Cyanophycin-Kartoffel

Neuer Inhaltsstoff - veränderte Eigenschaften?

Ein stürmischer, wolkenverhangener Nachmittag Mitte Juli. Auf einer umzäunten Freisetzungsfläche der Universität Rostock wachsen in überschaubaren Reihen gentechnisch veränderte Kartoffeln, die das Ausgangsmaterial für einen biologisch abbaubaren Kunststoff liefern. Im Winter werden mit den Knollen der Kartoffeln Überwinterungsversuche gemacht und ihre Verrottung beobachtet.

Auf der Freisetzungsfläche wachsen verschiedene gentechnisch veränderte Kartoffellinien.

Prof. Dr Inge Broer leitet den Lehrstuhl für Agrobiotechnologie an der Universität Rostock

Zu verschiedenen Zeitpunkten werden aus den auf dem Versuchsfeld vergrabenen Säcken Kartoffelknollen entnommen…

Für die Verrottungsversuche werden auf dem Versuchsfeld Kartoffelknollen vergraben

…und nach einem bestimmten Schlüssel bewertet.

Die gentechnisch veränderten Kartoffeln (links) haben die Note 4,28, weil ein Großteil der Knollen (über 30%) schon aus einem braunen nässenden Brei besteht, d.h. der Verband des Zellgewebes hat sich dort bereits aufgelöst. Hingegen zeigen die konventionellen Kartoffeln der nah-isogenen Linie (rechts)noch nahezu keine Symptome und wurden deshalb mit Note 0,3 bewertet.

Dr. Christoph Unger untersucht zur Zeit im Labor Kartoffelproben aus dem letzten Winter. Nach einer bestimmten Methode (Lockau, Humbold-Univeristät Berlin) wird der Cyanophycin-Gehalt bestimmt.

Zerkleinerte und gefriergetrocknete Kartoffelproben

Mit Keramikkügelchen wird das Kartoffelpulver noch feiner zerrieben

Mit einem speziellen Proteintest (nach Bradford) wird Cyanophycin nachgewiesen. An der Intensität der Färbung kann man ablesen, ob mehr oder weniger davon in der Probe enthalten ist.

Inge Broer, Professorin für Agrobiotechnologie an der Universität Rostock, muss kurz einen herbeigeeilten Wachmann informieren, ehe das Versuchsfeld betreten werden darf. Seit der jüngsten Feldzerstörung Anfang Juli wird die Freisetzungsfläche, auf der verschiedene gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen, rund um die Uhr bewacht. Die „Bioplastik-Kartoffeln“, die hier für spezielle Untersuchungen der biologischen Sicherheitsforschung angebaut werden, wachsen unversehrt in mehreren Reihen, einige wenige blühen bereits. In diese Kartoffeln wurde ein Gen aus einem Cyanobakterium (Blaualge) eingeführt. Das Polypeptid Cyanophycin, das die Bakterien u.a. zur Speicherung von Stickstoff nutzen, wird nun in den Kartoffeln gebildet und liefert die Grundsubstanz für einen biologisch abbaubaren Kunststoff. Ein Teil der gentechnisch veränderten Kartoffeln bildet das Peptid in allen Pflanzenteilen, andere nur in den Knollen.

„Zur Zeit vermehren wir die Kartoffeln hier, um dann im Winter genug Knollenmaterial zu haben für unsere Überwinterungsversuche.“ Inge Broer deutet mit der Hand auf eine der Kartoffelreihen. „Dies ist die nah-isogene Ausgangssorte ohne gentechnische Veränderung, die zum Vergleich angebaut und untersucht wird.“ Zusätzlich gibt es auch eine transgene Kontrolle, das sind Kartoffeln, in die nur das Markergen übertragen wurde, das für die gentechnische Transformation benötigt wird und deshalb in allen transgenen Kartoffeln zusätzlich vorhanden ist.

Überwinterungsversuche

Im Winter werden die Knollen der verschiedenen Kartoffeln an zwei unterschiedlichen Standorten und in zwei unterschiedlichen Tiefen auf dem Versuchsfeld vergraben. Den ganzen Winter über werden zu sechs verschiedenen Zeitpunkten je zehn Knollen entnommen und später im Labor untersucht.

„Wir wollen der Frage nachgehen, ob die gentechnisch veränderten Kartoffeln vielleicht besser überwintern können und dann im Folgejahr wieder auflaufen, also neue Kartoffelpflanzen daraus entstehen.“ Dadurch, dass Cyanophycin in der Kartoffel gebildet wird, erläutert Inge Broer, verändere sich der Kohlenhydratstoffwechsel, was wiederum den Gefrierpunkt beeinflussen kann. Eine erhöhte Frostresistenz bei den transgenen Kartoffeln wäre nicht erwünscht, weil sich dadurch das Risiko erhöhen könnte, dass die Kartoffeln am Feldrand auswildern.

Einen ersten Versuchswinter lang, 2008/2009, wurden die Knollen der verschiedenen Sorten nun bereits eingehend begutachtet. Dabei ging es zunächst darum, geeignete Methoden zu erarbeiten. So wurde ein Benotungsschlüssel entwickelt, mit dem die Frostschäden in den verschiedenen Versuchsjahren einheitlich nach Augenschein beurteilt werden können. Die Boniturnoten reichen von Note 0 - keine Symptome - bis Note 5 - zu über 50 Prozent brauner nässender Brei. Nach den Werten aus dem ersten Winter ist keine erhöhte Frostresistenz der Cyanophycin-Kartoffeln im Vergleich zu den Kontrolllinien zu sehen.

