Nordeuropäer hielten länger an Traditionen fest

Steinzeit-Schmuck enthüllt anfängliche Widerstände gegen die Landwirtschaft

21.04.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Dies sind Beispiele für den Schmuck, den die letzten europäischen Jäger- und Sammlergesellschaften trugen. (Bildquelle: © Solange Rigaud)

Dies sind Beispiele für den Schmuck, den die letzten europäischen Jäger- und Sammlergesellschaften trugen. (Bildquelle: © Solange Rigaud)

Während sich vom Süden her die Landwirtschaft in Europa zügig ausbreitet, gab es im Norden des Kontinents Startschwierigkeiten. Dies untermauern aktuelle Daten, die ein Forscherteam anhand steinzeitlicher Schmuckfunde rekonstruierte. Die neuen Methoden der Nahrungsproduktion gingen mit kulturellen Änderungen in der Schmuckmode einher, die sich mit der Landwirtschaft verbreitete. In Nordeuropa wurde in der Jungsteinzeit über einen längeren Zeitraum an der alten Mode und somit auch an bewährten Traditionen des Jagens und Sammelns festgehalten, schließen die Forscher daraus.

Vor etwa 11.000 Jahren begannen die Menschen, gezielt Pflanzen für ihre Ernährung anzubauen und Viehzucht zu betreiben. Die Landwirtschaft entwickelte sich neusten Erkenntnissen zufolge an mehreren Orten gleichzeitig (wir berichteten). Der Trend schwappte vor rund 8.000 Jahren nach Europa und verbreitete sich vom Mittelmeerraum auf dem Kontinent. Vor allem durch Migration von Bauern in nördlichere Regionen wurde die Landwirtschaft eingeführt (siehe: „Genfluss mit Folgen“). Mit den neuen Methoden der Landwirtschaft änderte sich auch der Lebensstil. In der Jungsteinzeit (dem Neolithikum) wurden so aus Jäger- und Sammlerkulturen nach und nach Bauern, die sesshaft wurden. Doch der Übergang zum Sesshaft werden und der Landbewirtschaftung und Viehhaltung war kein linearer Prozess. Er wurde mehrfach ausgebremst, bevor sich die Landwirtschaft flächendeckend in Europa durchsetzen konnte.

Landwirtschaft kam an kulturelle Grenzen

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Die ersten europäischen Bauern bevorzugten, im Gegensatz zu den Jägern und Sammlern, selbst angefertigte und verzierte Perlen und Anhänger.

Die ersten europäischen Bauern bevorzugten, im Gegensatz zu den Jägern und Sammlern, selbst angefertigte und verzierte Perlen und Anhänger.

Bildquelle: © Solange Rigaud

Die traditionellen Jäger- und Sammlerkulturen zeichnen sich nicht nur durch bestimmte Ernährungsgewohnheiten, sondern auch die kulturellen Aspekte dieser Lebensweise aus. Einer neuen Studie zufolge, gab es zumindest während der Jungsteinzeit eine kulturelle Grenze in Europa, mit Bevölkerungsgruppen, die im Norden Europas noch länger ihre Traditionen wahrten.  

Um die Wege der Ausbreitung der Landwirtschaft und einem kulturellen Wandel in Europa nachzuvollziehen, betrachteten Wissenschaftler die Veränderung in der Schmuckmode. Perlen, Anhänger oder Armbänder, die von verschiedenen Bevölkerungsgruppen getragen wurden, sind nicht nur Schmuck, sondern auch Symbole für deren Kultur. Um Aussagen über die kulturellen und damit auch Produktionsgrenzen der Landwirtschaft treffen zu können, untersuchten die Forscher mehr als 200 Perlen-Arten von mehr als 400 Standorten.

Der Schmuck wurde ausgefeilter

Während man sich in Jäger- und Sammlerkulturen im Norden Europas mit tierischen Funden wie Tierzähnen schmückte, waren die ersten Bauern schon etwas wählerischer. Sie produzierten erste schlichte Perlen und verzierten diese. Nicht nur das Material, auch die Herstellung des Schmucks veränderte sich. Eine neue Vielfalt entstand. Anhand der Schmuckmode kann man demnach rekonstruieren, wo die Landwirtschaft schon Einzug gehalten hat.

Die Forscher entdeckten, dass die Menschen im Süden begannen ihre alten Schmuckmoden abzulegen und verstärkt Perlen anfertigten. Im Baltikum trug man hingegen in der Jungsteinzeit noch immer den traditionellen Schmuck. „Wir schließen daraus, dass hier eine kulturelle Grenze lag, die zunächst die Ausbreitung der Landwirtschaft blockierte – zumindest in der Jungsteinzeit“, erklärt die beteiligte Forscherin Solange Rigaud. Denn auch im Norden hätte man die Möglichkeit der neuen Schmuckherstellung gehabt. Das Material und die Fertigkeiten waren dort ebenfalls vorhanden oder wären zu beschaffen gewesen. Das zeigt, dass selbst mit dem Ausbreiten der Landwirtschaft in Europa, im Norden noch länger an alteingesessenen Traditionen festgehalten wurde.

Die getroffenen Aussagen decken sich mit denen anderer Studien. In diesen wurde über Knochenfunde der Steinzeitmenschen Aussagen über deren Größe und Alter gemacht. Sie zeigen unter anderem, dass die Landwirtschaft in den nördlichen Breiten zum damaligen Zeitpunkt parallel zum Jagen und Sammeln betrieben wurde und sich die jeweiligen Gruppen auch genetisch unterscheiden (Bollongino et al., 2013). Die Menschen in den Jägerkulturen waren zudem kräftiger und fitter, was eine bessere Nahrungsversorgung nahelegt (Mummert et al., 2011). Erst über einen längeren Zeitraum veränderte sich das Bild. Die Forscher vermuteten damals, dass die Zunahme der Bevölkerung Jagen und Sammeln zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Auslaufmodell werden ließen.


Quelle:
Rigaud, S. et al. (2015): Ornaments Reveal Resistance of North European Cultures to the Spread of Farming. In: PLoS ONE 10(4):e0121166 (08. April 2015), doi: 10.1371/journal.pone.0121166.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Dies sind Beispiele für den Schmuck, den die letzten europäischen Jäger- und Sammlergesellschaften trugen. (Bildquelle: © Solange Rigaud)