Tabak gegen Krebs?

Forscher lassen Tabakpflanzen Wirkstoff gegen Krebs produzieren

25.09.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Tabak ist vor allem in getrockneter Form und als nicht unumstrittenes Genussmittel bekannt. Kann ausgerechnet er im Kampf gegen Krebs von Nutzen sein? (Bildquelle: © H.Zell/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)

Tabak ist vor allem in getrockneter Form und als nicht unumstrittenes Genussmittel bekannt. Kann ausgerechnet er im Kampf gegen Krebs von Nutzen sein? (Bildquelle: © H.Zell/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)

Es mag paradox klingen, im Kampf gegen Krebs zu Tabak zu greifen. Forschern ist es aber gelungen, Tabakpflanzen ein bewährtes Krebsbekämpfungsmittel produzieren zu lassen. Der Ansatz könnte die Produktion optimieren, den Nachschub stabilisieren und die Kosten senken. Undenkbar, ohne die Hilfe der Pflanzenforschung.

Krebs, die Geißel der Menschheit, der König aller Krankheiten, ein Monster, unersättlicher als die Guillotine. Zwar wurden im Kampf gegen Krebs in den vergangenen Jahrzehnten viele Schlachten gewonnen, dennoch gehört die Krankheit nach wie vor zu den größten Herausforderungen der Medizin. Eine der jüngsten Erfolgsgeschichten wäre ohne die Hilfe der Pflanzenforschung vermutlich nie geschrieben worden. Es wäre nicht das erste Mal.

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Junger Himalaya-Maiapfel in freier Wildbahn. Bis auf die roten Beeren sind alle Pflanzenteile giftig. Der medizinische Wirkstoff wird aus dem Wurzelharz der Pflanze gewonnen.

Junger Himalaya-Maiapfel in freier Wildbahn. Bis auf die roten Beeren sind alle Pflanzenteile giftig. Der medizinische Wirkstoff wird aus dem Wurzelharz der Pflanze gewonnen.

Bildquelle: © Andy king50/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

Viele Medikamente kommen aus der Natur

Die meisten Medikamente basieren auf Wirkstoffen, die pflanzlichen Ursprungs sind. Viele dieser Wirkstoffe werden, einmal identifiziert und isoliert, synthetisch, in Zellkulturen oder in Mikroorganismen produziert. Dass es auch andersherum geht, hat ein Forscherteam in einer aktuellen Studie abermals bewiesen. Ihnen gelang es, eine Tabakpflanzenart (Nicotiana benthamiana) dazu zu bringen, einen bewährten Wirkstoff zu produzieren. Schneller, in größeren Mengen, mit einem womöglich breiteren Anwendungsspektrum und zudem besser für die Herstellung von Medikamenten geeignet als bisher. Doch der Reihe nach.

Pflanzenmedizin aus dem Himalaya

Der Himalaya-Maiapfel (Podophyllum hexandrum) ist eine giftige, hüfthohe, krautige Pflanze mit leuchtend grünen Blättern und knallroten Früchten, die entfernt an Hagebutten erinnern. Der Name deutet an, dass die Pflanze in der Himalaya-Region und der Umgebung heimisch ist. Dort gedeiht sie in 2.000 bis 3.000 Meter Höhe, auf Almen oder in Buschwäldern.

Der Vertreter der Berberitzengewächse (Berberidaceae) ist von großem Interesse für die Medizin. Denn das Harz der Pflanze enthält einen Wirkstoff, der seit Jahrzehnten zur  Krebsbekämpfung eingesetzt wird: Podophyllin, aus dem der Wirk- oder besser gesagt Reinstoff Podophyllotoxin (C22H22O8) gewonnen wird.

Rohstoff für die Chemotherapie

Der Pflanze selbst dient der sekundäre Pflanzenstoff als Breitbandinsektizid. In der Medizin bildet jener dagegen den Ausgangsstoff für ein Medikament, das im Rahmen von Chemotherapien zur Krebsbekämpfung verabreicht wird: Etoposid (C29H32O13). Seit 1983 ist dieses als Medikament zugelassen und hat sich seitdem bei der Behandlung  von u.a. Lungenkrebs, Hodenkrebs, Leukämie oder Lymphdrüsenkrebs bewährt. Es hemmt das Wachstum bösartiger Geschwüre, indem es die Zellen an der Teilung hindert. Gleichzeitig sind die Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen Mitteln relativ gering. Das Problem: Die Gewinnung des pflanzlichen Rohstoffs.

