Wirkstoffsuche mithilfe traditioneller Medizin?

18.09.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Nah verwandte Heilpflanzen wurden in verschiedenen Teilen der Welt ähnlich genutzt (Quelle: © PhotoSG - Fotolia.com).

Nah verwandte Heilpflanzen wurden in verschiedenen Teilen der Welt ähnlich genutzt (Quelle: © PhotoSG - Fotolia.com).

Forscher konnten durch einen interkulturellen Vergleich von Heilpflanzen belegen, dass nah verwandte Pflanzenarten unabhängig voneinander in verschiedenen Teilen der Erde zu medizinischen Zwecken gebraucht wurden. Auf unterschiedlichen Kontinenten wurden die Pflanzen zudem genutzt, um dieselben Krankheiten zu behandeln. Das Wissen über traditionell verwendete Heilpflanzen kombiniert mit einem molekularen Stammbaum, der die Verwandtschaftsverhältnisse aufklärt, kann den Forschern zufolge bei der Suche neuer Wirkstoffe helfen.

Die traditionelle Medizin kann wichtige Impulse bei der Suche nach neuen medizinischen Wirkstoffen liefern. So das Ergebnis einer neuen Studie. Skeptiker vertreten die Ansicht, dass traditionell verwendete Heilpflanzen nicht unbedingt wirksam sein müssen. Die Auswahl an Pflanzen, die auf förderliche Inhaltsstoffe getestet werden könnten, wird demnach anhand der traditionellen Medizin nicht unbedingt erleichtert. 

Die Forscher der vorliegenden Studie liefern wissenschaftliche Belege dafür, dass bestimmte nah verwandte Pflanzenarten in unterschiedlichen Regionen aufgrund ihrer Wirksamkeit medizinisch verwendet wurden. Das Wissen über Heilpflanzen und deren evolutionäre Verwandtschaftsverhältnisse (Phylogenese) kann der Pharmaforschung ihrer Meinung nach nützlich sein. Die Pharmaunternehmen erkunden das kommerzielle Potenzial biologischer Ressourcen. Sie könnten durch die neuen Forschungsergebnisse schneller an neue Wirkstoffe gelangen, da sie ihre Suche nach Pflanzen mit medizinisch nützlichen Inhaltsstoffen eingrenzen könnten. 

Ein interkultureller Vergleich von Heilpflanzen 

Heilpflanzen sind Pflanzen, welche durch die enthaltenen bioaktiven Stoffe von den Menschen medizinisch genutzt werden. Die Pflanzen enthalten also natürliche Wirkstoffe, die gesundheitsfördernd sind oder kurativ eingesetzt werden. Bei der Medikamentenentwicklung sind diese Wirkstoffe eine natürliche Ressource. Auch in Zeiten ausgefeilter chemischer oder biotechnologischer Synthesen wird weltweit ein Großteil der modernen Medikamente aus Pflanzen gewonnen. Nimmt man die direkte Nutzung von Heilpflanzen hinzu, wird deutlich, Pflanzen sind eine Basis der Medizin. Schätzungen zufolge werden weltweit zwischen 10.000 und 53.000 Pflanzenarten traditionell verwendet. Aber nur ein kleiner Anteil davon wurde bisher auf bioaktive Stoffe hin untersucht. 

#####bildbox1#####
Das Wissen der traditionellen Medizin kann bei der Medikamentenentwicklung hilfreich sein.

Das Wissen der traditionellen Medizin kann bei der Medikamentenentwicklung hilfreich sein.

Bildquelle: © Américo Toledano / wikimedia.org; CC BY-SA 4.0

Ein Wissenschaftlerteam erforschte nun in einer neuen Studie über 1.500 Heilpflanzen, die auf unterschiedlichen Kontinenten verwendet werden. Die Pflanzen stammten von botanisch verschiedenen Regionen und unterschiedlichen Teilen der Erde: Nepal, Neuseeland und dem Kap von Südafrika. Diese drei Pflanzenwelten umfassen insgesamt ca. 7.000, 4.000 und 9.000 Arten, von denen 982 (14%), 165 (4,1%), und 323 (3,6%) Arten dokumentiert sind, die medizinisch genutzt werden. 

Zunächst wurde ein phylogenetischer Baum der Pflanzenarten jeder Region erstellt. Diese molekulargenetische Analyse sollte Aufschluss darüber geben, welche Arten untereinander verwandt sind. Bei der Analyse der drei separaten Pflanzenwelten endeckten die Forscher eine Gemeinsamkeit: Die Pflanzen, die medizinisch relevant waren, also sogenannte Heilpflanzen, waren im evolutionären Stammbaum geclustert und somit näher miteinander verwandt als mit anderen. 

Die Wissenschaftler kombinierten die drei Stammbäume daraufhin zu einem einzigen phylogenetischen Baum, der die insgesamt 20.000 Arten aller untersuchter Regionen enthält. Sie erkannten, dass auch bei diesem gemeinsamen Stammbaum die dokumentierten Heilpflanzen - unabhängig vom Standort - näher verwandt waren. 

Unabhängige Entdeckung der Wirksamkeit wahrscheinlich 

Nah verwandte Arten wurden also an unterschiedlichen Stellen der Erde (Nepal, Neuseeland und Südafrika) unabhängig voneinander als Heilpflanzen genutzt. Zudem wurden diese Pflanzen verwendet, um dieselben Beschwerden zu lindern. Aufgrund der geografischen Trennung und Unterschieden in der Flora ist es wahrscheinlich, dass die Wirksamkeit der traditionell verwendeten Heilpflanzen unabhängig voneinander entdeckt wurde. D.h. Völker, die auf verschiedenen Kontinenten lebten und keinen Kontakt zueinander hatten - so auch kein Wissen über die medizinischen Praktiken der anderen -, hätten demnach verwandte Pflanzen zur Heilung derselben Leiden medizinisch genutzt, so die Schlussfolgerung der Forscher. 

Warum nicht auf traditionelles Wissen zurückgreifen?

Weiß man also, dass bestimmte Pflanzen in verwandtschaftlichen Clustern medizinisch relevante Stoffe beinhalten, so könnten zukünftige Studien sich auf diese Teilmengen traditionell verwendeter Pflanzen fokussieren. Anstatt unsystematisch Pflanzen auf bioaktive Stoffe zu testen, könnte man so anhand der Vorkenntnisse aus traditioneller Medizin und der verwandtschaftlichen Verhältnisse gezielt Pflanzen aussuchen und dadurch den Erfolg erhöhen. Dabei könnte man auf Pflanzen stoßen, die noch nicht von der Schulmedizin „entdeckt“ wurden und ebenfalls medizinische Eigenschaften aufweisen. 

Bereits vorhandenes Wissen über die traditionelle Verwendung bestimmter Pflanzen, also z.B. dass man von gewissen Pflanzen die Wurzel nutzt, oder wie genau man die Heilpflanze anwenden muss, könnte die Forschung weiter bereichern. Die Ethnobotanik, also das wissenschaftliche Studium von Pflanzen bezogen auf die Nutzung des Menschen, könnte den Forschern zufolge also den Prozess der Wirkstofffindung optimieren. 


Quelle:

Saslis-Lagoudakis, C.H. et al. (2012): Phylogenies reveal predictive power of traditional medicine in bioprospecting. In: PNAS, online 10. September 2012, doi: 10.1073/pnas.1202242109.

Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de: