Knoten geplatzt

Neue Erkenntnisse zur Evolution des Fruchtknotens

07.04.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Forscher werfen einen Blick in die Entstehungsgeschichte der Blüte. Ihre Reise beginnt bei Arabidopsis thaliana. (Bildquelle: © Dawid Skalec/ wikimedia.org/ CC BY-SA 4.0)

Forscher werfen einen Blick in die Entstehungsgeschichte der Blüte. Ihre Reise beginnt bei Arabidopsis thaliana. (Bildquelle: © Dawid Skalec/ wikimedia.org/ CC BY-SA 4.0)

Mit Fug und Recht kann der Fruchtknoten als disruptive Innovation in der Evolution der Pflanzen bezeichnet werden. Ohne ihn wäre die Welt eine andere. Trotz seiner enormen Bedeutung beginnen wir erst nach und nach, uns mit seiner Entstehungsgeschichte zu befassen. Eine Arbeitsgruppe aus Deutschland hat nun, ausgehend vom Modellsystem Arabidopsis thaliana, einen Blick in die Vergangenheit geworfen.

Es kommt selten vor, dass Wissenschaftler im Allgemeinen, Biologen und Pflanzenforscher im Speziellen auf Superlative zurückgreifen. Für den Fruchtknoten machen sie jedoch eine Ausnahme. Schließlich ist er so etwas wie das Erkennungs- und Markenzeichen aller Blütenpflanzen. Weil er die Samenanlage beherbergt, aus ihm nach der Befruchtung die Frucht entsteht, ist er nicht nur für die Wirtschaft von Bedeutung, sondern grundsätzlich für uns alle, die auf Nahrungsmittel und viele andere Rohstoffe aus der Landwirtschaft angewiesen sind.

Ein genetischer Irrgarten

#####1#####
Die Angiospermenblüte im schmatischen Querschnitt. Im Fokus der Forscher stand vor allem das Gynoeceum mit seinen Untereinheiten.

Die Angiospermenblüte im schmatischen Querschnitt. Im Fokus der Forscher stand vor allem das Gynoeceum mit seinen Untereinheiten.

Bildquelle: © LadyofHats/ Wikimedia.org/ gemeinfrei

Es ist erstaunlich, dass trotz der enormen Bedeutung dieses zarten, aber höchst komplexen Pflanzenorgans, relativ wenig über die stammesgeschichtliche Entwicklung (Phylogenese), insbesondere auf der molekularen Ebene bekannt ist. Ein Grund mag sein, dass das, was wir von der Modellpflanze Arabidopsis thaliana über die genetischen Faktoren und Prozesse im Hintergrund wissen, eher abschreckt als einlädt. Denn wer einen Blick auf das genregulatorische Netzwerk wirft, das die Entwicklung orchestriert, hat ein Dickicht aus genetischen Verflechtungen und Verästelungen, Wechselwirkungen und Abhängigkeiten vor sich. Für Pflanzenforscher und -züchter, die nach genetischen Stellschrauben suchen, ist dies der reinste Irrgarten.

Stoff für zwei Publikationen

Ein vierköpfiges Team aus Gießen hat nun erstmals etwas Licht ins Dunkel gebracht und dabei so viel Neues und Interessantes über die Entwicklung der Gene zutage gefördert, dass es gleich für zwei Publikationen im Fachmagazin „Molecular Biology and Evolution“ reichte. Die Autoren hoffen, mit ihrer Arbeit den Grundstein für viele weitere Untersuchen zu legen und langfristig dazu beizutragen, das genregulatorische Netzwerk freizulegen und für die Züchtung nutzbar zu machen.

Eine Frage, die bei der Rekonstruktion der Evolution der wichtigsten Gene für die Entwicklung des Fruchtknotens und allgemein des Gynoeceums im Vordergrund stand, lautete, wann genau die Gene auf der Bildfläche der Evolution erschienen. Existierten sie schon bevor es die ersten Blütenpflanzen gab oder entwickelten sie sich erst parallel mit ihrem Aufkommen?

Gene unterschiedlicher Altersklassen

Weder das eine noch das andere sei ausschließlich der Fall gewesen, erklären die Forscher. Wie ihre genetischen Analysen mit nahen und fernen Verwandten von Arabidopsis thaliana ergaben, gilt sowohl das eine als auch das andere. So stießen die Forscher auf Gene und Transkriptionsfaktoren, die bereits zur genetischen Ausstattung des letzten gemeinsamen Vorfahrens von allen Landpflanzen gehörten, zugleich aber auch auf stammesgeschichtlich jüngere Mitglieder im Regulationsnetzwerk, die erst mit dem Aufkommen der Samenpflanzen, später der Bedecktsamer oder erst im weiteren Verlauf der Evolution hinzu kamen. Insgesamt nahm die Anzahl der regulatorischen Gene bis heute zu, was eng mit der wachsenden Komplexität des Organs in Verbindung steht.

