Abwehr mit System(in)

Ein Hormon hilft Nachtschattengewächsen, sich gegen Insekten zur Wehr zu setzen

30.05.2018 | von Gastautor: Christoph Käsbauer

Kulturtomaten besitzen mit Systemin eine effektive Abwehrmaßnahme gegen herbivore Insekten. (Bildquelle: © iStock.com/Fonrimso)

Kulturtomaten besitzen mit Systemin eine effektive Abwehrmaßnahme gegen herbivore Insekten. (Bildquelle: © iStock.com/Fonrimso)

Da Pflanzen ortsgebunden sind und nicht flüchten können, sind sie oft leichte Beute für pflanzenfressende Insekten. Dem großen Appetit dieser herbivoren Tiere fallen oft ganze Pflanzenbestände zum Opfer. Aber ganz wehrlos sind Pflanzen nicht. Wissenschaftler der Universität Tübingen haben eine wichtige Komponente der pflanzlichen Abwehr aufgedeckt: „Systemin“, ein Pflanzenhormon, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Um sich vor Insektenfraß zu schützen, verfügen Pflanzen über verschiedene Abwehrmechanismen. Bei Nachtschattengewächsen übernimmt dabei auch das Hormon Systemin wichtige Funktionen. Systemin ist ein kurzes Peptid, das aus einem größeren Protein, dem Prosystemin, abgespalten wird. Prosystemin ist eine Art „Wächter“, da es ständig in den Pflanzenzellen präsent ist. Erfolgt ein Angriff, wird das eigentlich aktive Systemin abgespalten und reichert sich am Angriffsort an.

Systemin dient als Signal für beschädigte Pflanzenzellen

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Die wilde Tomate Solanum pennellii: Sie zeigt keine Reaktion auf das Hormon Systemin.

Die wilde Tomate Solanum pennellii: Sie zeigt keine Reaktion auf das Hormon Systemin.

Bildquelle: © Christoph Käsbauer

Systemin gehört zur Gruppe der sogenannten DAMPs (Damage-Associated Molecular Pattern). Darunter versteht man pflanzeneigene Stoffe, die nur bei der Beschädigung von Pflanzenzellen produziert werden. Wird die Pflanze durch Insekten angeknabbert oder auf eine andere Art beschädigt, produziert die Zelle Systemin. Die Gegenwart von diesem Peptid ist wiederum das Startsignal für die Produktion des Hormons Jasmonsäure, das die Synthese von Proteaseinhibitoren und Chinolinen einleitet.

Nachtschattengewächse verderben durch Systemin Insekten den Appetit

Sowohl Proteaseinhibitoren als auch Chinoline greifen direkt in den Metabolismus der Insekten ein, indem sie deren Speichel verändern und die Verdauung der Tiere stören. Die Insekten können so weniger Nährstoffe aus den gefressenen Blättern beziehen und die Angreifer lassen von ihnen ab. Die Forscher konnten zeigen, dass sich Raupen des afrikanischen Baumwollwurms (Spodoptera littoralis) auf Systemin produzierenden Tomaten schlechter entwickelten als Raupen, die sich an Tomaten ohne dieses Abwehrsystem labten.

Zwei Rezeptoren sind verantwortlich für die Erkennung von Systemin

Bisher war allerdings nicht genau bekannt, wie Systemin in der Pflanze wahrgenommen und wie das Alarmsignal übertragen wird. Die Forscher beobachteten jedoch, dass Kulturtomaten (Solanum lycopersicum) auf Systemin mit der Bildung von Ethylen und reaktiven Sauerstoffspezies reagieren, während wilde Tomaten der Art Solanum pennellii keine Reaktion zeigen. Die Bildung von Ethylen und reaktiven Sauerstoffspezies ist bei Pflanzen eine der wichtigsten Abwehrmaßnahmen gegen Angreifer, weswegen diese sehr oft zusätzlich zu anderen Maßnahmen gebildet werden. Kann man Ethylen und reaktive Sauerstoffspezies nachweisen, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass die Pflanze den Angreifer erkennt und beginnt sich zu wehren.

