Debatte

Was ist ein ökologischer Schaden?

Wenn gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, gibt es Wechselwirkungen mit dem sie umgebenden Ökosystem. Einmal in die Natur ausgebracht, lässt sich ihre Verbreitung nicht mehr vollständig kontrollieren. Das gibt Anlass zu vielfältigen Befürchtungen und Risikoszenarien. Häufig taucht in diesem Zusammenhang der Begriff des ökologischen Schadens auf. Aber es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens darüber, was eigentlich als ökologischer Schaden zu bewerten ist. bioSicherheit hat verschiedene Experten zu diesem Thema befragt.

Roger Busch, Universität München, Ethik-Institut Technik-Theologie- Naturwissenschaften
„Insbesondere dort, wo genetische Informationen verloren gehen, liegt ein ökologischer Schaden vor.“

Gesine Schütte 2

Gesine Schütte, Universität Hamburg, Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt
„Akzeptabel wäre der Schaden für mich dann, wenn es ein Leichtes wäre, ihn rückgängig zu machen oder ernsthaft anderswo auszugleichen.“

Robert Hermanowski, FiBL, Forschungsinstitut für biologischen Landbau, Berlin
„Ein Verzicht auf den Einsatz von gv-Pflanzen wäre eine konsequente Vorgehensweise, um ökologische Schäden zu vermeiden.“

Hans-Jörg Jacobsen, Universität Hannover, Lehrgebiet Molekular-genetik
„Ich gehe davon aus, dass ein intaktes Ökosystem sich durch seine Fähigkeit zur Veränderung auszeichnet.“

Helmut Gaugitsch, Umwelt-bundesamt Wien, Abteilung Allgemeine Ökologie und Naturschutz
„Es muss damit gerechnet werden, dass die mit Hilfe der Gentechnik möglichen tief greifenden Veränderungen noch bevorstehen.“

Menschliche Nutzungsbedürfnisse beeinflussen die Natur, jede landwirtschaftliche Nutzung etwa wirkt sich auf Naturzustände und Ökosysteme aus. Die Frage ist: Welche Art und welches Ausmaß an Beeinflussung eines Ökosystems durch die Landwirtschaft ist wünschenswert oder akzeptabel? Und: Entsteht durch den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ein zusätzliches oder ein besonders zu bewertendes Risiko? Das ist umstritten.

Die Definition eines Schadens setzt zunächst voraus, dass es eine Vorstellung über einen wünschenswerten „intakten“ Zustand gibt. Wie aber sieht der aus? Welche Natur ist zu schützen? Ist, bezogen auf Agrarökosysteme, die derzeitige landwirtschaftliche Praxis, der ökologische Landbau oder vielleicht die vorindustrielle Agrarlandschaft der Orientierungswert?

Es gibt keine einheitlichen oder gar objektiven Bewertungsmaßstäbe und wissenschaftliche Ansätze vermischen sich mit gesellschaftlichen Erwartungen an Natur.

Weitgehend einig ist man sich bei dem Ziel, die Biodiversität und Artenvielfalt in Wildhabitaten und Agrarökosystemen zu schützen. Aber auch wenn über dieses Schutzziel Konsens besteht, die Einschätzungen und Bewertungen hinsichtlich potenzieller Auswirkungen transgener Pflanzen auf die Biodiversität gehen dann wieder weit auseinander.

Beispiel Auskreuzung: Auskreuzung findet statt, aber was bedeutet das? Wie sind die möglichen Folgen zu bewerten?

  • Die Gentechnik-Kritiker sehen in jeder Auskreuzung eine potenzielle Gefährdung, die unter Vorsorgegesichtspunkten zu vermeiden ist. Weil insbesondere die langfristigen Folgen für Biodiversität und Ökosysteme nicht absehbar seien, ist der Schaden demnach gegeben, sobald das Transgen sich über die gv-Pflanze hinaus verbreitet.
  • Andere sehen im Austausch von Genen einen natürlichen Vorgang als Teil der evolutionären Entwicklung. Auskreuzung von Transgenen wäre demnach nicht per se ein Schaden, die jeweiligen Konsequenzen müssen von Fall zu Fall je nach Pflanzenart, Standort, Anbaupraxis etc. betrachtet werden.

