Weihnachtsspezial: Ein Killer zum Knutschen

08.12.2011 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ein beliebter Brauch: Küssen unterm Mistelzweig (Quelle: © iStockphoto.com/perets)

Ein beliebter Brauch: Küssen unterm Mistelzweig (Quelle: © iStockphoto.com/perets)

Kugelige Mistelzweige sind nicht nur eine hübsche Weihnachtsdekoration: Einst waren sie die wichtigste Zutat für mythische Zaubertränke. Heute dagegen stellen sie eine akute Bedrohung für einige Wälder dar und sind erste sichtbare Zeichen der Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzenwelt.

Im Comic schultert der Druide Miraculix seine Sichel und streift durch den Wald, um in den Baumkronen eine Wunderpflanze zu ernten, die im Kampf unsterblich machen soll. In der Weihnachtszeit hätte er leichtes Spiel, ein Abstecher auf den Weihnachtsmarkt oder in den nächsten Blumenladen beschert Misteln (Viscum album) en masse. Auch in der Natur stechen die grünen, kugeligen Gebilde jetzt besonders an kahlen Laubbäumen ins Auge.

Zu Weihnachten holte man sich die Misteln in Großbritannien schon im 19. Jahrhundert ins Haus. Die grünen Zweige dienten als Vorwand, die Liebste küssen zu dürfen. Für jeden Kuss musste eine kleine weiße Beere abgepflückt werden, waren alle Beeren gepflückt, war der Kuss-Zauber vorbei.

Misteln kommen von Europa bis Japan in vielen Teilen der Welt vor. Sie sind Pflanzen, die auf anderen Pflanzen wachsen, deshalb werden sie auch Epiphyten genannt. Anders als andere Epiphyten, die in Kelchen ihr eigenes Wasser sammeln, zapfen Misteln ihre Wirtsbäume an und versorgen sich so mit Wasser und Nährstoffen. Misteln werden zwar nur als „Halb-Parasiten“ bezeichnet, weil sie mit ihren grünen Blättern selbst Photosynthese betreiben. Ihr „Schmarotzen“ kann den Wirtsbäumen jedoch sehr schaden.

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Misteln mit Samenkapseln.

Misteln mit Samenkapseln.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Lee Pettet

Mit Saugwurzeln stiehlt sie der Kiefer das Wasser 

Besonders Kiefernwälder in trockenen Gebieten sind stark betroffen. Im Wallis in der Schweiz haben Forscher festgestellt, dass die dortigen Kiefern der doppelten Belastung von Trockenheitsstress und Mistelbefall oft nicht standhalten können. In der Schweiz stiegen die Temperaturen seit 1970 noch deutlicher als im globalen Mittel, nämlich um 1,5 Grad Celsius. Die eigenen Schutzmechanismen der Kiefern gegen die Trockenheit sind bei Mistelbefall nutzlos: Die Kiefern schließen ihre Atemöffnungen, die Stomata, wenn ihnen nicht genügend Wasser zur Verfügung steht und mehr Wasser über die Poren verdunstet, als sie über die Wurzeln aufnehmen können. Bei geschlossener Stomata ist aber auch die Gasversorgung der Pflanze mit Kohlenstoffdioxid unterbrochen. Ohne CO2 können Pflanzen jedoch keine Photosynthese betreiben und nicht wachsen. Deshalb müssen die Kiefern gleichzeitig auch ihr Wachstum drosseln, um ihr Überleben zu sichern. 

Den Misteln schadet das Schließen der Poren nicht, ihre direkte Verbindung zu den Leitbahnen der Kiefer ermöglicht ihnen, so lange zu trinken, wie die Kiefer Wasser aus dem Boden erreicht. Für die Ausbreitung der Mistel ist das gebremste Wachstum der Kiefern sogar vorteilhaft: Misteln produzieren Beeren mit Samen, die häufig von Vögeln gefressen werden. Die Samen in ihrer schleimig-klebrigen Hülle werden unverdaut ausgeschieden, können sich an den Zweigen neuer Kiefern anhaften und so einen neuen Wirt besiedeln. Die Keimblätter dienen als Haftscheiben, während zu Haustorien umgebildete Saugwurzeln die Verbindung zum Kambium und den Leitbahnen der Kiefer herstellen. Je weniger die neuen Äste schon in die Dicke gewachsen sind, desto unmittelbarer sind die Leitgewebe noch zugänglich und so erhöhen sich die Überlebenschancen des Mistelkeimlings. Die Kiefer hat dagegen zwei- bis dreimal geringere Chancen zu überleben als ohne Mistelbefall. So entstehen jedes Jahr erhebliche Schäden für die Forstwirtschaft.

Ökofolgen der Mistel

Experten beurteilen die Lage im Wallis als ein erstes Anzeichen für eine Veränderung des dortigen Bioms infolge des globalen Klimawandels: Die traditionelle pflanzliche Lebensgemeinschaft verändert sich. Die Mistel kommt mit steigenden Temperaturen in immer höheren Lagen vor. Noch vor hundert Jahren erreichten Misteln kaum Lagen über 1000 Meter. Im Jahr 2008 waren  Kiefern auf 1500 Meter mit Misteln befallen. Die absterbenden Kiefernwälder machen Flaumeichen (Quercus pubescens) Platz, die den Trockenheitsstress besser tolerieren können und nicht von Misteln befallen werden.

In nördlicheren Regionen befallen Misteln eher Pappeln oder Apfelbäume, nicht wie im Süden Tannen oder Kiefern. Der Befall von Pappeln zeigt ein interessantes Muster, wie Forscher aus Braunschweig herausfanden. Häufig sind Pappeln dort vermehrt befallen, wo Schwermetalle den Boden belasten. Die Bäume sind dann durch die toxische Wirkung der Metalle geschwächt und anfälliger für den Mistelbefall. Diese Indikatorfunktion könnte man in Zukunft nutzen, um Schwermetallverseuchungen im Boden besser zu erkennen.

Ist also nur Negatives über die Mistel zu berichten? Obwohl Misteln auch heute noch von vielen als Wundermittel, z.B. gegen Krebs, gepriesen werden, konnte diese heilende Wirkung bisher nicht mit stichhaltigen wissenschaftlichen Studien belegt werden. Der direkte Verzehr von Teilen der Pflanze ist sogar giftig. Aber eines bleibt ihr: der schöne britische Weihnachtsbrauch, sich unter dem Schutz der Mistelzweige heimlich zu küssen.