Insektensterben global betrachtet

Metastudie zeigt: weniger Landinsekten, mehr Süßwasserinsekten

26.05.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ein Hornkleewidderchen sitzt auf einer Wiesenflockenblume. (Bildquelle: © Beat Wermelinger)

Ein Hornkleewidderchen sitzt auf einer Wiesenflockenblume. (Bildquelle: © Beat Wermelinger)

Weltweit betrachtet ist der Rückgang von Insektenpopulationen nicht so stark wie angenommen. Allerdings ist das keineswegs ein Grund zur Entwarnung, betonen die Forscher.

Das Insektensterben ist ein aktuelles Thema, das viele Menschen bewegt. Allerdings zeigen die teilweise dramatischen Zahlen nur die Situation in einigen Weltregionen, verlässliche globale Zahlen zum Insektenschwund gibt es bisher kaum.

In einer Metastudie haben Forscher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Leipzig, des Institutes für Biodiversität der Friedrich Schiller Universität Jena, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und des Institutes für Informatik der Universität Leipzig nun versucht, ein genaueres Bild der Lage zu erhalten.

Eine weitere Studie unter Beteiligung des Nees-Institutes für Biodiversität der Pflanzen der Universität Bonn zeigt den Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Insekten und dem Verlust ihrer Nahrungspflanzen.

Abnahme der Landinsekten

#####1#####
Bienen sind für die Bestäubung von Obstbäumen unerlässlich.

Bienen sind für die Bestäubung von Obstbäumen unerlässlich.

Bildquelle: © Pixabay/CC0

Insekten haben eine große Bedeutung für den Menschen, besonders wenn es um Bestäubung von Nutzpflanzen und die Zersetzung von totem organischem Material geht. Umso besorgniserregender sind die aktuellen Zahlen zum Insektenschwund, die in verschiedenen Studien nachgewiesen wurden. Allerdings betrachten diese Studien in der Regel nur die Insektenvorkommen im lokalen oder regionalen Rahmen, eine Übersicht über die globale Situation fehlt. Sie ist aber von großer Bedeutung, um wirkungsvoll gegensteuern zu können.

Für diesen globalen Überblick werteten die Forscher die Daten von 166 Langzeitstudien auf 1.676 Flächen in 41 Ländern aus. Schwerpunkte lagen auf der Verbreitung der Insektenarten sowie auf der Zahl an vorkommenden Individuen in einem Habitat.

Wie erwartet konnte eine globale Abnahme der Landinsekten nachgewiesen werden, aber lediglich um 0,91 Prozent pro Jahr (8,81 Prozent pro Jahrzehnt). Regionale Studien aus Deutschland und Puerto Rico haben im Vergleich dazu Verluste von drei bis sechs Prozent pro Jahr ermittelt.

Mitteleuropa und Nordamerika am stärksten betroffen

Die stärksten Abnahmen an Insekten konnten in Nordamerika und in Teilen von Mitteleuropa beobachtet werden. Für Europa dokumentieren die Zahlen ab 2005 die größten Verluste, während in Nordamerika nach Tiefständen in den 1960 bis 1990ern anschließend wieder leichte Zuwächse zu verzeichnen waren.

Grund für den Artenschwund könnten Landnutzungsänderungen sein, vor allem die zunehmende Verstädterung und die Intensivierung der Landwirtschaft. Während bei der Verstädterung besonders die Lichtverschmutzung und der Habitatverlust als Ursachen in Frage kommen, bewirkte die landwirtschaftliche Nutzung auf lokaler Ebene sogar eine Zunahme der Insekten.

Die Forscher vermuten als Grund, dass in Bereichen mit langfristiger ackerbaulicher Nutzung weniger Landnutzungsänderungen auftreten. Dadurch hätten die Insekten ein relativ stabiles Umfeld. Ein Zusammenhang mit dem Klimawandel als Ursache für den Insektenschwund konnte nicht festgestellt werden.