Problematisch ist das langsame Wachstum

Zwar enthält das Wurzelharz des Amerikanischen Maiapfels (Podophyllum peltatum), der für die Gewinnung in Nordamerika angebaut wird, ebenfalls das wertvolle Podophyllin. Jedoch in geringeren Mengen. Dafür ist der Amerikanische Maiapfel leichter zu kultivieren. Das Hauptproblem ist aber, dass Fußblattgewächse, zu denen beide zählen, nicht besonders schnell wachsen. Seit Jahrzehnten wird deshalb daran gearbeitet, die Podophyllin-Produktion zu optimieren. 2004 scheiterte ein Versuch, dies mit Hilfe von Zellkulturen in vitro zu bewerkstelligen.

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Der Amerikanische Maiapfel wird für die Produktion des Wirkstoffs bevorzugt genutzt, obwohl er im Grunde nicht die erste Wahl ist. Die charakteristische Blattform verleiht ihm seinen Zweitnamen: Schildförmiges Fußblatt.

Der Amerikanische Maiapfel wird für die Produktion des Wirkstoffs bevorzugt genutzt, obwohl er im Grunde nicht die erste Wahl ist. Die charakteristische Blattform verleiht ihm seinen Zweitnamen: Schildförmiges Fußblatt.

Bildquelle: © Derek Ramsey/Wikimedia.org/ GFDL 1.2

in vivo statt in vitro

Der gescheiterte Versuch führte zu einem Umdenken: Wenn es nicht möglich ist, Podophyllin im Labor zu produzieren. Warum nicht andere Pflanzen dazu bringen, den Wirkstoff herzustellen? Pflanzen, die schneller wachsen und nicht so empfindlich gegenüber Trockenheit sind wie die beiden Fußblattgewächse. Voraussetzung wäre jedoch, dass bekannt ist, wie die Pflanzen, insbesondere der Himalaya-Maiapfel das Gift überhaupt herstellen. Vor allem, welche Gene dabei eine Rolle spielen. Hier mussten die Forscher bei null beginnen. Denn anders als bei dem Amerikanischen Maiapfel ist das Erbgut des Verwandten aus Himalaya nahezu unerforscht.

Der Rohstoff wird erst im akuten Bedarfsfall gebildet

Als zusätzliches Problem erwies sich, dass der Wirkstoff nicht ständig präsent ist, erklären die Wissenschaftler in ihrer Studie: „Das Molekül wird erst bei einer akuten Verletzung synthetisiert.“ Also begannen die Forscher mit dem Naheliegenden: Sie beauftragten eine Baumschule, Himalaya-Maiapfel Pflanzen gezielt mit Nadelstichen an den Blättern zu verletzen.

Wie wird der Rohstoff produziert?

Anschließend verglichen sie die Genaktivität in den Blättern der malträtierten Pflanzen mit jener von unversehrten Artgenossen. Die Untersuchungen des Transkriptoms ergaben, dass im Zuge der Verletzungen 31 neue Proteine gebildet wurden, wofür 29 Gene infrage kamen. Aus diesen fischten die Forscher sechs Enzyme  heraus, die für die Produktion des Podophyllotoxins von entscheidender Bedeutung waren. Sechs der 29 Kandidatengene galt es nun, in eine andere Pflanze einzuschleusen. In der Hoffnung, jene dazu zu bringen, die Enzyme und somit den Wirkstoffzu produzieren. Doch wie gelang das Kunststück?

Bakterium als Transportvehikel

Mit Unterstützung eines Bodenbakteriums, das Tabakpflanzen befällt: Agrobacterium tumefaciens. Die Forscher bauten die sechs Kandidatengene in das Erbgut des Bakteriums ein. Mit den Informationen des Himalaya-Maiapfels im Gepäck drangen diese in die Tabakpflanzen ein und begannen dort, mittels horizontalem Gentransfer durch T-DNA (Transferierte DNA) die gewünschten Gene in die DNA der Tabakpflanzen einzubauen. Das Ergebnis übertraf in gewisser Weise die Erwartungen der Forscher.