Methusalem oder Jungspund?

Da die Liste der erfassten Regulationsgene zu lang ist, um sie hier ausführlich vorzustellen, werden stattdessen zwei Kandidaten exemplarisch näher betrachtet. Der erste gehört zur Methusalem-Gruppe. Hierbei handelt es sich um den Transkriptionsfaktor LEUNIG (LUG), der in abgewandelter Form heute auch bei Hefen, Fruchtfliegen und auch bei Menschen zu finden ist. Bei Pflanzen ist er im Grunde in allen Organen präsent, besonders aktiv ist das Protein jedoch im Gynoeceum zum Zeitpunkt seiner Entwicklung.

Dann ist es u. a. damit beschäftigt, Histon-Deacetylasen (HDACs) zu rekrutieren, um mit ihrer Hilfe ausgewählte Zielgene zu deaktivieren. Dass das zugrunde liegende Gen in der Urzeit jedoch andere Aufgaben und Funktionen inne hatte, davon sei stark auszugehen, so die Forscher. Dies gelte übrigens für die meisten Gene aus dieser Gruppe. Schaut man außerdem mit etwas Abstand auf sie, kann auch noch nicht von einem genregulatorischen Netzwerk im heutigen Sinne die Rede sein.

#####2#####
Wer sich von der Bedeutung des Fruchtknotens überzeugen will, der besucht einfach mal einen Supermarkt. Ohne Fruchtknoten wäre ein Großteil der Auslagen und Regale leer.

Wer sich von der Bedeutung des Fruchtknotens überzeugen will, der besucht einfach mal einen Supermarkt. Ohne Fruchtknoten wäre ein Großteil der Auslagen und Regale leer.

Bildquelle: © ElasticComputeFarm/ Pixabay.com/ CC0

Genduplikationen als Sprungbretter der Evolution

Zur Gruppe der jüngeren Mitglieder des Regulationsnetzwerks zählen dagegen Angehörige der YABBY-Proteinfamilie, die heute ebenfalls bei der Entwicklung des Gynoeceums entscheidende Funktionen übernehmen. In ihrer Studie konzentrierten sich die Forscher vor allem auf das YABBY-Protein CRABS CLAW (CRC), das heute das Radial- und Längenwachstum des Gynoeceums bei Arabidopsis thaliana beeinflusst und auch in die Entstehung der Nektarien hineinspielt.

Stammesgeschichtlich bildet das CRC-Protein eine eigene Entwicklungslinie (Klade), die im Zuge einer Genduplikation entstand, aus der jedoch nicht nur das CRC-Protein allein hervorging, sondern die gesamte YABBY-Proteinfamilie. Generell spielten Genduplikationen in der Entstehung des Regulationsnetzwerks immer wieder und wie so oft eine wichtige Rolle als Weichen und Sprungfedern der Evolution.

Der Grundstein ist gelegt …

Bedenkt man, dass die Landwirtschaft heute nahezu vollständig abhängig ist von Blütenpflanzen, das gesamte Schicksal der Welt überspitzt gesagt an einem Pflanzenorgan hängt, wird klar, wie wichtig und richtungsweisend die Arbeit der Gießener Forscher ist. Zwar räumen sie selbst ein, bei weitem kein vollständiges Bild gezeichnet zu haben, u. a. weil sie bei der Reise in die Vergangenheit ausschließlich beim Gynoeceum von Arabidopsis thaliana starteten und sich darüber hinaus nur auf Gene konzentrierten, deren Deaktivierung zu relevanten Missbildungen und Beeinträchtigungen führten. Weitere Studien mit anderen Arten aber auch die Einbeziehung weiterer Gene müssen und werden daher folgen. Nichtdestotrotz enthalten beide Publikationen viele neue Ausgangspunkte für weiterführende und vertiefende Untersuchungen.


Quellen:

  • Pfannebecker, K. et al. (2017): Seed Plant-Specific Gene Lineages Involved in Carpel Development. In: Molecular Biology and Evolution, 34 (4), (12. Januar 2017), doi.org/10.1093/molbev/msw297
  • Pfannebecker, K. et al. (2016): An Evolutionary Framework for Carpel Developmental Control Genes. In: Molecular Biology and Evolution, 34 (2), (20. Oktober 2016), doi.org/10.1093/molbev/msw229

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Forscher werfen einen Blick in die Entstehungsgeschichte der Blüte. Ihre Reise beginnt bei Arabidopsis thaliana. (Bildquelle: © Dawid Skalec/ wikimedia.org/ CC BY-SA 4.0)