Schnappschuss aus der Urzeit

Insektenbestäubung doch keine Erfindung der Blütenpflanzen?

03.03.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

So könnte Darwinylus marcosi vor 105 Millionen Jahren ausgesehen haben. (Bildquelle: © Courtesy of Enrique Penalver (Museo Geominero, Instituto Geologico y Minero de Espana, Madrid, Spain)

So könnte Darwinylus marcosi vor 105 Millionen Jahren ausgesehen haben. (Bildquelle: © Courtesy of Enrique Penalver (Museo Geominero, Instituto Geologico y Minero de Espana, Madrid, Spain)

Darwinylus marcosi lebte vor 105 Millionen Jahren im heutigen Norden Spaniens. In einer Zeitkapsel aus Bernstein konserviert wartete der Vorfahr der heutigen Scheinbockkäfer auf seine Entdeckung, denn er hatte einiges zu erzählen. Schließlich wirft sein Fund Fragen bezüglich unserer Vorstellung von der Evolution der Bestäubungssymbiose auf.

Bienen (Apidae) sind der Inbegriff der Bestäubung. Und das, obwohl sie weder die größte Insektenfamilie unter den Bestäubern bilden noch zu den Pionieren zählen. Zwar stimmt es, dass sie die explosionsartige weltweite Ausbreitung der bedecktsamigen Blütenpflanzen (Angiospermen) in der Kreidezeit von Anfang an begleitet und beeinflusst haben. Wie paläontologische Funde aus den letzten Jahren aber zeigen, haben nacktsamige Pflanzen (Gymnospermen) zu diesem Zeitpunkt schon Jahrmillionen in einträglicher Bestäubungssymbiose mit verschiedensten Insekten gelebt. Dabei heißt es doch häufig, die Insektenbestäubung sei eine „Erfindung“ der Blütenpflanzen.

Auch Käfer waren von Anfang an dabei

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Die Bildausschnitte A ,D und C zeigen die Pollen im Bernstein in der Großaufnahme. B und H den Käfer Darwinylus marcosi. Die Bildauschnitte E bis G zeigen einige Körperteile des Käfers, an denen Pollen haften geblieben sind: die Mundkwerzeuge (E), Flügel (F) und  Hinterbeine (G). Das Schaubild (I) zeigt den

Die Bildausschnitte A ,D und C zeigen die Pollen im Bernstein in der Großaufnahme. B und H den Käfer Darwinylus marcosi. Die Bildauschnitte E bis G zeigen einige Körperteile des Käfers, an denen Pollen haften geblieben sind: die Mundkwerzeuge (E), Flügel (F) und  Hinterbeine (G). Das Schaubild (I) zeigt den "Tathergang": Als der Käfer die Pollen kaute, befand er sich in der oberen rechten Ecke, saß vermutlich direkt auf der Samenanlage. Als der schwere Harztropfen ihn traf wurde er diagonal in Richtung des grünen Pfeils weggeschleudert.

Bildquelle: © Courtesy of David Peris (Department de Ciencies Agraries I del Medi Natural, Universitat Jaume, Castello de la Plana, Spain)

Erneut bestätigt wird dies durch das kürzlich entdeckte Fossil eines Urahns der heute noch lebenden Scheinbockkäfer (Oedemeridae). Sein Fund ergänzt das Bild nicht nur um ein wichtiges Puzzleteil, indem es einen weiteren Bestäubungsmechanismus dokumentiert und damit die Käfer als Insektenklasse (Coleoptera) in die Riege der frühen Bestäuber aufnimmt. Der im Bernstein gefangene Sechsbeiner hilft uns auch dabei, die Evolution der Bestäubungssymbiose während der 35 millionenjährigen Übergangsphase besser nachzuvollziehen, in der die bis dato dominierenden Gymnospermen das Zepter an die Blütenpflanzen übergaben.

Ein Glückstreffer im wahrsten Sinne des Wortes

Für Conrad Labandeira, der sich der Erforschung der Bestäubungsymbiose zwischen Gymnospermen und Insekten verschrieben hat und dessen Name hinter fast jeder wichtigen Studie zu diesem Thema steht, ist der Käfer im Bernstein ein wahrer Glückstreffer. Festgehalten ist der Moment, in dem ein hungriger Käfer vor 105 Millionen Jahren gerade dabei ist, sich die Pollen eines Nacktsamers einzuverleiben, dabei aber unvorbereitet von einem dicken, zähflüssigen und klebrigen Tropfen Baumharz getroffen wird. Rings um ihn herum, an seinem Körper haftend und zwischen seinen Mundwerkzeugen, den Mandibeln, finden sich insgesamt 126 Pollen. Einige von ihnen einzeln verteilt, andere wiederum zu kleinen Pollenklumpen zusammengeballt.

Pollen als Snack für Urzeitinsekten?

Ohne den Bernstein aufbrechen und zerstören zu müssen, brachte allein der Blick durch das Mikroskop eine Fülle neuer Informationen ans Licht. Zum Beispiel in Bezug auf die Anatomie des Mundwerkzeugs. Denn dass es zu Lebzeiten von Darwinylus marcosi Bestäuberinsekten gab, die es nur auf die Pollen von Nacktsamern abgesehen hatten, war selbst Labandeira neu. Auch ihm waren bisher nur Insekten bekannt, die stattdessen auf den Bestäubungstropfen aus waren. Zumindest lassen dies fossile Insekten vermuten, die mit einem markanten Saugrüssel oder Mundstachel ausgestattet waren, mit denen sie den nektarähnlichen Guttationstropfen aufnehmen konnten, den die Samenanlagen der Gymnospermen klassischerweise bilden.

