Fünf Jahre bioSicherheit

„Das Unbehagen findet einen legitimen Ausdruck im Risiko.“

Vor fünf Jahren, am 16. April 2002, ging bioSicherheit ins Netz. Jeder solle sich selbst eine Meinung zu Chancen und Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen bilden, sagte der damalige BMBF-Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen beim Start von bioSicherheit. Ein Ziel war, dass Themen und Ergebnisse der Sicherheitsforschung zu gentechnisch veränderten Pflanzen in der gesellschaftlichen Debatte besser wahrgenommen werden. - Über den anhaltenden Konflikt um die Grüne Gentechnik, das gespannte Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft sprach bioSicherheit mit Wolfgang van den Daele.

Prof. Dr. Wolfgang van den Daele, Direktor der Abteilung Zivilgesesellschaft und transnationale Netzwerke am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin, 1985-1987 Mitglied der Enquetekommission des Deutschen Bundestages zu Chancen und Risiken der Gentechnologie; seit 2001 Mitglied des Nationalen Ethikrates der Bundesrepublik Deutschland

bioSicherheit: In den letzten fünf Jahren scheinen die Vorbehalte gegenüber der Grünen Gentechnik in der Öffentlichkeit noch stärker geworden zu sein. Die Auffassung, gentechnisch veränderte Pflanzen seien „nicht sicher“ oder im Hinblick auf mögliche Risiken „kaum erforscht“, ist fast eine Selbstverständlichkeit. Welche Bedeutung können Sachinformationen unter diesen Umständen haben? Geht es um Wissenslücken, die mit den Mitteln „wissenschaftlicher Aufklärung“ zu füllen sind?

Wolfgang van den Daele: Es ist in der Tat erstaunlich, dass das Risikoargument immer noch eine solche Resonanz hat, obwohl eigentlich keine besonderen Risiken erkennbar geworden sind. Zwar taucht immer mal wieder eine Hypothese auf, die sich später als nichts Besonderes herausstellt. Und wenn es spezielle Sicherheitsbedenken gibt, wird das betreffende Konstrukt aus dem Markt genommen oder nicht zugelassen. Als neutraler Beobachter würde man sagen, die Risikodebatte hat kein Fundament.

Mir scheint, Risiko fungiert als eine Art Auffangkategorie. Man hat etwas gegen diese Technologie. Man will sie nicht, findet sie überflüssig oder ungerecht. Der Eindruck des Problematischen hat sich ungeheuer stabilisiert. Es ist paradox: Je mehr man sich bemüht, die Öffentlichkeit aufzuklären oder Diskurse veranstaltet, um so mehr verfestigt sich dieser Eindruck. Wenn so viel Wind gemacht wird, denken sich die Leute, muss ja etwas faul sein.

Diese Art von Unbehagen findet einen legitimen Ausdruck im Risiko. Man wird immer auf das Risikoargument zurückgreifen. Und wenn man keine konkrete Gefahr findet, dann heißt es: Mögliche Risiken sind nicht ausreichend erforscht. Dieses Muster haben die sozialen Bewegungen, die Grüne Gentechnik verhindern wollen, durchgesetzt – und dagegen ist kaum etwas zu machen. Natürlich muss man wissenschaftliche Aufklärung betreiben. Aber das ist eine Minimalbedingung: Wenn man es nicht macht, liefert man ein weiteres Argument. Man muss aufklären, kann aber nicht damit rechnen, dass damit das Unbehagen und die Ablehnung beseitigt wird. Information und Transparenz sind notwendig. Aber das ist nicht die Front, an der die Sache entschieden wird.

bioSicherheit: In der gesellschaftlichen Debatte haben wissenschaftliche Sichtweisen nur eine begrenzte Deutungskraft. Die öffentliche Wahrnehmung – etwa die Überzeichnung der Risiken transgener Pflanzen – hat eher kulturelle Hintergründe. Woher speisen sich diese Wahrnehmungen?

Wolfgang van den Daele: Meine Vermutung ist: Man hat einen symbolischen Bereich gefunden, in dem man der Technikdynamik, der man ausgeliefert ist und die die Gesellschaft überrollt, etwas entgegensetzen kann. Bei der Grünen Gentechnik kann man Widerstand leisten, ohne dass eigene Interessen berührt sind. Das wird auch so bleiben, solange Verbraucher und die Masse der Bevölkerung keinen persönlichen Nutzen sehen. Die finden es gut, dass es den Kampf David gegen Goliath gibt: Hier die sozialen Bewegungen, die Bauern und die Umweltverbände, auf der anderen Seite die großen Konzerne, denen die Grenzen aufgezeigt werden. Eine klammheimliche Sympathie für den Obstruktionskurs der sozialen Bewegungen ist nicht zu übersehen.

bioSicherheit: Hat die gesellschaftliche Risikowahrnehmung nicht auch etwas mit dem vorherrschenden Naturverständnis oder einer Naturethik zu tun?

