Zur Debatte: Epigenetik

Die DNA ist nicht alles und alles ist komplizierter - aber sind transgene Pflanzen deswegen unsicher?

Das Bild der Gene hat sich verändert. Es ist weitaus komplexer als noch vor ein paar Jahren. Wie Gene reguliert werden und damit die Eigenschaften eines Organismus beeinflussen, ist nicht allein in der DNA festgelegt. Auch andere Strukturen sind daran beteiligt. Das Wissen um die Gene und ihre Regulation nimmt rasch zu. Doch was bedeutet das für die Sicherheit transgener Pflanzen? Ist die Erkenntnis größerer Komplexität gleichbedeutend damit, dass die Folgen gentechnischer Veränderungen weniger vorhersehbar sind? - bioSicherheit sprach darüber mit zwei Experten.

Dr. Jens Freitag, Leiter der Geschäfsstelle GABI (Genomforschung im biologischen System Pflanze). „Epigenetische Effekte treten bei jeder Kreuzung auf.“

Katja Moch, Öko-Institut Freiburg: „Die neuen Erkenntnisse sind noch nicht in die Risikobewertung transgener Pflanzen eingeflossen.“

Die Gene sind die „Baupläne des Lebens“, die DNAdie Buchstaben im „Buch des Lebens“. Noch vor ein paar Jahren waren solche Bilder selbstverständlich, um die „Macht der Gene“ zu beschreiben. Ein Gen - das ist ein klar umrissener Abschnitt auf der unendlich langen DNA-Kette, der jeweils für ein bestimmtes Protein codiert.

Inzwischen gilt dieser „genetische Determinismus“ als überholt. Neue Erkenntnisse der Molekularbiologen haben die Vorstellung vom „Gen“ deutlich verändert. Was man lange vermutet hatte, ist heute eine breit akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnis: Es sind nicht allein diese „proteincodierenden Gene“, welche einen Organismus - und die in ihm stattfindenden Vorgänge - festlegen.

  • Lange Zeit gab es keine schlüssige Erklärung, welche Funktion die nicht-codierenden Bereiche der DNA („junk-DNA“) haben. Nun hat man herausgefunden, dass sie zahlreiche „Nur-RNA-Gene“ enthalten: Deren RNA dient jedoch nicht als Übermittler (Boten-RNA) der DNA an die proteinproduzierenden Ribosomen, sondern greift auf verschiedene Weise in die Regulierung und das Verhalten der Gene ein. Die Gesamtheit aller vorhandenen RNAs wird auch als Transkriptom bezeichnet. Zwischen Genom und der Proteinsynthese stellt es eine komplexe, eigenständige Ebene mit vielfältigen Wechselwirkungen dar.
  • Heute weiß man auch, dass es nicht allein die DNA ist, welche bestimmt, ob und wann Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Niedermolekulare Substanzen wie RNA-Bruchstücke oder geringfügige Modifikationen an der DNA (z.B. Methylierungen) können die Genregulation beeinflussen. Andere Substanzen, die in die Regulierung der Gene eingreifen, nehmen Einfluss auf das Stützgerüst des DNA-Moleküls und verändern die Chromosomenstruktur(Chromatin Remodelling). Solche Modifizierungen in der Genexpression, die nicht auf Festlegungen durch DNA zurückzuführen sind, werden als „Epigenetik“ bezeichnet. Durch epigenetische Kontrollen werden Gene stillgelegt (gene silencing), können aber durch Veränderung der epigenetischen Strukturen wieder aktiviert werden Inzwischen beginnt man die wichtige Rolle wahrzunehmen, die solche epigenetischen Phänomene bei vielen Vorgängen in der Zelle, aber auch bei der Vererbung spielen.

Epigenetische Phänomene - ein besonderes Problem bei transgenen Pflanzen?

Es sind eben nicht die Gene allein, in denen festgeschrieben ist, wie sich ein Organismus entwickelt. Das Genom ist kein DNA-Code, den man nur entschlüsseln muss, um seine Funktion zu verstehen, sondern eher eine dreidimensionale biochemische Maschinerie von ungeheurer Komplexität.

Alles ist komplizierter und vielschichtiger als vor ein paar Jahren gedacht - aber was bedeutet das für transgene Pflanzen? Folgt aus den neuen Erkenntnissen über Epigenetik und Genregulation, dass durch die Einführung neuer Gene möglicherweise Folgeeffekte ausgelöst werden, von denen man bisher nichts wusste? Sind die heute gängigen Verfahren der Sicherheitsbewertung für gentechnisch veränderte Pflanzen weiterhin tauglich? Oder müssen sie erweitert werden, um damit auch jene, unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit vielleicht problematischen Veränderungen zu finden, die durch epigenetische Vorgänge oder Strukturen ausgelöst werden?

In der Wissenschaft hat die Debatte über diese Fragen bereits begonnen. Im Kern und sehr vereinfacht - geht es dabei um zwei Positionen.

  • Für die erste Sichtweise unterscheiden sich gentechnische Verfahren - die Integration neuer Gene in das Genom - grundsätzlich von anderen Methoden in der Pflanzenzüchtung. Das Wissen um die Epigenetik wird als Bestätigung dieser Sichtweise aufgefasst: Da in der Regel nicht genau zu bestimmen ist, an welcher Stelle in einem Genom das neue Gen integriert wird, können nicht-codierene Gen-Regionen betroffen sein. Als Folge davon kann es zu veränderten Transkripten kommen. Denkbar wäre auch, dass ein neues Gen in der Pflanze durch epigenetische Strukturen kontrolliert wird, so dass es sich anders verhält als geplant. Solche Effekte und ihre Folgen, so die Vermutung, können mit den derzeit üblichen Verfahren der Sicherheitsbewertung in der Regel nicht entdeckt werden.
  • Die andere Position verweist darauf, dass epigenetische Phänomene schon immer in der Pflanzenzüchtung wirksam waren. Neu ist nur das Wissen darum. Die Vorgänge selbst gibt es schon immer - und sie sind nicht auf gentechnisch veränderte Pflanzen beschränkt. Im Gegenteil: Aus Erfahrung wissen die Züchter, dass bei neuen Sorten veränderte Eigenschaften auftreten, die nicht allein in den Genen der beiden Elterlinien festgelegt sind. Heute kann man solche Beobachtungen mit epigenetischen Vorgängen deuten. Mit den heutigen molekularbiologischen oder chemischen Analysen lässt sich genau nachweisen, wie einzelne Linien oder Sorten voneinander abweichen. Anders als klassisch gezüchtete Pflanzen werden transgene Pflanzen anhand verschiedener chemischer, genetischer oder phänotypischer Merkmale sehr genau untersucht, ob sie gegenüber konventionellen Vergleichspflanzen „substantiell äquivalent“ sind. Auch wenn nicht alle epigenetischen Ereignisse und Effekte bekannt sind: Das, was sie an Veränderungen hervorrufen, wird mit den üblichen Verfahren der Sicherheitsbewertung entdeckt. Keine Frage: Das neue Bild der Gene, das wachsende Wissen um Transkriptom und Epigenom haben weitreichende Folgen für die Forschung und die Weiterentwicklung gentechnischer Methoden. Eine grundlegende Änderung bei der Sicherheitsbewertung transgener Pflanzen ist jedoch nicht erforderlich.