Grundmuster der Evolution

Das Sanduhr-Modell in der Pflanzenentwicklung

04.05.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Das sogenannte „Sanduhr-Modell“ gilt bei Pflanzen auch nach der embryonalen Entwicklung, wie Forscher nun zeigen konnten. (Bildquelle: © Lupo / pixelio.de)

Das sogenannte „Sanduhr-Modell“ gilt bei Pflanzen auch nach der embryonalen Entwicklung, wie Forscher nun zeigen konnten. (Bildquelle: © Lupo / pixelio.de)

Bei Pflanzen gilt das „Sanduhr-Modell“ nicht nur während der embryonalen Entwicklung, sondern auch in den nachfolgenden Entwicklungsphasen und der Differenzierung. Das entdeckten Forscher aus Halle, die bereits zuvor belegen konnten, dass dieses Muster, das man bisher aus dem Tierreich kannte, auch auf Pflanzen zutrifft. Der Schlüssel zum Erfolg waren Transkriptom-Analysen.

Tiere, Pflanzen und Menschen haben etwas gemeinsam: Sie entwickeln sich alle aus einem Embryo. Man beobachtete schon früh, dass Embryonen verschiedener Tierarten eines Stamms sich in der Mitte der Embryogenese äußerlich sehr ähnlich sehen. Davor und danach aber ganz charakteristische Unterschiede aufweisen. Als Metapher wählte man das Bild einer Sanduhr – da eine Phase der Vielfalt sich zu einer engen Stelle, einem Nadelöhr verengt, um sich danach wieder zu einer artspezifischen Vielfalt verbreitert.

Das sogenannte „Sanduhr-Modell“ wurde nachfolgend kontrovers diskutiert. Doch 2010 entdeckte ein Forscherteam, dass das Sanduhr-Modell der embryonalen Entwicklung auf genetischer Ebene bei Tieren existiert (Kalinka, A.T. et al., 2010): In der Mitte der Embryoentwicklung werden hauptsächlich evolutionsgeschichtlich sehr alte Gene exprimiert. Und das unabhängig von der Art, wie Untersuchungen der Expressionsmuster von Genen zeigte, die für die Entwicklung von höchster Bedeutung sind. Evolutionär betrachtet „jüngere“ Gene sind vorher und nachher aktiver.

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Die Forschungsarbeit aus Halle ist auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe von

Die Forschungsarbeit aus Halle ist auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe von "Molecular Biology and Evolution" zu sehen.

Bildquelle: © Molecular Biology and Evolution

Sanduhr-Modell als universelles Muster?

Wissenschaftler aus Halle haben sich bereits 2012 dieser Frage angenommen und belegt, dass dieses genetische Muster auch bei Pflanzen nachweisbar ist. Das brachte ihnen nicht nur internationale Aufmerksamkeit, sondern ihre Forschung schaffte es sogar auf das Cover des berühmten Fachmagazins Nature (Siehe: „Das Sanduhr-Modell der pflanzlichen Embryogenese“).

Das Forscherteam unter der Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB), erforschte das Sanduhr-Prinzip in Pflanzen anschließend mit Kollegen aus Irland und den Niederlanden weiter. Denn ungeklärt war, welche Funktionen dieses Muster für Pflanzen und Tiere besitzt. „Im Tierbereich gibt es die Vermutung, dass das Modell in Bezug zur Bildung von Organen steht“, erklärt der beteiligte Wissenschaftler Ivo Große, Professor für Bioinformatik an der MLU in Halle. Der Hintergrund dieser Überlegung ist, dass Fehler bei der Bildung von Organen tunlichst vermieden werden sollen und daher in dieser Phase verstärkt hoch konservierte Gene abgelesen werden.

Im Gegensatz zum Tierreich entwickeln sich bei Pflanzen die Organe meist erst viel später. Erst nach der Keimung bilden sich beispielsweise Blätter und später Blüten aus. Das brachte die Forscher darauf, die Entwicklung nach der embryonalen Phase und die Genexpression in wichtigen Übergangsphasen genauer zu betrachten. Denn sie vermuteten, dass genau solche wichtigen Übergänge konservierte Gene erforderlich machen.

Charakteristische Genaktivität auch nach der Embryogenese

Dafür analysierten die Forscher, welche Gene der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (auch Ackerschmalwand genannt) in wichtigen Entwicklungsphasen abgelesen werden - nämlich dem Übergang von der embryonalen zur vegetativen und von der vegetativen zur reproduktiven Phase inklusive der Blüten- und Samenbildung. Für alle dort aktiven Gene (Transkriptom), ermittelten sie das evolutionäre Alter und überprüften, ob sich das Sanduhrmuster der embryonalen Entwicklung auch hier widerspiegelt. Ähnlich der vorherigen Studie stützten sich die Forscher dabei auf bereits vorhandene Daten der Ackerschmalwand und kombinierten die in Datenbanken hinterlegten Werte ohne dafür eine Pflanze im Labor heranzuzüchten.   

Die Ergebnisse waren eindeutig: Sowohl in der Keimphase als auch in der Übergangsphase zur Geschlechtsreife waren phylogenetisch alte Gene aktiv. Das Sanduhr-Prinzip fand sich in wichtigen Übergangsphasen der pflanzlichen Entwicklung, nicht aber in der Phase der Blütenentwicklung, wie die Forscher berichten. Dadurch ist die Theorie, dass das Sanduhr-Modell in Verbindung mit der Organbildung steht, bei Pflanzen widerlegt. Diese Erkenntnisse wurden abermals zur Titelstory, diesmal in der Mai-Ausgabe des Fachmagazins „Molecular Biology and Evolution“.

