„Hormesis“: Die Dosis macht das Gift

Herbizide können die Fitness von Pflanzen fördern

18.08.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Regina Belz von der Universität Hohenheim untersucht das Phänomen der Hormesis bei Pflanzen. (Bildquelle: © Belz)

Regina Belz von der Universität Hohenheim untersucht das Phänomen der Hormesis bei Pflanzen. (Bildquelle: © Belz)

Professorin Regina Belz von der Universität Hohenheim zeigt mit ihrer Forschung, dass Pflanzen von Herbiziden profitieren können. Getreu dem Motto „Was dich nicht umbringt, macht dich stärker“ kurbeln Pflanzen ihren Stoffwechsel bei niedriger Herbizid-Dosierung an und erhöhen so ihre Fitness gegenüber der Konkurrenz.

So paradox es auch klingt – geringe Mengen toxischer Substanzen können das Pflanzenwachstum steigern. Diesen Zusammenhang entdeckte Agrarwissenschaftlerin Regina Belz im Zuge ihrer Doktorarbeit vor einigen Jahren. Seitdem lässt sie die Forschung rund um das Thema „Hormesis“, wie der Effekt wissenschaftlich genannt wird, nicht mehr los. „Hormesis ist wesentlich mehr als nur die simple Förderung des Pflanzenwachstums“, erklärt die Professorin und Leiterin eines Teams von AgrarökologInnen an der Universität Hohenheim. Der Effekt verändere nämlich auch die Fitness und Genetik der Pflanze.

Glyphosat ruft starke Hormesis-Effekte hervor

Besonders ist, dass er bei ganz unterschiedlichen Stoffeinflüssen auftritt. „Hormesis kann nicht nur durch Herbizide ausgelöst werden, sondern auch durch andere Pflanzenschutzmittel und Umweltschadstoffe, darunter auch Ozon. Selbst natürliche Metabolite von Pflanzen können diesen Effekt verursachen.“ Dabei rufe vor allem das umstrittene Glyphosat bei verschiedenen Pflanzen starke und beständige Hormesis-Effekte hervor. Belz beschreibt: „Hierbei sind es vor allem Gehölzpflanzen, die sehr ausgeprägte Effekte – z. B. beim Wurzelwachstum – zeigen.“

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Die Dosis macht das Gift. In einem Experiment wurde Gerste mit unterschiedlichen Dosen des Herbizids Glyphosat behandelt. Die Pflanze ganz links erhielt keine Behandlung und dient als Vergleich. Sehr hohe Dosen waren schädlich, aber geringe Konzentrationen konnten das Wachstum anregen.

Die Dosis macht das Gift. In einem Experiment wurde Gerste mit unterschiedlichen Dosen des Herbizids Glyphosat behandelt. Die Pflanze ganz links erhielt keine Behandlung und dient als Vergleich. Sehr hohe Dosen waren schädlich, aber geringe Konzentrationen konnten das Wachstum anregen.

Bildquelle: © Belz

Abhängig von der Pflanzenart und der Menge des verabreichten Glyphosats seien aber sehr unterschiedliche Ausprägungen des Effekts beobachtbar. „Theoretisch geht man davon aus, dass jedes Toxin bzw. Herbizid bei niedrigen Dosierungen ähnliche Hormesis-Effekte verursacht. Praktisch gibt es hier jedoch deutliche Unterschiede. In einer dänischen Studie zur Herbizid-Hormesis wurden beispielsweise acht Herbizide mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismen bei Gerste getestet. Auch bei dieser Studie zeigten Glyphosat und ein ALS-Inhibitor am häufigsten einen Hormesis-Effekt.“

Wie kommt es zum Hormesis-Effekt?

Die Tatsache, dass weitere Umweltbedingungen wie Bodenverhältnisse, Wetter und Düngung auch Einfluss nehmen können, zeigt wie komplex Hormesis ist. Vor allem die Hintergründe, wie der Effekt physiologisch zu Stande kommt, sind noch nicht genau erforscht.

Belz erklärt: „Es wird angenommen, dass es neben einer direkten Stimulation von Enzymen zur Hyperkompensation einer leichten Stressreaktion in der Pflanze kommt.“ Was sie damit meint, lässt sich am besten im Vergleich mit sportlichem Training veranschaulichen: Wenn Muskeln durch Sport gereizt werden, passen sie sich nach dem Training an, indem sie ihr Wachstum ankurbeln. Durch den Einfluss des Umweltgifts werden in ähnlicher Weise auch bei der Pflanze zusätzliche Anpassungsprozesse in Gang gesetzt.

