„Ethische und soziale Abwägungen gehören in den Bereich der Politik hinein.“

In der europäischen Debatte um gentechnisch veränderte Pflanzen wird seit einiger Zeit gefordert, dass Fragen nach dem Nutzen sowie soziale und ethische Aspekte stärker berücksichtigt werden sollen, wenn über den Anbau dieser Pflanzen entschieden wird. Ob es wünschenswert und möglich ist, sich nicht mehr ausschließlich am Prinzip der Gefahrenabwehr und an den Ergebnissen der Sicherheitsforschung zu orientieren, ist umstritten. bioSicherheit sprach mit Alfons Bora vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung in Bielefeld über den Stellenwert wissenschaftlicher Experten in der Politik und über die Rolle der Sicherheitsforschung in der gesellschaftlichen Diskussion.

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Prof. Dr. Alfons Bora, Universität Bielefeld, lehrt Soziologie und ist Mitglied des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören unter anderem die Wechselwirkungen der Wissenschaft mit Politik und Recht sowie die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Entwicklung von Wissenschaft und Technik.

bioSicherheit: Die Ergebnisse der biologischen Sicherheitsforschung scheinen bei politischen Entscheidungen oft nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wie beurteilen Sie den Umgang von Politik und Gesellschaft mit Expertenwissen? Sind Ihrer Meinung nach der Stellenwert und die Glaubwürdigkeit von Experten zu gering? Oder gibt es noch andere Faktoren?

Alfons Bora: Wenn Sie sagen, dass die Ergebnisse beispielsweise der Sicherheitsforschung bei politischen Entscheidungen oft nur eine untergeordnete Rolle spielen, so bin ich gar nicht sicher, ob ich diese Einschätzung so teile. Ich denke, man muss zunächst einmal sehen, dass es in der Politik so etwas gibt wie eine Vorderbühne und eine Hinterbühne. Und zumindest für die Hinterbühne, möchte ich sagen, haben Experten immer schon eine sehr wichtige Rolle gespielt und tun das auch nach wie vor. Da findet sehr viel Beratung statt. Und wenn man über das spricht, was ich Vorderbühne genannt habe, also den öffentlichen Teil des Politischen, so bin ich nicht mal da sicher, ob Ihre Einschätzung generell so stimmt. - Im Moment spielt die Sicherheitsforschung in der öffentlichen Debatte ja nicht so eine zentrale Rolle, also jedenfalls mit Blick auf Grüne Gentechnik haben wir im Moment keine öffentlich geführte Debatte.

bioSicherheit: Aber wenn Sie etwa an das MON810-Verbot vor zwei Jahren denken – die wissenschaftliche Grundlage für dieses Verbot war eher schmal, aber es wurde trotzdem ausgesprochen.

Alfons Bora: Ich würde daraus kein generelles Urteil ziehen wollen. Man muss sehen, dass die Politik natürlich nicht von den Experten gemacht wird. Eine expertokratische Form von Politik, so wie man sich das in den sechziger Jahren gedacht hat, wäre auch gar nicht das Idealmodell. Politische Entscheidungen und politische Prozesse folgen einer ganz eigenen Logik. Dass dabei im Einzelfall Entscheidungen getroffen werden, die unter dem Gesichtspunkt von Wissenschaft und Technik als nicht gut begründet erscheinen mögen, das wird immer wieder der Fall sein, weil die politische Entscheidung sich aus mehr und anderen Komponenten zusammensetzt als nur der Beratung und Stellungnahme von Experten.

Ob dann der Stellenwert von Experten zu gering oder zu groß ist, darüber gibt es wiederum politisch natürlich sehr unterschiedliche Auffassungen. Und ich weiß gar nicht, ob es aus wissenschaftlicher Sicht dafür ein objektives Beurteilungskriterium gäbe oder ob man nicht sagen muss, das ist geradezu ein typischer Teil der politischen Auseinandersetzung, dass man natürlich immer den Einfluss derjenigen Experten, die nicht der eigenen Auffassung sind, für zu groß hält und vice versa.

bioSicherheit: In der Debatte um Grüne Gentechnik geht es immer wieder um unkalkulierbare Folgen bzw. Langzeitfolgen. Die Sicherheitsforschung kann hier nicht weiterhelfen, da wissenschaftliches Wissen immer ein begrenztes Wissen ist. Wie soll die Gesellschaft mit diesem Nicht-Wissen umgehen?