Nachwachsender Rohstoff ohne Flächenverbrauch

Die Kartoffeln, die hier getestet werden, sind ein Prototyp für gentechnisch veränderte Pflanzen, die als nachwachsende Rohstoffe bestimmte Inhaltsstoffe liefern könnten. Der biologisch abbaubare Kunststoff, der aus Cyanophycin gewonnen werden kann, könnte Kunststoffe auf Erdölbasis ersetzen z.B. bestimmte Stoffe, die Waschmitteln zur Wasserenthärtung zugegeben werden. Von Inge Broer und ihren Wissenschaftler-Kollegen ist dazu noch viel Pionierarbeit nötig. Es müssen geeignete Verfahren entwickelt werden, um den Stoff aus der Pflanze herauszubekommen. Die Pflanzen selbst müssen optimiert werden, damit sie möglichst viel der gewünschten Substanz bilden. Es werden Methoden erarbeitet, um die biologische Sicherheit solcher Pflanzen zu bewerten.

Um mit Produkten auf Erdölbasis konkurrieren zu können, müssen Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen mindestens gleich gut und genauso preiswert sein. Immerhin ist es bei der Cyanophycin-Kartoffel schon gelungen, die Ausbeute von anfänglichen ein Prozent auf sechs Prozent der Trockenmasse der Kartoffeln zu steigern. „Die Idee ist,“ so Inge Broer, „dass wir gar keine zusätzlichen Flächen benötigen, um diese Kartoffeln anzubauen, denn wir könnten Cyanophycin als Beiprodukt von Kartoffeln liefern lassen, die eigentlich für die Stärkeproduktion angebaut werden.“

Die Forschungen zur Herstellung von Cyanophycin beschränken sich dabei nicht auf Kartoffeln. Auch z.B. in Tabak wurde das entsprechende Gen schon übertragen.

Aufwändige Prozedur: Wie viel Cyanophycin ist in der Knolle?

Zur Zeit ist Christoph Unger im Labor damit beschäftigt, in Kartoffelproben aus dem letzten Winter den Cyanophycin-Gehalt zu bestimmen. Dazu werden gleich nach den Probenahmen im Winter Kartoffelknollen zerkleinert und bei minus 70 Grad gefriergetrocknet. Das entzieht ihnen das gesamte Wasser und lässt stark geschrumpfte, leichte und helle Kartoffelbröckchen entstehen. In mehreren Schritten werden sie zu einem feinen Pulver weiter zerkleinert, alle Proteine außer Cyanophycin rausgelöst und schließlich mit einer speziellen Protein-Nachweismethode der Cyanophycin-Gehalt bestimmt. „Ob viel oder wenig Cyanophycin enthalten ist, kann man durch die mehr oder weniger intensive Farbreaktion direkt sehen“, erklärt Christoph Unger und schiebt den Protein-Test in ein Ablesegerät, das den Proteingehalt genau misst. „Zurzeit sieht es so aus, als wenn der Cyanophycin-Gehalt über den gesamten Zeitraum der Überwinterung sehr stabil bleibt, unabhängig davon, in welchem Zustand die Kartoffeln sind.“ Ob sich dieser Trend in den weitern Untersuchungen bestätigt und was dies für den Abbauprozess von Cyanophycin und die daran beteiligten Mikroorganismen bedeutet, solche Fragestellungen untersucht Christoph Unger in Zusammenarbeit mit Spezialisten für Bodenanalytik der Universität Trier.

Kartoffeln auf dem Prüfstand

Wenn die Kartoffel-Knollen im Winter vom Feld ins Labor kommen, werden mit einem Korkbohrer Stücke herausgebohrt, in Scheiben geschnitten und in aufwändigen Arbeitsschritten in so genannte „physiologische Kompartimente“ getrennt, d.h. bestimmte Stoffe wie z.B. Enzyme werden sowohl interzellulär, also zwischen den Zellen, in den Zellwänden und der Interzellularflüssigkeit, oder im Cytoplasma, dem Zellinnern, untersucht. Ein Hinweis auf Frostresistenz sind z.B. die Zucker in der Interzelluarflüssigkeit und im Cytoplasma. Pflanzen schützen sich vor Frost, indem sie langkettige Zuckerpolymere z.B. in „Einfachzucker“ wie Glukose aufspalten, weil das den Gefrierpunkt senkt. Auch der pH-Wert in der Interzellularflüssigkeit liefert Hinweise auf die Frostanfälligkeit. Bei einer intakten Kartoffel liegt der pH-Wert bei 6,2-6,4. Ist der Wert eher basisch (über 7), so kann dies ein Indiz für erfrorene Zellen sein, ist er eher sauer (unter 6) besteht die Möglichkeit eines Krankheitsbefalls z.B. durch Pilze.

Aber nicht nur die Frostresistenz ist Thema bei den vielfältigen Analysen. Christoph Unger beschäftigt auch die Frage, ob die Verrottung der Kartoffeln anders verläuft als bei konventionellen Kartoffeln und so möglicherweise die Qualität des Ackerbodens beeinflusst. In diesem Zusammenhang interessiert das Enzym Peroxidase. Wenn die Aktivität dieses Enzyms in der Pflanze hoch ist, dann ist dies eine Art Stressindikator. Die Pflanze wehrt damit z.B. Krankheitserreger ab. In Voruntersuchungen wiesen die gentechnisch veränderten Kartoffeln, nachdem sie eine Weile gelagert worden waren, höhere Peroxidase-Werte auf. Grund genug für Christoph Unger, dem nachzugehen. Denn mehr Peroxidase könnte dazu führen, dass die Stabilität der Zellwände sich erhöht und damit die Verrottungsgeschwindigkeit sinkt. Diesen Zusammenhang weiter zu erforschen wird eine der Aufgaben der nächsten beiden Jahre sein.