dafür, die Freisetzung von Nanopartikeln in die Umwelt solange zu minimieren, bis Nano-Pestizide besser wissenschaftlich erforscht sind.

Einzelne Nano-Pestizide sind bereits auf dem Markt. Dies sind meist Pestizidwirkstoffe, die bereits in Makroform auf dem Markt sind und jetzt auch nanoskalig eingesetzt werden– diese Stoffe müssen bislang nicht neu zugelassen werden. Die geltende EU-Gesetzgebung betrachtet diese Fälle nicht als „veränderte Rezeptur“ und erfordert daher auch keine erneute Sicherheitsbewertung. Aus Sicht der Forscher ist dies problematisch. Denn aufgrund ihrer veränderten Eigenschaften könnten sich Nano-Pestizide anders auf Mensch und Umwelt auswirken als ihre makroskalierten „Verwandten“. 

Die Autoren der Studie fordern daher eine Anpassung und Weiterentwicklung der geltenden gesetzlichen Zulassungsregelungen und Monitoringmechanismen für Nano-Pestizide. Auch die amtlichen Test- und Bewertungsverfahren sowie Grenzwerte müssen den veränderten Anforderungen von Nano-Pestiziden Rechnung tragen. Nur so können eventuelle Verunreinigungen in Boden, Trinkwasser und Lebensmitteln verlässlich nachgewiesen werden sowie eine realistische Expositionsabschätzung und Risikobewertung von Nano-Pestiziden erfolgen.

Die Agroindustrie hat seit Jahren die Potenziale der Nanotechnologie für die Landwirtschaft erkannt, ohne dass das Thema Nano-Pestizide das öffentliche Bewusstsein oder die staatlichen Behörden erreicht hätte, kritisieren die Forscher. Die Forschung zu Nano-Pestiziden hat daher eine hohe Priorität für die Erhaltung der Qualität der Nahrungskette und der Umwelt. 


Quelle:
Kah, M. et al. (2012): Nano-pesticides: state of knowledge, environmental fate and exposure modeling. In: Critical Reviews of Environmental Science and Technology, (6. Juni 2012), doi: 10.1080/10643389.2012.671750.

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