Alfons Bora: Ich glaube schon, dass Sicherheitsforschung da etwas beitragen kann. Das Argument des Nicht-Wissens kann ja ein sehr beliebiges sein. Wer auch immer gegen eine Technik sein wird, der wird versuchen, in der politischen Auseinandersetzung die Bedeutung und die Reichweite des Nicht-Wissens tendenziell überzubetonen. Auf der anderen Seite haben wir natürlich das umgekehrte Verhalten. Und dieser Zwiespalt ist der genuine Bereich der Sicherheitsforschung, die kann schon einigermaßen verlässlich und verbindlich sagen, bis wohin man Aussagen treffen kann und wo das vernünftigerweise nicht mehr zutrifft. Das ist ein nicht zu unterschätzender und wichtiger Beitrag zur öffentlichen Debatte.

Wie die Gesellschaft mit dem Nicht-Wissen umgehen kann, das ist eine ziemlich schwierige Frage. Die Gesellschaft besteht ja doch aus einer ganzen Fülle von Bereichen, die ihre eigene Funktionsweise und Logik und ihre eigene Sicht auf die Welt haben. Und jeder dieser Bereiche wird mit dem Nicht-Wissen unterschiedlich umgehen. Für die Wissenschaft ist es eine beständige Herausforderung, weiterzuforschen und gleichzeitig immer zu sagen, dass Wissen nicht endgültig sein kann. Das ist aber eine Position, mit der sich beispielsweise Politik nicht zufriedengeben kann, die darauf angewiesen ist, Wählerloyalität zu mobilisieren, die kollektiv verbindlich jetzt entscheiden muss, auch wenn man weiß, dass man wissenschaftliche Antworten auf offene Fragen jetzt gar nicht haben kann. Da muss die Politik sich dann ihre Handlungsrationalität und ihre Gründe anderswo herholen, und sie holt sie sich oft aus der öffentlichen Unterstützung. Wieder anders ist es im Recht, da gibt es die Grundkonstruktion der Gefahrenabwehr, die sagt, wenn man etwas verbieten will, muss irgendwo erkennbar sein, dass Rechte anderer beeinträchtigt sein könnten. In der Welt des Rechts gelten wieder eigene und nicht durch etwas anderes ersetzbare Kriterien. Insofern plädiere ich dafür, die Frage, wie soll die Gesellschaft mit dem Nicht-Wissen umgehen, zunächst einmal bereichsspezifisch zu beantworten und dann zu sehen, welche Probleme sich aus den Differenzen zwischen den unterschiedlichen Bereichen ergeben – wenn dann etwa in der Wissenschaft die Verwunderung darüber groß ist, dass die Politik einen so trivialen Sachverhalt wie den Umstand, dass ein Verbot sich nur auf wenige wissenschaftliche Arbeiten stützt, nicht in der Weise wahrnimmt, wie man ihn im wissenschaftlichen Diskurs wahrnehmen würde.

bioSicherheit: In der Diskussion sind sozioökonomische Kriterien, die zusätzlich zu der naturwissenschaftlichen Sicherheitsforschung in die Bewertung von gentechnisch veränderten-Pflanzen einfließen sollen. Halten Sie es für sinnvoll, dass ethische, soziale und ökonomische Gründe bei der Bewertung und evtl. auch der Zulassung von GVOs eine größere Rolle spielen? Und wie könnte das sinnvoll umgesetzt werden?

Alfons Bora: Zunächst, denke ich, muss man sehen, dass es überhaupt nirgendwo eine Bewertung gibt, die frei von solchen Kriterien wäre. Jede Bewertung, egal, wo sie stattfindet, bezieht sich implizit, ob sie es weiß oder nicht, immer auch auf solche Kriterien. Auch jemand, der sagt, ich bewerte jetzt nur die Wahrscheinlichkeit einer Exposition von x im Feld y, hat damit eine normative Rahmung schon mit transportiert, indem er sagt, das ist ein relevantes Kriterium, davon soll eine Entscheidung abhängen.