Transfer gelungen

Zwar begannen die Tabakpflanzen nicht, Podophyllotoxin zu produzieren, dafür aber einen chemisch verwandten Wirkstoff: (-)-4‘-desmethylepipodophyllotoxin. Ein Stoff, der schneller und in weniger Schritten für die klinische Anwendung aufbereitet werden kann als Podophyllotoxin.

Denn auch wenn der Ausgangsstoff von rein pflanzlicher Basis sein mag, für Therapiezwecke bedarf es – nicht nur in diesem Fall, sondern auch bei vielen anderen Arzneimitteln auf Pflanzenbasis – einer Anpassung und Veränderung der chemischen oder physikalischen Eigenschaft (Derivatisierung).  Sei es, um den pflanzlichen Ausgangsstoff nur wasserlöslich zu machen, um die Darreichung per Infusion zu ermöglichen.

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Wie bei vielen anderen Medikamenten auf Pflanzenbasis, muss auch das pflanzliche Podophyllotoxin hinsichtlich seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften bearbeitet werden, bevor es für die klinische Anwendung geeignet ist.

Wie bei vielen anderen Medikamenten auf Pflanzenbasis, muss auch das pflanzliche Podophyllotoxin hinsichtlich seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften bearbeitet werden, bevor es für die klinische Anwendung geeignet ist.

Bildquelle: © NicoLeHe/ pixelio.de

Hinzu kam, dass jener Stoff ein Topoisomerase-Hemmer ist. Eine Enzymart, die gezielt Unterbrechungen im Erbgut hervorruft und sich bereits in der Behandlung von Krebs bewährt hat, weil es Tumorzellen an der Replikation hindert, das Tumorwachstum somit eindämmt.

Vorteile einer „ausgelagerten“ Produktion

Der erfolgreiche Versuch der Forscher beweist, dass es möglich ist, den wertvollen Wirkstoff der Maiapfelarten auch aus anderen Pflanzenarten zu gewinnen. Ob es letztendlich beim Tabak bleibe, ließen die Forscher offen. Gelänge es aber, die Produktion im industriellen Maßstab „auszulagern“, würden sich Vorteile bieten: Zum einen würde man sich der Abhängigkeit von einer Pflanzenart entziehen und für eine sicherere und kontinuierlichere Versorgung sorgen.

Zum anderen, gerade in Bezug auf den Amerikanischen und Himalaya-Maiapfel, würde der hohe Aufwand für die Kultivierung der Maiapfelpflanzen sinken und damit auch der Preis für das Medikament. Zudem würde auch die Derivatisierung weniger Schritte benötigen. Angesichts des weltweit steigenden Bedarfs nach Etoposid ein nicht von der Hand zu weisender Aspekt.

Motivation und Vorbild zugleich

Die Forscher hoffen, mit  ihrer Arbeit die Motivation unter ihren Berufskollegen zu fördern, den Ansatz auch auf andere Bereiche zu übertragen bzw. sich dabei nicht entmutigen zu lassen. Einmal mehr unterstreicht die Arbeit aber auch die Bedeutung von Pflanzen im Allgemeinen und von der Pflanzenforschung im Speziellen für die Medizin.


Quellen:

  • Sattely, E. et al. (2015): Six enzymes from mayapple that complete the biosynthetic pathway to the etoposide aglycone. In: Science 11, Vol. 349 (6253),(11.September 2015) doi:10.1126/science.aac7202
  • O’Connor, S. (2015): Fighting cancer while saving the mayapple. In: Science Science 11, Vol. 349 (6253),(11.September 2015) doi:10.1126/science.aad1801

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Titelbild: Tabak ist vor allem in getrockneter Form und als nicht unumstrittenes Genussmittel bekannt. Kann ausgerechnet er im Kampf gegen Krebs von Nutzen sein? (Bildquelle: © H.Zell/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)