Ungeahntes Potential - Wie unbeliebter Oberflächenbewuchs das Klima beeinflusst

11.06.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Gelbflechte Xanthoria parietina besiedelt hier mit anderen Flechten einen Ast. Flechten zählen zu den Kryptogamen und sind eine Lebensgemein-schaft aus jeweils einem Pilz und Blau- oder Grünalgen. (Quelle: © Wolfgang Elbert / MPI für Chemie)

Die Gelbflechte Xanthoria parietina besiedelt hier mit anderen Flechten einen Ast. Flechten zählen zu den Kryptogamen und sind eine Lebensgemein-schaft aus jeweils einem Pilz und Blau- oder Grünalgen. (Quelle: © Wolfgang Elbert / MPI für Chemie)

Moose, Flechten & Co. breiten sich auf vielen Oberflächen, wie Dächern und Steinen, aus. Diese unbeliebten Schichten fixieren jedoch große Mengen an Kohlenstoffdioxid und Stickstoff und sind daher enorm wichtig für die biogeochemischen Kreisläufe von Ökosystemen: Sie nehmen jährlich so viel Kohlenstoff auf, wie durch die Verbrennung von Biomasse bzw. fossiler Energieträger freigesetzt wird.

Circa 30% der weltweiten Landflächen, dazu zählen auch die Oberflächen von Pflanzen, sind bedeckt von sogenannten kryptogamen Schichten. Kryptogamen sind Lebewesen, die zur Photosynthese fähig sind, jedoch keine Blüten ausbilden; darunter subsumiert man Moose, Flechten, Algen, Pilze und Cyanobakterien. Mithilfe von Licht als Energiequelle sind sie demnach in der Lage, ihre Nahrung aus anorganischen Stoffen selbst zu synthetisieren. Dabei binden sie Kohlenstoff und Stickstoff aus der Atmosphäre.

Kryptogamen Schichten binden enorme Mengen an CO2

In einer neuen Studie untersuchten deutsche Forscher den Beitrag der kryptogamen Schichten an der Kohlenstoff- und Stickstoffbilanz verschiedener Ökosysteme, auf kontinentaler und globaler Ebene. Das interdisziplinäre Forscherteam, bestehend aus Chemikern, Biologen und Geowissenschaftlern, analysierte dazu vorhandene Daten aus mehr als 200 Studien. Sie stellten fest, dass kryptogame Schichten in allen Klimazonen vorkommen und machten eine überraschende Entdeckung: global betrachtet, binden sie fast 14 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid sowie fast 50 Millionen Tonnen Stickstoff pro Jahr! Damit nehmen kryptogamen Schichten so viel CO2 aus der Atmosphäre auf, wie jährlich durch die Verbrennung von Biomasse bzw. von fossilen Energieträgern freigesetzt wird.

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Die Landkartenflechte (Rhizocarpon geographicum) wächst auf Steinen.

Die Landkartenflechte (Rhizocarpon geographicum) wächst auf Steinen.

Bildquelle: © Arnstein Rønning / wikimedia.org; CC BY-SA 3.0

Stickstofffixierung aus der Luft

Kryptogamen Schichten sind dort am einflussreichsten, wo die Stickstoffversorgung mangelhaft ist: Sie versorgen die Böden mit Stickstoff und erhöhen damit deren Fruchtbarkeit. Diese Stickstoffquelle ermöglicht es umliegenden Pflanzen den essentiellen Nährstoff aufzunehmen. Die dabei fixierte Stickstoffmenge könnte auch für die CO2-Speicherung von Pflanzen essentiell sein: „Sie entspricht der Hälfte des an Land natürlich fixierten Stickstoffs, was für die Entwicklung von Ökosystemen von besonders großer Bedeutung ist, da Stickstoff oft die limitierende Nährstoffkomponente darstellt. Auch die CO2-Aufnahme von Pflanzen ist häufig durch die Verfügbarkeit von Stickstoff begrenzt“, erklärt Ulrich Pöschl, beteiligter Forscher und Leiter der Mainzer Arbeitsgruppe. Die Kryptogramen selbst sind anspruchslos und überleben auch lange Trockenperioden. Die Studie ergab, dass kryptogame Schichten durch diese Eigenschaften besonders für trockene und nährstoffarme Regionen der Erde wichtig sind. 

Kryptogamen fristeten bisher ein Schattendasein

Kryptogamen entstanden, fossilen Aufzeichnungen zufolge, vor über 2,5 Milliarden Jahren und somit lange bevor sich die Landpflanzen (vor etwa 500-700 Millionen Jahren) entwickelten. Sie sind wichtige Akteure der globalen biogeochemischen Kreisläufe von Kohlenstoff und Stickstoff und sollten daher zukünftig in Klimamodellen berücksichtigt werden, welche diese bisher wenig beachteten. Durch die Integration der neu gewonnenen Daten, könnten diese Modelle noch genauere Vorhersagen treffen.

Faktoren, wie der Klimawandel oder veränderte Landnutzung durch den Menschen, werden einen großen Einfluss auf kryptogame Schichten haben und dadurch ihre Rolle in den Stoffkreisläufen beeinträchtigen. Weitere Forschung ist nötig, um den Effekt dieser Einflussfaktoren besser beurteilen zu können.

An der Analyse waren Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, der Universität Kaiserslautern sowie vom Biodiversität und Klima Forschungszentrum der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt, beteiligt.


Quelle:
Elbert, W. et al. (2012): Contribution of cryptogamic covers to the global cycles of carbon and nitrogen. In: Nature Geoscience, online, 3. Juni 2012, DOI: 10.1038/NGEO1486.

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