Moderne Vielfalt

Die wissenschaftsbasierte Züchtung erhöht die genetische Diversität im Weizenanbau

12.01.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Weizen ist eine wichtige Kulturpflanze in den USA. Ihre genetische Vielfalt im Anbau nimmt zu. (Bildquelle: © Jim Black/Pixabay)

Weizen ist eine wichtige Kulturpflanze in den USA. Ihre genetische Vielfalt im Anbau nimmt zu. (Bildquelle: © Jim Black/Pixabay)

Biodiversität und moderne Landwirtschaft werden oft als Gegensätze gesehen. Doch zumindest innerhalb der Kulturart Weizen hat sich in den vergangenen hundert Jahren die genetische Vielfalt auf den Feldern vergrößert – vor allem durch die wissenschaftsgeleitete Züchtung.

Die heutige industrielle Landwirtschaft steht nicht nur für eindrucksvolle Flächenerträge, die die Welternährung weitgehend sichern, sondern auch für Landschaften mit reduzierter Artenvielfalt. Auch auf den Äckern ist es mit der Artenvielfalt von Kulturpflanzen nicht weit her: Die Hälfte aller Kalorien, die Menschen 2019 direkt zu sich genommen haben, gehen auf nur fünf Kulturpflanzenarten zurück: Reis, Weizen, Zucker, Mais und Sojabohnen. Innerhalb dieser Arten dürfte die moderne, kommerzielle Züchtung ebenfalls zur Dominanz bestimmter genetischer Merkmale und damit zu einem Verlust an genetischer Vielfalt geführt haben, fürchteten viele Fachleute. Doch das scheint nicht ganz zu stimmen.

Forscher:innen haben am Beispiel des Sommer-, Winter- und Durumweizens untersucht, wie sich dessen genetische Vielfalt in den USA von 1919 bis 2019 zeitlich und räumlich verändert hat. Zunächst haben die Fachleute dazu analysiert, welche Sorten in welchem Jahr angebaut wurden. 1.353 Varietäten, die jeweils auf mindestens 0,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche eines Bundesstaats angebaut worden waren, fanden sich in den Aufzeichnungen.

Von 33 auf 186 Varietäten

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Winterweizen zeigte in der Studie die höchste genetische Vielfalt beim Anbau in den USA.

Winterweizen zeigte in der Studie die höchste genetische Vielfalt beim Anbau in den USA.

Bildquelle: © Hans/Pixabay

Dominierten 1919 noch fünf Sorten den Anbau und deckten 88 Prozent des Weizenanbaus ab, wuchsen sie bereits 1964 nur noch auf 34 Prozent der Anbaufläche, Tendenz fallend. 2019 kamen selbst die Top 20 gemeinsam nur noch auf 68 Prozent. 186 Varietäten hatten die Landwirte in diesem Jahr insgesamt angebaut; 1919 waren es lediglich 33. Damit gediehen vor rund hundert Jahren durchschnittlich zwei Sorten pro einer Million Hektar, 1919 hingegen 24 – mehr als eine Verzehnfachung.

Und noch etwas änderte sich: Dominierten die älteren Züchtungen teils über mehrere Jahrzehnte, wechseln die heutigen Top-Varietäten meist schon nach fünf Jahren. Das zeigte sich auch beim Alter der angebauten Varietäten: 1919 wuchsen auf nur 1,3 Prozent der Anbaufläche Züchtungen, die jünger waren als fünf Jahre, 2019 nahmen neue Sorten jedoch ein Drittel der Anbaufläche ein. Insgesamt wurden in den vergangenen hundert Jahren 360 der 1.353 Varietäten über mindestens 15 Jahre angebaut. 146 Varietäten brachten es dagegen nur auf eine einzige Saison.