Einen positiven Trend konnten die Forscher für die Süßwasserinsekten feststellen. Hier gab es eine Zunahme um 1,08 Prozent pro Jahr (11,33 Prozent pro Jahrzehnt). Die Forscher gehen davon aus, dass die verschiedenen Maßnahmen zur Wasserreinhaltung (zum Beispiel die Europäische Wasserrahmenrichtlinie) Wirkung zeigen. Aber auch eine Erwärmung durch den Klimawandel sowie Effekte durch Nährstoffeinträge könnten mögliche Ursachen sein.

Alles weniger schlimm?

Auch wenn der globale Verlust an Insekten etwa sechsmal niedriger liegt als in anderen Studien, sei das kein Grund zur Entwarnung, betonen die Forscher. Sie fordern dringend größere Anstrengungen bei den Schutzmaßnahmen.

#####2#####
Eine Erdhummel auf einer Filzklette.

Eine Erdhummel auf einer Filzklette.

Bildquelle: © Armin Heitzer

Denn dass die nachgewiesenen Verluste an Landinsekten schwächer ausfielen als erwartet, führen sie unter anderem auch auf die ungleich verteilte Datenlage zurück. In Nordamerika und Europa, wo die meisten Studien durchgeführt wurden, befanden sich viele der untersuchten Flächen in Schutzgebieten. Hier ist davon auszugehen, dass der Verlust an Insekten geringer ausfällt als in stark beanspruchten Habitaten in der Umgebung von Städten und auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Das bedeutet, dass es von den Gebieten mit den größten Belastungen für Insekten zu wenige Daten gibt.

Verlust von Nahrungspflanzen hat große Auswirkungen

Eine weitere Studie analysierte die Zu- bzw. Abnahme von für Insekten wichtigen Futterpflanzen im Kanton Zürich. Insgesamt wurden 966 Pflanzenarten betrachtet und ihr Vorkommen im Zeitraum von 1900 bis 1930 mit dem von 2012 bis 2017 verglichen. Anhand der Daten konnten sie einen umfassenden Verlust von Wildpflanzen in fast allen Habitattypen nachweisen.

Problematisch war außerdem, dass seltenere Pflanzenarten besonders vom Schwund betroffen waren. Auf diese Nahrungspflanzen angewiesene „Spezialisten“ unter den Insekten haben hier das Nachsehen. Als Ursache nennen die Forscher auch hier die Verstädterung und Intensivierung der Landwirtschaft. Besonders stark vom Rückgang der Wildpflanzen betroffen waren Feuchtgebiete und Agrarflächen.

Spezialisten am stärksten betroffen

Nur auf Brachland nahm die Diversität der Pflanzen in den letzten Jahren zu, da im Zuge der Urbanisierung mehr Brachen entstanden. Allerdings ist die typische Brachenflora nicht geeignet, um das Nahrungsangebot für hoch spezialisierte Insekten zu decken. Lediglich die Generalisten unter den Insekten profitieren von ihr.

Zudem stellten die Forscher generell eine Angleichung der heimischen Flora fest, also das zunehmende Vorkommen immer der gleichen Pflanzenarten in verschiedenen Habitattypen. Eine Homogenisierung der Flora führt zu einer Verknappung des Nahrungsangebotes durch „Blühlöcher“. Das sind Zeiträume, in denen nur wenige Pflanzenarten blühen. Auch hier bleiben besonders die Spezialisten auf der Strecke.

Die Forscher warnen vor einem weiteren Artenverlust. Insekten seien wegen ihrer Ökosystem-Dienstleistungen von immenser Bedeutung für die Lebensmittelproduktion und gut durchdachte und koordinierte Schutzmaßnahmen dringend notwendig.


Quellen:

  • van Klink, R. et al. (2020): Meta-analysis reveals declines in terrestrial but increases in freshwater insect abundances. In: Science 368, 417 – 420, (24. April 2020), doi: 10.1126/science.aax9931.
  • Abrahamczyk, S. et al. (2020): Shifts in food plant abundance for flower visiting insects between 1900 and 2017 in the canton of Zurich, Switzerland. In: Ecological Applications, 23. April 2020), doi: 10.1002/eap.2138.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Ein Hornkleewidderchen sitzt auf einer Wiesenflockenblume. (Bildquelle: © Beat Wermelinger)