Was die Zulassung angeht – die ist ja rechtlich reguliert. Und da ist es schwierig, Kriterien einzuführen, die über die reine Gefahrenabwehr hinausgehen. Es ist eine Zeitlang von sehr prominenten Kollegen ins Gespräch gebracht worden, ob im Rahmen der Zulassung eine Art Bedarfsprüfung möglich sei; ob es nicht auch legitim sei, zu fragen, ob die Gesellschaft das im konkreten Fall überhaupt brauche, aber das hat sich doch als ziemlich schwierig herausgestellt.

Von der grundsätzlichen Zuordnung würde ich immer meinen, dass die Aspekte, die Sie genannt haben - Ethik, die soziale Dimension - zunächst einmal in den politischen Bereich hineingehören und dass die Politik sich auch nicht davor drücken sollte, solche Abwägungs- und Entscheidungsprozesse zu übernehmen. Politik ist nicht darauf verwiesen, sich nur an das Recht oder nur an die Wissenschaft zu halten.

bioSicherheit: Können bei der Bewertung von gentechnisch veränderten Pflanzen Verfahren wie Bürgerdialoge noch weiterhelfen?

Alfons Bora: In den derzeit vorfindlichen Formen haben alle diese Veranstaltungen meines Erachtens nicht viel Sinn – unter anderem, weil sie unverbindlich sind. Ich habe schon vor relativ langer Zeit einen Vorschlag entwickelt, zu prüfen, ob man nicht in lokalen Kontexten, wo es um eine Freisetzung an einem konkreten Ort mit einem konkreten Projekt geht, die Gelegenheit schaffen könnte, sehr früh im Verfahren zwischen Wissenschaftlern und möglichen Kritikern vor Ort eine Art von Gespräch oder Verhandlung zustande zu bringen. Das würde aber auf doch etwas sehr anderes hinauslaufen als das, was jetzt mit Bürgerdialogen betrieben wird. Ich fände es sinnvoll, wenn man sich da nochmal neu Gedanken machen würde. Ein solches Verfahren müsste konkret projektbezogen sein, es müsste zu einem frühen Zeitpunkt beginnen, es müsste eine nachprüfbare Verbindlichkeit haben, und es müsste für diejenigen, die ein Projekt beantragen, Anreize schaffen, so etwas zu tun.

bioSicherheit: Sie sind Mitglied des Deutschen Ethikrats. Beschäftigt sich der Ethikrat auch mit Fragen zur Grünen Gentechnik? In der Schweiz beispielsweise hat die eidgenössische Kommission für Biotechnologie im Außerhumanbereich das Prinzip der Würde der Pflanze formuliert. Der dazugehörige Bericht soll dem Gesetzgeber als Leitfaden dienen, so etwa bei der Entscheidungsfindung über gentechnische Fragen. Gibt es Empfehlungen des Deutschen Ethikrates zu ethischen Bewertungen von gv-Pflanzen? Welche ethischen Kriterien halten Sie für sinnvoll?

Alfons Bora: Der Deutsche Ethikrat hat sich bislang mit dem ganzen Themenbereich direkt noch nicht befasst. Es gab jetzt gerade eine große öffentliche Veranstaltung zu Fragen der Welternährung, da standen aber Probleme der Pflanzenethik nicht im Zentrum. Wir werden uns im November auch auf einer öffentlichen Veranstaltung mit synthetischer Biologie befassen, da könnte man sich vielleicht vorstellen, dass Pflanzenethik ganz am Rande eine Rolle spielen könnte. Aber abgesehen davon hat der Deutsche Ethikrat sich bislang damit noch nicht befasst. – Als Privatperson neige ich einer der als anthropozentrisch bezeichneten Begründungen zu und würde diese in der Argumentation so auszuarbeiten versuchen, dass klar ist, es gibt Bereiche, wo man der Pflanzenwelt eine Art von Respekt entgegenbringen sollte, der aber doch in keiner Weise mit dem zu vergleichen ist, was wir unter dem Stichwort Menschenwürde diskutieren.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.