„Same same but different“

Das genetische Aktivitätsmuster, das dem Sanduhr-Modell seinen Namen gab, hat sich bei Pflanzen und Tieren unabhängig voneinander entwickelt. Die hier vorgestellten Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass die transkriptionellen Sanduhrmuster in Pflanzen eine andere Funktion erfüllen als die bei der Embryogenese von Tieren. Zudem konnte man bisher keine morphologischen, also äußerlichen Ähnlichkeiten von Pflanzen während der Embryoentwicklung belegen, was die Unterschiede zum tierischen System untermauert. Es könnte daher sein, dass sich die gleichen Muster in beiden Gruppen von Lebewesen zu völlig unterschiedlichen Zwecken entwickelt haben. Bei Pflanzen ist es vermutlich ein fundamentales Muster - es ist, wie die Studie belegt, bei wichtigen Entwicklungsschritten vorzufinden und bleibt über die Entwicklung des Embryos hinaus wichtig.

Mit Transkriptom-Analysen evolutionäre Zusammenhänge aufdecken

Dass die Betrachtung und der Vergleich von Transkriptomen für das Verständnis der evolutionären Entwicklung von Pflanzen eine entscheidende Rolle spielen kann, macht auch eine weitere Studie klar (Tao et al., 2016). Bei dieser untersuchten Wissenschaftler die genetischen Grundlagen der Entwicklung von unterschiedlichen Photosynthesewegen in Blütenpflanzen.

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Die C4-Photosynthese hat sich bei Pflanzen über 60 Mal unabhängig voneinander entwickelt. Eine wichtige Nutzpflanze, die C4-Photosynthese betreibt ist Mais.

Die C4-Photosynthese hat sich bei Pflanzen über 60 Mal unabhängig voneinander entwickelt. Eine wichtige Nutzpflanze, die C4-Photosynthese betreibt ist Mais.

Bildquelle: © Guenther Haas / pixelio.de

Der überwiegende Teil höherer Pflanzen betreibt C3-Photosynthese, bei der Pflanzen bei heißem und trockenem Wetter die Spaltöffnungen schließen. Dadurch sinkt jedoch die Photosyntheseleistung in dieser Zeit. Um an trockenen und heißen Standorten effizienter zu sein, hat sich bei einigen Pflanzen unabhängig voneinander die C4-Photosynthese entwickelt, eine evolutionäre Anpassung an die Umweltgegebenheiten. Bedingt durch den Klimawandel wird die C4-Photosynthese vermehrt erforscht, um das Wissen in unseren Nutzpflanzen anzuwenden und besser angepasste Sorten zu entwickeln.

Aus 3 wird 4

Botanisch betrachtet finden sich in der Ordnung der Poales (Süßgrasartige) und Caryophyllales (Nelkenartige) die meisten C4-Pflanzen, während viele andere Ordnungen von Blütenpflanzen (Bedecktsamer) keine solchen Vertreter mit C4-Photosynthese aufweisen. Das lässt vermuten, dass es bei bestimmten Pflanzenordnungen der C3-Pflanzen biologische Voraussetzungen geben muss, die eine Entwicklung der C4-Photosynthese erleichtern. Daher verglichen die Forscher Transkriptom-Daten von C3-Pflanzen aus zwei Gruppen von Arten (zwei Kladen der Gattung Flaveria); eine Gruppe enthielt viele C4-Pflanzen und die andere wenige.

Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich die beiden Gruppen in der Genexpression unterschieden, d. h. jeweils bestimmte Gene stärker abgelesen wurden. In der C4-reichen Gruppe dominierten z. B. Gene, die für die Terpensynthese zuständig sind oder für den Aufbau sekundärer Zellwände. All dies sind Mechanismen, um mit Dürre und Hitze fertig zu werden und steht beide in engem Zusammenhang mit der Entstehung der C4-Photosynthese.

Förderliche und hinderliche Ausstattungen

Die Forscher fanden in der C4-reichen Gruppe demnach Gene, die der Entwicklung förderlich waren, so die Forscher. Wohingegen Gene, die hauptsächlich in der C4-armen Gruppe dominierten biologische Hemmnisse für den C4-Photosyntheseweg darstellen. In dieser Gruppe dominierten Gene, die die Stress- oder die Abwehrreaktionen der Pflanze steuern sowie den Pflanzenhormonstoffwechsel. Pflanzen in der C4-armen Gruppe können besser mit Stress umgehen. Die C4-Photosynthese ist für sie nur ein Weg unter vielen, sich an die Umweltgegebenheiten anzupassen. Die Pflanzen der anderen Gruppe hatten hingegen keine so große Auswahl.

Wie bereits bei den Ergebnissen zum Sanduhr-Modell wurden auch hier bestimmte Gene identifiziert, die vermehrt transkribiert (abgelesen) wurden. Diese gab Hinweise für evolutionäre Entwicklungsschritte. Die Studien können als Belege für ein konvergentes Fortschreiten der Evolution gedeutet werden.


Quellen:

  • Drost, H.-G. et al. (2016): Postembryonic Hourglass Patterns Mark Ontogenetic Transitions in Plant Development. In: Mol Biol Evol 33 (5): 1158-1163, (23. Februar 2016), doi: 10.1093/molbev/msw039.
  • Tao, Y., Lyu, M-J. und Zhu, X-G (2016): Transcriptome comparisons shed light on the pre-condition and potential barrier for C4 photosynthesis evolution in eudicots. In: Plant Mol Biol, 91:193–209, (18. February 2016), doi: 10.1007/s11103-016-0455-x.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Das sogenannte „Sanduhr-Modell“ gilt bei Pflanzen auch nach der embryonalen Entwicklung, wie Forscher nun zeigen konnten. (Bildquelle: © Lupo / pixelio.de)