Sicherheitsforschung

Die biologische Sicherheitsforschung beschäftigt sich mit den potenziellen Auswirkungen, die ein Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen haben könnte. Wissenschaftler untersuchen den Pollenflug und die Art und Weise, wie Transgene sich verbreiten könnten, erforschen die Bedingungen und Wahrscheinlichkeiten eines Gentransfers der Pflanzen-Transgene auf Bakterien, sie vergleichen das Artenspektrum verschiedener Insekten in Feldern mit transgenen und nicht-transgenen Pflanzen und suchen nach resistenten Unkräutern und Insekten.

Endgültige Antworten kann jedoch auch die naturwissenschaftliche Forschung nicht liefern:

  • Wenn es akute Auswirkungen gibt, etwa die Bedrohung einer Art, dann werden sie in der Regel gefunden. Oft gibt es jedoch keine signifikanten, eindeutig auf das Transgen rückführbaren Effekte. Jahreszeitliche, klimatische und sonstige Standortbedingungen liefern ein „Hintergrundrauschen“, das gravierendere Effekte macht.
  • Es wird immer nur ein kleiner Ausschnitt komplexer Zustände und Entwicklungen betrachtet, die Daten liefern keine vollständige Beschreibung der Dynamik von Ökosystemen. In der Regel wirft jede Wissenserweiterung auch wiederum neue Fragen auf.
  • Besonders schwierig einzuschätzen sind langfristige Effekte. Es kann nicht mit letztgültiger Gewissheit vorhergesagt werden, wie transgene Pflanzen sich auf Ökosysteme auswirken werden.
  • Die Schwierigkeit liegt auch hier wiederum in der Bewertung der Ergebnisse.

Ein Beispiel: Eine Arbeitsgruppe um die US-amerikanische Ökologin Allison Snow hatte herausgefunden, dass ein Bt-Gen, dass Sonnenblumen vor Fraßinsekten schützt, zu einer vermehrten Ausbreitung wilder Sonnenblumen führt, weil es den Pflanzen einen Vorteil verschafft.

Ein Schaden, weil sich die Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaft verschiebt? Oder kein Schaden, weil jede Art von Ackerbau schon immer zu solchen Verschiebungen geführt hat? Oder eher ein ökonomischer als ein ökologischer Schaden, weil wilde Sonnenblumen in Teilen der USA ein Unkrautproblem sind?

Vorsorgeprinzip

Weil der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen mit Unsicherheiten und potenziellen Risiken verbunden ist, greift hier das Vorsorgeprinzip. Die EU-Kommission hat Anfang 2000 einen Orientierungsrahmen für eine einheitliche Interpretation innerhalb der EU vorgegeben. Das Vorsorgeprinzip besagt: Wenn ein Schaden droht, ein begründeter Anlass zur Besorgnis besteht, darf der Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Hinderungsgrund sein, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Solche Maßnahmen können sein: Umfangreiche Umweltverträglichkeits- Prüfungen, strenge Zulassungsverfahren für den Anbau gentechnisch veränderter Sorten, staatlich geförderte Sicherheitsforschung sowie ein anbaubegleitendes Monitoring, d.h. langfristige Beobachtung der in die Umwelt ausgebrachten gv-Pflanzen.

Eine solche pragmatische Auslegung und Anwendung des Vorsorgeprinzips geht davon aus, dass immer nur auf der Basis eines aktuellen Wissensstandes gehandelt werden kann und eine Ungewissheit bleibt.

Gentechnik-Kritikern ist diese Auslegung des Vorsorgeprinzips nicht radikal genug. Sie kehren die Argumentation um: Solange die Unbedenklichkeit nicht erwiesen ist, ist vom Gegenteil auszugehen und sollte auf die Grüne Gentechnik verzichtet werden.