Phylogenetische Vielfalt wächst ebenfalls

Zumindest was die Sorten angeht, ist die Diversität damit insbesondere in der Zeit der modernen, wissenschaftsgeleiteten Sortenzüchtung räumlich und zeitlich stark angestiegen. Doch Sortenvielfalt bedeutet nicht zwingend auch genetische Vielfalt. Schon ein unterschiedliches Merkmal rechtfertigt es schließlich, eine neue Sorte zu definieren. Das Forschungsteam hat daher zusätzlich die Abstammungen der Varietäten analysiert, um daraus auf die genetische Vielfalt auf dem Acker rückschließen zu können. Frühere Studien konnten darlegen, dass die anhand unabhängiger genetischer Marker gemessene Verwandtschaft stark mit jener korreliert, die sich anhand der Abstammungslinien erwarten lässt.

Dabei ergab sich, dass auch die phylogenetische Weizenvielfalt in den USA mit den Jahrzehnten zugenommen hat. Diese Entwicklung war bei den seltener angebauten Durumweizen weniger ausgeprägt, am stärksten zeigte sich das beim Winterweizen. Die Analysen wiesen aber auch nach, dass sich innerhalb einer agroklimatischen Zone verwandte Varietäten durchaus häufen. Dennoch gab es den eindeutigen Trend, dass die phylogenetische Diversität in allen Regionen und bei allen drei Weizenklassen angestiegen ist.

Moderne Züchtung steigert Ertrag und Vielfalt

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Durumweizen wird in den USA eher selten angebaut und besitzt dort nur eine geringere genetische Vielfalt als Winter- oder Sommerweizen.

Durumweizen wird in den USA eher selten angebaut und besitzt dort nur eine geringere genetische Vielfalt als Winter- oder Sommerweizen.

Bildquelle: © Christine Dautin/Pixabay

Abschließend nutzte das Forschungsteam das „Konzept von Metagemeinschaften“, um für jeden Bundesstaat die zeitliche und räumliche Vielfalt kombiniert zu betrachten. Besonders für Winterweizen ergaben sich hier große Unterschiede in der raumzeitlichen Diversität innerhalb der einzelnen Bundesstaaten. So wies beispielsweise Washington beim Winterweizen eine mehr als doppelt so hohe räumliche und nahezu doppelt so hohe zeitliche Diversität auf wie Wyoming. Fassten die Forscher alle Staaten zusammen, so zeigte sich auch für die raumzeitliche Vielfalt bei allen drei Weizenklassen ein Wachstum über die Jahrzehnte. Erneut lag dabei der Winterweizen an der Spitze, gefolgt vom Sommerweizen.

Die Studienautoren sehen darin den Beleg, dass die wissenschaftlich basierte Auswahl neuer Sorten nicht zu weniger, sondern zu mehr genetischer Vielfalt im Weizenanbau geführt hat – und das bei einer gleichzeitigen Vervierfachung des Flächenertrags in den USA. Landrassen hätten zwar oft eine räumliche Vielfalt, aber wenig Variation über die Zeit. Das mache sie anfällig für extreme biotische oder abiotische Ereignisse, die infolge der Klimakrise bereits zunehmen. Die moderne Sortenzüchtung führe hier zu schnellerer Anpassung.

Welche Rolle es für die Anbauentscheidungen und damit die Diversität spielt, ob Sorten von öffentlichen oder privaten Institutionen gezüchtet wurden, blieb in der Studie unklar. Die betrachteten Weizensorten stammten überwiegend aus öffentlicher Forschung. Umgekehrt verhält es sich in den USA beim Mais – doch für dieses Getreide fehlt noch die nötige Verwandtschaftsanalyse, um die Entwicklung der Diversität nachvollziehen zu können


Quelle:
Chai, Y., et al. (2022): „Scientific selection: A century of increasing crop varietal diversity in US wheat.“ In: PNAS, 2022, Vol. 119, No. 51. doi: 10.1073/pnas.2210773119.

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Titelbild: Weizen ist eine wichtige Kulturpflanze in den USA. Ihre genetische Vielfalt im Anbau nimmt zu. (Bildquelle: © Jim Black/Pixabay)