Roggen hat Zukunft

Exot und traditionelle Getreideart in einem

06.01.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Dank hoher Hektarerträge zählen deutsche Landwirte weltweit zu den größten Roggenproduzenten. (Bildquelle: © KWS SAAT SE)

Dank hoher Hektarerträge zählen deutsche Landwirte weltweit zu den größten Roggenproduzenten. (Bildquelle: © KWS SAAT SE)

Weizen, Mais und Reis, das sind die offensichtlichen Stars am Getreidehimmel. Roggen nimmt hingegen eine wenig beachtete Nebenrolle ein. Doch er dürfte einer der „hidden champions“ sein, dessen Zukunft gerade erst so richtig beginnt. Für das Zeitalter des Klimawandels hat er nämlich einiges auf der Habenseite zu verbuchen: Roggen ist widerstandsfähig und gedeiht deswegen selbst an suboptimalen Standorten, von denen unser Planet mehr zu bieten hat als uns Menschen lieb sein kann. Allerdings hat er auch den Ruf, eine sehr eigenwillige Art zu sein, die es vor allem den Züchtern nicht einfach macht. Neue molekulare Züchtungsmethoden und Hybridzüchtung eröffnen den Weg, um schlummernde Potenziale nutzbar zu machen.

Roggen (Secale cereale) hat hervorragende Backeigenschaften und zählt daher zu den wichtigsten europäischen Brotgetreiden. Er begegnet uns daher regelmäßig in Form von Brot, Brötchen oder anderen Backwaren. Und das Vollkornmehl aus Roggen enthält viele Vitamine und besonders viele Ballaststoffe, was es sehr gesund macht. Auch nach einem genussvollen Essen oder beim Feiern fehlt das Getreide nicht, denn es wird als Rohstoff für alkoholische Getränke wie Wodka oder Korn genutzt.

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Roggenbrot: Roggen hat hervorragende Backeigenschaften und zählt daher zu den wichtigsten europäischen Brotgetreiden.

Roggenbrot: Roggen hat hervorragende Backeigenschaften und zählt daher zu den wichtigsten europäischen Brotgetreiden.

Bildquelle: © superfood - Fotolia.com

„Roggen ist dank seines Gehaltes an Protein, Stärke und anderen Kohlenhydraten erstaunlich vielseitig einsetzbar. Er schmeckt einfach gut und ist darüber hinaus auch noch gesund, was ja eine heute nicht ganz selbstverständliche Kombination darstellt. Außer für die Ernährung von Menschen wird er als Tierfutter eingesetzt. Darüber hinaus nutzt man Roggen auch sehr erfolgreich z. B. in Bioenergie-Fruchtfolgen, um Biogas zu erzeugen“, erklärt Dr. Peer Wilde, Leiter der Roggenzüchtung bei der KWS. Kurz gesagt: Roggen ist wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung für Mensch und Tier und wird zunehmend als nachwachsender Rohstoff interessant.

Traditionelle Nischenart der gemäßigten Klimazone

Roggen ist ein klassisches Brotgetreide, das schon sehr lange vom Menschen geschätzt wird – erste Funde stammen aus der Bronzezeit. Aber es gilt als „altmodisches“ Getreide, das von anderen Getreiden mehr und mehr verdrängt wurde. Betrachtet man die Anbaustatistiken, erscheint Roggen als ein Spezialist: Weltweit wird Roggen in der Zone rund um den 50. Breitengrad auf einer Anbaufläche von etwa 5,5 Mio. Hektar angebaut, während Weizen auf ca. 220 Mio. Hektar kultiviert wird. In Deutschland wurde im Jahr 2014 auf etwa 630.000 Hektar Roggen angebaut. Das entspricht nicht einmal 10 Prozent der hiesigen Getreideanbaufläche. Dank hoher Hektarerträge zählen die deutschen Landwirte jedoch weltweit immer noch zu den größten Roggenproduzenten. Weitere wichtige Anbauländer sind z. B. Russland oder Polen.

(Anbau-)Kultur und Ernährung hängen eng zusammen

In osteuropäischen Ländern ist der Roggenanbau noch stärker verbreitet und auch kulturell gut verankert. Die kulturelle Bedeutung lässt sich an folgendem Beispiel illustrieren, erklärt Wilde: „So hat das polnische Wort „zyto“ und das weißrussische Wort für Roggen sprachgeschichtlich eine sehr enge Verwandtschaft zu dem altslawischen Wort für „Leben“. In früheren Zeiten hat ein Bauer ein Korn ausgesät in der durchaus nicht immer berechtigten Erwartung drei oder vier davon wieder ernten zu können. Unter solchen Umständen leuchtet es unmittelbar ein, dass beides, das eigene Überleben und die Robustheit der angebauten Hauptnahrungspflanze gegenüber den Unbilden der Natur, sich in das kulturelle Gedächtnis einer Volksgruppe einprägen“.