Schon damals beruhte Leistung auf Gegenleistung

Labandeira bezieht sich hierbei auf mehrere Fossilien von Fransenflüglern (Thysanoptera), Netzflüglern (Neuroptera) und Zweiflüglern (Diptera) aus dem Erdmittelalter, die ebenfalls in Bernsteinen konserviert wurden und auch entweder reichlich mit Pollen besprenkelt waren oder in deren Mägen und Exkrementen sich Pollen fanden. Damals wie heute, so der Forscher, lautete der Grundsatz: Bestäubung gegen Belohnung.

Der eben erwähnte Bestäubungstropfen sei damals das Pendant zum Nektar gewesen, erklärt Labandeira. Zwar nicht so hochkonzentriert und energiereich, aber in seiner Zusammensetzung doch sehr ähnlich. Wie Nektar bestand das Sekret der Samenanlagen der Gymnospermen hauptsächlich aus Zucker, ferner aus Aminosäuren und Proteinen. Bisher ging man jedoch nicht davon aus, dass der klebrige Tropfen zum Anlocken von Insekten gedacht war, sondern um Pollen im Vorbeiflug im Zuge der Windbestäubung (Anemogamie) aufzufangen, als Pollen-Landeplatz sozusagen.

Hört man aber Labandeira zu, drängt sich der Verdacht auf, dass dieses Bild nicht vollständig ist. Es ist die Zahl der Funde, die ihm in den letzten Jahren unter die Augen gekommen sind und ihn nicht mehr daran zweifeln lassen, dass bereits urzeitliche Gymnospermen und Insekten in einer engen Bestäubungssymbiose gelebt haben mussten.

Spuren der Koevolution

Den Einwand, die Insekten des Mesozoikums hätten sich vielleicht einfach schamlos am nahrhaften Sekret der Nacktsamer bedient, pariert Labandeira, indem er auf die Form und Gestalt der fossilen Pollen, deren Haftungsfähigkeit an Insektenkörpern und Neigung zur Klumpenbildung verweist. Gymnospermen, so seine Überzeugung, die ihr Schicksal allein dem Wind anvertraut hätten, hätten im Laufe der Evolution andersartige, aerodynamischere Pollen entwickeln müssen. Viele der gefundenen Pollen jedoch lassen eher auf eine Koevolution zwischen Pflanzen und Insekten schließen, bei der Erstere sich ein Stück weit an die Bestäubung durch Insekten angepasst haben (Entomophilie).

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Ein 3D-Modell von Darwinylus marcosi, inklusive der an ihm haftenden Pollen.

Ein 3D-Modell von Darwinylus marcosi, inklusive der an ihm haftenden Pollen.

Bildquelle: © Courtesy of Jose Antonio Penas (digital scientific illustrator from Madrid, Spain)

Was wurde aus Darwinylus marcosi?

Doch was passierte im Laufe der Zeit mit den Symbionten des Mesozoikums? Auch hier liefert der Scheinbockkäfer im Bernstein eine mögliche Antwort. Zwar ernähren sich seine heute lebenden Verwandten, von denen es rund 1.500 Arten gibt, nach wie vor von Pollen, doch sind es heute die Pollen von Blütenpflanzen und nicht mehr die von Gymnospermen. Der Scheinbockkäfer, so Labandeira, gehöre damit zu jener Gruppe von Insekten, die im Laufe der Evolution von Gymnospermen auf Angiospermen umgestiegen sind. Neben dieser gab es andere Insektengruppen, die ihren urzeitlichen Wirtspflanzen bzw. den heutigen Verwandten bis heute treu geblieben sind. Ein Großteil der Symbionten sei natürlich im Zuge des Aufstiegs der Blütenpflanzen leider ausgestorben, erklärt Labandeira.

Für ihn repräsentiert daher die Gruppe der prominenten Bestäuberinsekten, die sich parallel mit den Blütenpflanzen ausgebreitet haben (z. B. Bienen), nur einen von vier Evolutionssträngen der Bestäubungssymbiose.

Frischer Wind für die Forschung

Da der Bestäubungsvorgang aufgrund seiner Bedeutung und Komplexität seit Ende des 18. Jahrhunderts einen eigenen Forschungszweig hat, die Rede ist von der Bestäubungsökologie oder auch Blütenökologie genannt, dürfte Labandeiras Arbeit jedoch gewiss für frischen Wind sorgen und zu neuen Fragen führen. Zum Beispiel in Bezug auf die Bestäubungsstrategien von Insekten im Allgemeinen oder speziell zum Potenzial von Insekten zur Unterstützung der Windbestäubung von Nadelhölzern (Koniferen) in der Forstwirtschaft, die die größte heute noch lebende Gruppe der Gymnospermen bilden. Die Suche nach Antworten auf solche Fragen wäre dann aber natürlich ein Fall für die Pflanzenforschung und für die Paläoentomologie, aus der Labandeira kommt. 


Quelle:
Peris, D. et al. (2017): False Blister Beetles and the Expansion of Gymnosperm-Insect Pollination Modes before Angiosperm Dominance. In: Current Biology, Vol. 27, (2. März 2017), doi.org/10.1016/j.cub.2017.02.009.

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Titelbild: So könnte Darwinylus marcosi vor 105 Millionen Jahren ausgesehen haben. (Bildquelle: © Courtesy of Enrique Penalver (Museo Geominero, Instituto Geologico y Minero de Espana, Madrid, Spain)