Rechnung ohne den Wirt gemacht

Biodiversität ist ein kaum beachteter Faktor bei der Agrarproduktivität

09.10.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Schön strukturiert: Kleinräumige Flächen mit Hecken und Feldgehölzen erhöhen die Biodiversität. (Bildquelle: © iStock.com/Blackbeck)

Schön strukturiert: Kleinräumige Flächen mit Hecken und Feldgehölzen erhöhen die Biodiversität. (Bildquelle: © iStock.com/Blackbeck)

Bisherige Berechnungen zur globalen Ernährungssicherheit basieren in der Regel auf rein ökonomischen Aspekten und lassen die Biodiversität als wichtigen Faktor außer Acht. Biodiversitätsverluste gefährden aber langfristig das Ertragsniveau in der Landwirtschaft. ForscherInnen haben nun einen korrigierten Berechnungsansatz entwickelt.

Wie können wir genug Lebensmittel für eine steigende Weltbevölkerung produzieren, ohne dabei unsere natürlichen Ressourcen zu zerstören? Der bisherige Weg, höhere Erträge alleine über eine Intensivierung der Landwirtschaft zu erreichen, ist nicht länger zielführend. Denn eine hohe Biodiversität ist für die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft ebenso bedeutend. Die Interaktionen zwischen Landwirtschaft und Biodiversität fanden bisher in Modellierungen zu wenig Beachtung, da in erster Linie Wert auf kommerzielle Aspekte gelegt wurde.

In einem Debattenbeitrag hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, des Institutes für Geowissenschaften und Geografie der Martin-Luther-Universität Halle/Leipzig und des Institutes für Geobotanik der Leibniz-Universität Hannover jetzt ein neues Modell vorgeschlagen, das auch ökologische Faktoren adäquat berücksichtigt.

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Bestäuber leisten wichtige Dienste: Funktionen in Ökosystemen können auch einen Nutzen für den Menschen haben und werden dann Ökosystem-Dienstleitungen genannt.

Bestäuber leisten wichtige Dienste: Funktionen in Ökosystemen können auch einen Nutzen für den Menschen haben und werden dann Ökosystem-Dienstleitungen genannt.

Bildquelle: © Myriam Zilles / Pixabay / CC0

Wechselwirkungen zwischen Landwirtschaft und Biodiversität

Um hohe Erträge zu erhalten, werden in der Landwirtschaft unter anderem Dünger, Wasser und Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Störende Landschaftsstrukturen wie Hecken, Feldgehölze, Bäche und Teiche werden beseitigt, Grünland zu Acker umgewidmet. Je stärker der Einsatz intensiviert wird, desto höher sind die Erträge, so die Logik.

Allerdings stimmt das nur bis zu einem gewissen Punkt. Dann stagnieren die Ertragszuwächse und die Produktionseffektivität wird geringer. Dazu kommt ein weiterer Faktor: Die umgebende Natur. Der Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln sowie Eingriffe, die zum Verlust von Landschaftsstrukturen führen, verursachen auch den Rückgang von Arten, die beispielsweise für Ökosystem-Dienstleistungen wie Bestäubung und natürliche Schädlingskontrolle wichtig sind. Als Folge wird die Bestäubungsleistung dieser Tiere geringer und mehr Pflanzenschutzmittel kommen zum Einsatz. Das wirkt sich wiederum negativ auf die Biodiversität und damit auf die Erträge und die Gewinne aus.

Bei immer höherem Einsatz von Produktionsmitteln stagnieren die Ertragszuwächse also nicht nur, sie können durch den Biodiversitätsverlust sogar ins Negative kippen, so dass die Erträge sinken. Diese Wechselwirkung, der sogenannte Biodiversitäts-Produktions-Mutualismus (BPM), ist bis heute noch nicht vollständig verstanden und wird viel zu selten berücksichtigt.

TFP und TRP

Bisherige Modelle zur Bewertung der landwirtschaftlichen Produktivität fußen größtenteils auf der sogenannten TFP (Totale Faktorproduktivität). Diese Kennzahl beschreibt die Effizienz der eingesetzten Produktionsmittel. Als Messwert für Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz eignet sie sich allerdings nicht, da nur Faktoren mit einem üblichen Marktwert berücksichtigt werden.

Will man also Ökonomie und Ökologie in der Landwirtschaft „an einen Tisch bringen“, braucht es ein anderes Werkzeug. Dazu wurde die Green TFP oder TRP (Totale Ressourcenproduktivität) entwickelt. Sie erfasst auch negative Effekte wie Umweltverschmutzung oder Artenverluste sowie den Verbrauch natürlicher Ressourcen wie Grundwasser und Boden.

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Um hohe Erträge zu erhalten, werden in der Landwirtschaft unter anderem Dünger, Wasser und Pflanzenschutzmittel eingesetzt.

Um hohe Erträge zu erhalten, werden in der Landwirtschaft unter anderem Dünger, Wasser und Pflanzenschutzmittel eingesetzt.

Bildquelle: © iStock.com/simonkr

Diese Effekte werden nicht anhand ihres kaum oder nicht vorhandenen Marktwertes bemessen, sondern die ökologischen und sozialen Effekte werden bewertet. Doch Ökosystem-Dienstleistungen sind in Modellierungen nur schwer quantifizierbar, da sie von komplexen Zusammenhängen abhängig sind.

Besser rechnen

Um diese Faktoren und damit den BPM besser in die Modelle zu integrieren, haben die Forscher eine neue Berechnungsmethode erarbeitet. Dafür werden zum Beispiel nicht mehr nur homogenisierte Flächendaten erfasst, sondern auch die spezifischen regionalen Landschaftsstrukturen ökologisch bewertet. Ebenso werden potentielle negative Effekte auf die Biodiversität einbezogen, die beispielsweise durch ein Zuviel an Pflanzenschutzmitteln oder Dünger auftreten können. So lassen sich frühzeitig mögliche Schädigungen der Umwelt erkennen.

Blick in die Zukunft

Die ForscherInnen schlagen vor, die aktuellen Agrarsubventionen anhand weiter entwickelter Berechnungsmodelle auf den Prüfstand zu stellen. Die Agrarpolitik müsse stärker die inhärente Rückkopplung zwischen Biodiversität, Ökosystemfunktion und Ressourcenbereitstellung berücksichtigen. Ziel muss es sein, die ökonomisch vorteilhaftesten und ökologisch wirksamsten Maßnahmen in der Landwirtschaft zu fördern. Auch sollten Biodiversitätsverluste vor allem dort vermieden werden, wo eine starke Intensivierung der Landwirtschaft in den kommenden Jahren zu erwarten ist, etwa in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern mit schnell steigenden Bevölkerungszahlen.


Quelle:
Seppelt, R. et al. (2020): Deciphering the Biodiversity-Production Mutualism in the global Food Security Debate. In: Trends in Ecology and Evolution, (14. September 2020), doi: 10.1016/j.tree.2020.06.012.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Schön strukturiert: Kleinräumige Flächen mit Hecken und Feldgehölzen erhöhen die Biodiversität. (Bildquelle: © iStock.com/Blackbeck)