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Züchter prüfen die Leistung von Kandidatenlinien, indem sie kleine Parzellen des Roggens anbauen und das Ertragsniveau und die Stabilität der Erträge betrachten. Dies machen sie an vielen Standorten, um die Leistung bei verschiedenartigen Umweltbedingungen zu prüfen.

Züchter prüfen die Leistung von Kandidatenlinien, indem sie kleine Parzellen des Roggens anbauen und das Ertragsniveau und die Stabilität der Erträge betrachten. Dies machen sie an vielen Standorten, um die Leistung bei verschiedenartigen Umweltbedingungen zu prüfen.

Bildquelle: © KWS

Roggen, der anspruchslose Außenseiter

Botanisch gesehen zählt Roggen zu den Süßgräsern – das hat er z. B. mit Weizen oder Gerste gemeinsam. Wie von anderen Getreidearten, gibt es auch vom Roggen eine Winter- und eine Sommer-Variante. Derzeit hat allerdings nur Winterroggen aufgrund höherer Erträge eine wirtschaftliche Bedeutung. Sommerroggen hat durch die kürzere Vegetationszeit weniger und kleinere Körner und spielt daher eine nur sehr untergeordnete Rolle.

Roggen ist in vielerlei Hinsicht ein Außenseiter. Positive Eigenheiten werden beim Anbau sichtbar: Roggen besitzt dank seiner tiefen und gut verzweigten Wurzeln die Fähigkeit, Nährstoffe besser zu erschließen als alle anderen Getreidearten. Er ist auch sehr anspruchslos was seinen Standort betrifft. Er benötigt beispielsweise wenig Wasser und kann auch bei geringeren Temperaturen keimen, weswegen er besser an kühlere und trockene Gebiete angepasst ist als beispielsweise Weizen. Zudem ist Roggen sehr widerstandsfähig gegen Krankheiten. Alles in allem bleibt er auch unter den verschiedensten Stressfaktoren noch leistungsfähig.

Eine Besonderheit, die dem Roggen ebenfalls eine gewisse Exotenrolle unter den Getreidearten sichert ist, dass Roggen als einziges Getreide mit wirtschaftlicher Bedeutung ein strenger Fremdbefruchter ist. Dank der sogenannten Selbststerilität müssen die Blüten einer Pflanze durch Pollen anderer Roggenpflanzen befruchtet werden, um Samen oder Körner bilden zu können. Sie sind damit auf die Hilfe benachbarter Roggenpflanzen und auf den Wind zur Verbreitung der Pollen angewiesen. Unter anderem diese Besonderheit gibt auch der Züchtung einige harte Nüsse zu knacken.

Züchtungsforschung an einer „eigenwilligen“ Art

Die Fremdbefruchtereigenschaft des Roggens ist insofern eine Erschwernis als man für die Hybridzüchtung und auch für genetische Studien fast immer reinerbige Inzuchtlinien benötigt. Der Roggenzüchter gewinnt diese, indem er Selbstfertilitätsgene in die Züchtungspopulationen einkreuzt und dann Pflanzen sich selbst befruchten lässt. Da dieses seit etlichen Jahren standardmäßig und in großem Umfang in den Zuchtgärten stattfindet, stehen mittlerweise sehr viel Inzuchtlinien zur Verfügung, die wie bei anderen Nutzpflanzen auch für die Hybridzüchtung praktisch genutzt werden können.

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Dr. Peer Wilde spricht in diesem Video über Roggenzüchtung und erklärt wie Hybridzüchtung funktioniert. (Quelle: KWSSeedingTheFuture /youtube.com)

Hybridsorten entstehen durch die gezielte Kreuzung von Inzuchtlinien. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie leistungsfähiger und widerstandsfähiger sind als ihre Eltern und auch als deren Ausgangspopulationen. Dieser Effekt wird Heterosis genannt.

Hybridsorten in der Praxis

Allerdings ist der Ertragszuwachs nur auf die Kreuzungs- oder Hybridggeneration begrenzt, mit der Folge, dass das Hybrid-Saatgut alljährlich neu hergestellt und vom Landwirt nachgekauft werden muss. Das Erntegut von Hybridsorten als Saatgut („Nachbau“) zu verwenden, empfiehlt sich nicht. Denn alle Hybridpflanzen sind ja miteinander über die elterlichen Inzuchtlinien verwandt. Benutzt man die Hybridpflanzen zur Erzeugung einer weiteren Generation, entspricht das einer Paarung zwischen Verwandten, die unvermeidlich zu einem Leistungsabfall (Inzuchtdepression) führt. Die Erträge eines solchen Nachbaues sind dann zu gering, um wirtschaftlich interessant zu sein.