Wolfgang van den Daele: Das finde ich eher nicht. Die Leute nehmen jede Art von Verkrüpplung der Pflanzen hin. Und dass jetzt Gene verändert werden, ist kein Tabubruch. Interessanterweise gibt es ja keinen Widerspruch gegen smart breeding (moderne molekularbiologische Züchtungstechniken), wo mit Pflanzen ähnliche Sachen angestellt werden wie bei der Gentechnik. Oder die rote Gentechnik: Wenn es irgendwie nützlich erscheint, hat man kein Problem, dass an Genen herummanipuliert wird.

bioSicherheit: Ein wichtige Kategorie ist Vertrauen. Wenn man jemandem vertraut, dann folgt man dessen Beurteilung eines komplexen Sachverhalts, bei dem man selbst keine Kompetenz hat. In diesem Sinne können die Wissenschaftler nicht mehr damit rechnen, dass die Gesellschaft ihnen vertraut. Was können (Natur-) Wissenschaftler tun, um Vertrauen zurückzugewinnen? Können Sie in einer Mediengesellschaft überhaupt noch damit rechnen, dass man ihnen vertraut und eine besondere Kompetenz zubilligt?

Wolfgang van den Daele: Ich sehe diesen allgemeinen Vertrauensverlust nicht. Alle rennen ständig zum Arzt und setzen auf professionelle Expertise. Aber in Bereichen, die wie die Grüne Gentechnik politisiert sind, zeigen sich die Grenzen des Expertenwissens deutlich. Wenn es zum Streit kommt, wenn es um die Legitimität einer Entwicklung geht, dann entziehen die Menschen dem Experten ihr Vertrauen, weil er ihnen die lieb gewonnenen Argumente aus der Hand schlägt. Das ist dann der Punkt, wo man sagt: Ich vertraue nicht. Und damit hat man sich der Definitionsmacht der Wissenschaftler und deren Argumenten entledigt. Nun kann man ihnen leicht vorwerfen, nur aus Eigeninteresse oder im Auftrag der Industrie zu handeln.

Wenn man nicht direkt sagt, ich will das nicht, sagt man eben, ich habe kein Vertrauen. Wenn ein Wissenschaftler behauptet, es gibt keine Risiken, dann sagt man eben, ich vertraue dir nicht. Der Entzug von Vertrauen ist eine starke Waffe – nicht nur gegenüber der Wissenschaft, auch in der politischen Arena.

bioSicherheit: Konkret: Was können Wissenschafter tun, die im Bereich der Grünen Gentechnik arbeiten, um Vertrauen zu gewinnen oder mehr Gewicht in der gesellschaftlichen Debatte zu bekommen?

Wolfgang van den Daele: Sie können gar nichts tun.

bioSicherheit: Es gibt keinen Verhaltensspielraum?

Wolfgang van den Daele: Sie können Vertrauen verspielen – und das tun sie auch oft, indem sie Daten unterdrücken, Ergebnisse schönen oder vorschnell Behauptungen in die Welt setzen. Es ist ganz leicht, Vertrauen zu verlieren, aber sehr schwer, es zu gewinnen. Wofür wollen die Wissenschaftler auch Vertrauen haben? Man vertraut ihnen dafür, dass eine Technik funktioniert und irgendetwas kann - aber das ist auch das Einzige, was sie wirklich wissen. Und bei den anderen Themen konkurrieren die Wissenschaftler mit Leuten, die Misstrauen sähen. Da haben sie oft schlechte Karten. In politisierten Kontroversen haben es die Experten schwer, sich durchzusetzen, auch deswegen, weil es ja immer auch Kontroversen unter den Experten gibt.

bioSicherheit: Selbst Fachpolitikern ist oft nicht bekannt, dass es ein Förderprogramm zur biologischen Sicherheitsforschung gibt. Deren Ergebnisse fließen nicht oder nur unzureichend in politische Entscheidungen ein. Wie sehen Sie in einem so strittigen Bereich das Verhältnis von Forschung und politischen Entscheidungen?

Wolfgang van den Daele: Eigentlich haben nur die Behörden über die Sicherheit zu entscheiden, nicht die Politiker. Aber die Politiker beobachten die politische Szenerie – und wenn es einen relevanten Konflikt gibt, dann möchte man ihm aus dem Weg gehen. Wir haben das ja in Europa gesehen: Obwohl es rechtlich eigentlich nicht möglich ist, haben sich die Politiker darauf verständigt, die Grüne Gentechnik eine Zeit lang zu boykottieren. Etwas anderes wäre es, wenn dieser Politikstil deutliche ökonomische Nachteile zur Folge hätte. Die Neigung, im Dissens zu Stimmungen in der Bevölkerung etwas durchzusetzen, hängt davon ab, wie man den politischen und ökonomischen Wert einer Technik einschätzt. Da ist die Grüne Gentechnik ökonomisch weitaus weniger wichtig als etwa die Nanotechnologie. Die Problematik ist ähnlich, aber ich bin gespannt, ob man hier nicht ein bisschen autoritativ vorgeht und die Technik zulässt und sich dabei auf Wissenschaft und Sicherheitsforschung beruft.

Ich sehe das auch so, dass die Sicherheitsforschung zu gentechnisch veränderten Pflanzen von der Politik nicht wahrgenommen wird. Das sieht man auch daran, dass bei der Regulierung Koexistenz und Haftung die einzigen Fragen sind, die tatsächlich thematisch eine Rolle spielen. Wenn man die Grüne Gentechnik verhindern will, kommt man bei der Sicherheit nicht weiter. Unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip kann man weitgehende Auflagen machen oder ein Monitoring vorschreiben, aber wissenschaftlich fundierte Anhaltspunkte, Grüne Gentechnik wegen der Sicherheit zu verbieten, gibt es nicht. Der Regulierungsspielraum besteht nur bei der Koexistenz. Und der wird auch genutzt.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.

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