Um zu identifizieren, welcher Rezeptor ausschlaggebend für die Erkennung von Systemin ist und wo er sich im Genom befindet, hat die Arbeitsgruppe verschiedene Kreuzungen von Solanum lycopersicum und Solanum pennellii untersucht. Die Pflanzen enthielten an verschiedenen Stellen jeweils ein kurzes Chromosomenfragment der wilden Tomatenart, der Rest des Genoms stammte von der Kulturtomate. Die Pflanzen wurden getestet, ob sie noch wie die Kulturtomate nach Gabe von Systemin Ethylen bilden können. Wenn das nicht der Fall ist, ist in dieser Pflanzenlinie der Genomabschnitt mit dem Systeminrezeptor durch das Chromosomenfragment der Wildtomate ersetzt worden – dadurch konnten die Wissenschaftler das Systemin-Rezeptorgen verorten. Der Rezeptor, den die Arbeitsgruppe Systemin Receptor 1 (SYR1) getauft hat, gehört zu der Klasse der „Receptor-Like-Kinases“ und reagiert extrem empfindlich auf Systemin.

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Der afrikanische Baumwollwurm (Spodoptera littoralis): Das Team konnte in Experimenten zeigen, dass sich seine Raupen auf Systemin produzierenden Tomaten schlechter entwickelten als Raupen, die sich an Tomaten ohne dieses Abwehrsystem labten.

Der afrikanische Baumwollwurm (Spodoptera littoralis): Das Team konnte in Experimenten zeigen, dass sich seine Raupen auf Systemin produzierenden Tomaten schlechter entwickelten als Raupen, die sich an Tomaten ohne dieses Abwehrsystem labten.

Bildquelle: © Katja Schulz/flickr/CC BY 2.0

Es wurden genau genommen sogar zwei Rezeptoren für Systemin gefunden, SYR1 und SYR2. Die Rezeptoren gleichen sich zu 89 Prozent in ihrer Struktur, besitzen allerdings eine unterschiedliche Sensibilität zu Systemin. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass es sich hierbei um einen Mechanismus zur Feinabstimmung handeln könnte. Die Pflanze hätte dabei die Möglichkeit, je nach Aktivierung von einem oder beiden Rezeptoren unterschiedlich stark zu reagieren. Ob dies tatsächlich der Fall ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen.

SYR gibt es nur in Nachtschattengewächsen

Ähnliche Formen dieses Rezeptors existieren auch in anderen Nachtschattengewächsen, wie etwa Kartoffel (Solanum tuberosum), Paprika (Capsicum annuum) und Aubergine (Solanum melongena). Da Systemin und dessen Rezeptoren in andern Pflanzenfamilien fehlen, ist das Erkennungssystem um Systemin spezifisch für Nachtschattengewächse.

Außerdem wurde gezeigt, dass der Rezeptor in andere Pflanzen übertragen werden kann und diese Pflanzen dann ebenfalls auf eine Systemin-Behandlung reagieren können, etwa mit der Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies. So wurde beispielsweise der australische Tabak (Nicotiana benthamiana) erfolgreich mit dem Abwehrsystem ausgerüstet.

Systemin-Abwehr auch auf andere Pflanzenfamilien übertragbar?

Da bei Pflanzen anderer Familien nicht nur das Gen für den Rezeptor fehlt, sondern auch das Systemin-Gen selbst, muss für eine funktionierende Abwehr auch dieses Gen übertragen werden. Es sind also zwei Gene nötig, die zusammen eine funktionierende Einheit bilden. In der Pflanzenzüchtung könnte dieser „Nachteil“ wiederum auch gezielt eingesetzt werden, um ein von außen aktivierbares System zu erhalten. Dazu würde man nur das Gen für SYR1 in die ungeschützten Pflanzen einbringen. Das hätte den Effekt, dass die Pflanzen zwar Systemin wahrnehmen können, jedoch selbst keines produzieren. Sollte dann auf einem Feld ein Insektenbefall auftreten, könnte man durch Besprühen der Pflanzen mit Systemin die Abwehrkräfte in Gang bringen und größere Schäden verhindern.