In Deutschland werden auf mehr als 70 Prozent der Roggenanbaufläche Hybridsorten und auf den restlichen 30 Prozent klassische Populationssorten angebaut. Das zeigt, dass die Landwirte in den Hybridsorten einen Vorteil sehen und deren Anbau vorziehen.

Der Blick ins Erbgut ist zukunftsweisend

Mittlerweile wird bei der Züchtung nicht nur auf das Äußere (Phänotyp) von Pflanzen geschaut, sondern moderne Technologien erlauben es auch die „inneren Werte“ – also das Erbgut (Genom) bzw. den Genotyp – in den Blick zu nehmen. Das beschleunigt die Selektion geeigneter Pflanzen für die Sortenentwicklung oder die weitere Züchtung. Dementsprechend galt es, auch bei Roggen genom-basierte Züchtungsstrategien zu entwickeln, um die methodischen Fortschritte an den kleinkörnigen Getreidearten zu erproben. Hier setzte das PLANT 2030-Projekt „RYE SELECT“ an, an dem auch Dr. Wilde gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Korzun mitgeforscht hat. Genauer gesagt koordinierten beide das große vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt von Wissenschafts- und Wirtschaftspartnern. Ziel des Forschungsvorhabens war es, molekulare Werkzeuge zu entwickeln, die Präzisionszüchtung im Roggen erlauben.

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Im PLANT 2030 Projekt RYE SELECT wurden molekulare Werkzeuge für die Roggenzüchtung entwickelt.Mehr zum Projekt ...

Im PLANT 2030 Projekt RYE SELECT wurden molekulare Werkzeuge für die Roggenzüchtung entwickelt.
Mehr zum Projekt ...

Zu diesem Zweck schlossen sich Wissenschaftler der Universität Hohenheim, der Technischen Universität München (TUM), des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben und des Julius Kühn Instituts (JKI) gemeinsam mit Mitarbeitern des Saatgutunternehmens KWS zu einem interdisziplinären Roggen-Team zusammen.

Molekulare Präzisionswerkzeuge wurden entwickelt

Das Projekt startete damit, mehrere Hunderttausend DNA-Markern zu entwickeln. Das ist die Basis für das eigentliche Ziel, nämlich anhand genetischer Informationen Vorhersagen über den künftigen Ertrag von Keimlingen treffen zu können. So lassen sich schon sehr früh – noch bevor sie ins Feld ausgesät werden – die passenden Pflanzen auswählen, die für den Züchter spannend sind. Eine neue Methode, die „genomic selection“ genannt wird. Dieses Ziel ist dank der RYE SELECT-Forscher in greifbare Nähe gerückt: „Wir konnten im Projekt zeigen, dass diese Vorhersagen tatsächlich schon erfreulich gut funktionieren“, erzählt Wilde.

Das Projekt hat damit die Grundlage dafür gelegt, mit Hilfe von genomischen Daten die Züchtung am Roggen voranzubringen. Schließlich hat die sehr widerstandsfähige und tolerante Pflanze in Zeiten von Klimawandel, „low-input“-Landwirtschaft und einem zunehmend negativen Image von synthetischen Pflanzenschutzmitteln enormes Potenzial. Und vielleicht sprechen wir in einigen Jahren nicht mehr von einem „hidden champion“, sondern von einem „global player“, wenn von Roggen die Rede ist.


Ein ausführliches Interview mit Dr. Wilde zum Thema Roggen und „RYE SELECT“, finden Sie hier: „Roggen im genomischen Zeitalter“.

Anregungen zum Weiterlesen:

Titelbild: Dank hoher Hektarerträge zählen deutsche Landwirte weltweit zu den größten Roggenproduzenten. (Bildquelle: © KWS SAAT SE)

PLANT 2030 vereint die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsaktivitäten im Bereich der angewandten Pflanzenforschung. Derzeit umfasst dies die nationale Förderinitiative „Pflanzenbiotechnologie für die Zukunft“ und die Ausschreibungen des transnationalen Programms „PLANT-KBBE“, an denen sowohl Wissenschaftler aus dem akademischen Bereich als auch privatwirtschaftliche Unternehmen beteiligt sind.
Weitere Informationen finden Sie unter: PLANT 2030