Belz konnte anhand von eigenen Studien zum zeitlichen Verlauf der Hormesis-Reaktion solche sogenannten ‚Hyperkompensationsreaktionen‘ bereits nachweisen. Da sich ihre Forschung derzeit noch weitgehend auf die Ganzpflanzen-Ebene beschränkt, gibt es zu den molekularen Abläufen dieser Reaktionen aber noch wenige Erkenntnisse. „Es liegt nahe, dass wie bei anderen Stressreaktionen vielfältige physiologische, genetische und auch epigenetische Veränderungen auftreten.“

Hormesis kann Erträge steigern …

Die Agrarökologin kann sich vorstellen, dass man in der landwirtschaftlichen Praxis vom Hormesis-Effekt profitieren kann. Eine gezielte niedrige Herbizid-Dosierung könne den Ertrag von Kulturpflanzen erhöhen und diese stressresilienter machen. Hierfür müssten die Auswirkungen bestimmter Stoffe auf unterschiedliche Kulturpflanzen jedoch noch genauer in Studien untersucht werden.

… aber auch zu Herbizidresistenzen bei Unkräutern führen

Gleichzeitig gibt Belz zu bedenken, dass viele Unkräuter oder Wildpflanzen in der Nähe von regulären Agrarflächen versehentlich niedrigen Dosierungen ausgesetzt werden und ebenfalls Hormesis-Effekte zeigen.

Dass dies die Entwicklung von herbizidresistenten Unkräutern fördert, bestätigen auch erste Laborversuche. Sie und ihre KollegInnen konnten zeigen, dass Nachkommen ‚hormetisch stimulierter‘ Pflanzen unempfindlicher gegenüber einer erneuten Einwirkung desselben Herbizids sind und sie im Gegensatz zu unbehandelten Pflanzen stärker mit Hormesis reagieren. „Das könnte ein erster Hinweis sein auf vererbbare Mechanismen, also genetische und epigenetische Veränderungen durch Herbizid-Hormesis“, meint Belz. Eine so erhöhte Resilienz gegenüber einem erneuten Herbizidstress werde dann an Nachkommen weitergeben.

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Hier wurden Gänsefuß-Pflanzen mit verschiedenen Konzentrationen des Pflanzenschutzmittelwirkstoffs Metamitron behandelt.

Hier wurden Gänsefuß-Pflanzen mit verschiedenen Konzentrationen des Pflanzenschutzmittelwirkstoffs Metamitron behandelt.

Bildquelle: © Belz

Epigenetische Auswirkungen verändern die Populationen

Hormesis-Effekte können dann auch als Selektionsdruck für und gegen bestimmte Subpopulationen in natürlichen Pflanzenpopulationen fungieren und so zu einer Verschiebung der Merkmalsverteilung innerhalb der Gesamtpopulation einer Pflanzenart führen. „Eine Population besteht ja aus vielen Individuen derselben Art, die u. a. unterschiedlich herbizidempflindlich sind und unterschiedliche Wachstumseigenschaften zeigen. Wir konnten beispielweise zeigen, dass bei geringsten Herbizidmengen vor allem empfindliche und langsam wachsende Individuen innerhalb einer Population gefördert werden und dadurch 'self-thinning'-Prozesse außer Kraft gesetzt werden“, erklärt Belz.

„Bei immer noch geringen, aber im Vergleich höheren Herbizidmengen dagegen werden diese Individuen letal geschädigt, während schnellwachsende und besonders Herbizid-unempfindliche Individuen maximal gefördert werden. Durch solche dosisabhängigen und selektiven Hormesis-Effekte wird die Populationsstruktur langfristig verändert und damit auch ihre Anpassungsfähigkeit an die auslösenden Stressoren oder aber auch gegenüber anderen Stressoren wie extreme Umweltbedingungen.“

Langfristige Auswirkungen auf Landwirtschaft und Ökosysteme noch unklar

Was dies jedoch für Landwirtschaft und Ökologie genau bedeutet, ist bisher unerforscht. „Bis man weiß, ob und wie sich die Hormesis in der Landwirtschaft und der Umwelt langfristig auswirkt, ist noch viel Forschungsarbeit notwendig. In Anbetracht der Herbizidmengen, die jährlich ausgebracht werden, sollten wir jedoch die Herbizid-Hormesis in seiner vollen Wirkung verstehen“, fasst Belz zusammen. Ihr Projekt „HerbBi - Herbizid-vermittelte biphasische Reaktionen in Pflanzen“ soll hier neue Erkenntnisse liefern. „Da Hormesis für viele biologische und toxikologische Wissenschaften relevant ist, sind die Ergebnisse dieses Projektes nicht nur für Agronomen bedeutend, sondern für alle, die sich mit chemischen Belastungen in medizinischen, toxikologischen und ökologischen Studien befassen.“